Automatic exchange of information and (unpunished) voluntary declarations

<article class="rz"><h2>1. Einleitung</h2> <p>Als am 20. M&auml;rz 2008 die schweizweite Einf&uuml;hrung der straflosen Selbstanzeige vom Nationalrat und St&auml;nderat entschieden wurde^{<a title="" href="#_ftn1" name="_ftnref1">01</a>}, war der <a href="https://www.estv.admin.ch/estv/de/home/internationales-steuerrecht/fachinformationen/aia.html">automatische Informationsaustausch (AIA)</a> noch nicht Gegenstand der Diskussion. Seither haben sich Selbstanzeigen zu einem etablierten Instrument in der Praxis entwickelt.</p> <p>Gleichzeitig ist die Welt transparenter geworden. Der Informationsaustausch hat international zugenommen. Auf Druck der G20 und der OECD hin hat der Bundesrat am 13. M&auml;rz 2009 beschlossen, den OECD-Standard f&uuml;r die Amtshilfe in Steuersachen zu &uuml;bernehmen.^{<a title="" href="#_ftn2" name="_ftnref2">02</a>}</p> <p>Die Schweiz verfolgt international den Ansatz, die Mindeststandards im Bereich der Steuertransparenz umzusetzen. Entsprechend trat f&uuml;r die Schweiz am 1. Januar 2017 das <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2016/806/de">multilaterale &Uuml;bereinkommen &uuml;ber die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen</a> (&laquo;<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2016/806/de">Amtshilfe&uuml;bereinkommen</a>&raquo;)<a title="" href="#_ftn3" name="_ftnref3">⁰³</a> in Kraft. Dieses &Uuml;bereinkommen der OECD und des Europarates regelt unter anderem den Informationsaustausch auf Ersuchen, den spontanen Informationsaustausch und den AIA.^{<a title="" href="#_ftn4" name="_ftnref4">04</a>} F&uuml;r den AIA hat die Schweiz erstmals Daten im Jahr 2017 erhoben und 2018 ausgetauscht.^{<a title="" href="#_ftn5" name="_ftnref5">05</a>}</p> <p>Im vorliegenden Beitrag wird die Interaktion des AIA mit Selbstanzeigen in der Schweiz untersucht. Auf dem Weg zu gl&auml;sernen Steuerpflichtigen stellt sich die Frage, ob weiterhin die M&ouml;glichkeit besteht oder bestehen soll, dass Steuerpflichtige bislang nicht versteuerte Werte offenlegen, ohne mit einer Busse rechnen zu m&uuml;ssen.</p> <h2>2. Automatischer Informationsaustausch</h2> <h3>2.1 Hintergrund</h3> <p>Der Rat der OECD hat am 15. Juli 2014 einen neuen globalen Standard f&uuml;r den internationalen AIA in Steuersachen verabschiedet. Entsprechend soll der AIA die Steuertransparenz erh&ouml;hen und die grenz&uuml;berschreitende Steuerhinterziehung verhindern. Teilnehmende Staaten tauschen gegenseitig Informationen &uuml;ber Finanzkonten aus. Inzwischen haben &uuml;ber 100 Staaten, darunter alle wichtigen Finanzzentren, diesen globalen Standard &uuml;bernommen.^{<a title="" href="#_ftn6" name="_ftnref6">06</a>}</p> <p>Der AIA wurde in der Schweiz durch bilaterale und multilaterale Vereinbarungen eingef&uuml;hrt. Die Schweiz setzt den AIA&nbsp;grunds&auml;tzlich&nbsp;gest&uuml;tzt auf die Multilaterale Vereinbarung der zust&auml;ndigen Beh&ouml;rden &uuml;ber den automatischen Informationsaustausch &uuml;ber Finanzkonten (<a href="https://www.oecd.org/tax/exchange-of-tax-information/multilateral-competent-authority-agreement.htm">Multilateral Competent Authority Agreement, &laquo;MCAA&raquo;)</a> um.^{<a title="" href="#_ftn7" name="_ftnref7">07</a>} Das <a href="https://www.oecd.org/tax/exchange-of-tax-information/multilateral-competent-authority-agreement.htm">MCAA</a> wurde durch die Schweiz am 19.&nbsp;November 2014 unterzeichnet und ist am 1. Januar 2017 in Kraft getreten. Das <a href="https://www.oecd.org/tax/exchange-of-tax-information/multilateral-competent-authority-agreement.htm">MCAA</a> st&uuml;tzt sich auf <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2016/806/de">Artikel 6 des Amtshilfe&uuml;bereinkommens</a> und soll die einheitliche Umsetzung des AIA sicherstellen. Mit der EU, Hongkong und Singapur bilden bilaterale Staatsvertr&auml;ge die Grundlage.</p> <p>Im innerschweizerischen Verh&auml;ltnis sind am 1. Januar 2017 das <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2016/259/de">Bundesgesetz &uuml;ber den internationalen automatischen Informationsaustausch in Steuersachen (AIAG)^{0<span title=""><u>8</u></span>}</a> und die <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2016/786/de">Verordnung &uuml;ber den internationalen automatischen Informationsaustausch in Steuersachen (AIAV)^{0<span title=""><u>9</u></span>}</a> in Kraft getreten. Das AIA-Gesetz mit der AIAV ist die gesetzliche Grundlage f&uuml;r die Umsetzung des globalen AIA-Standards in der Schweiz.</p> <h3>2.2 Funktionsweise des AIA</h3> <p>Auf der Grundlage der bestehenden internationalen Vereinbarungen und der unilateralen Umsetzungsgesetze hat die Schweiz im Jahr 2017 (bzw. je nach Partnerstaat sp&auml;ter) damit begonnen, Daten &uuml;ber Finanzanlagen zu erheben, die bei gewissen Finanzinstituten in der Schweiz zugunsten von Personen mit steuerlicher Ans&auml;ssigkeit in einem EU-Mitgliedstaat oder in einem anderen Partnerstaat gehalten werden sowie &uuml;ber die daraus erzielten Ertr&auml;ge, die dort gutgeschrieben werden. Die Daten werden durch Banken, kollektive Anlageinstrumente und Versicherungsgesellschaften gesammelt.<a title="" href="#_ftn10" name="_ftnref10">¹⁰</a></p> <p>F&uuml;r den Vollzug des AIA ist in der Schweiz die ESTV zust&auml;ndig. Die ESTV erh&auml;lt von den Finanzinstituten in der Schweiz die relevanten Informationen innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des betreffenden Kalenderjahres gem&auml;ss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2016/259/de#art_15">Art. 15 Abs. 1 AIAG</a>. Anschliessend leitet die ESTV diese Daten innerhalb von neun Monaten nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres an die f&uuml;r die Steuerpflichtigen zust&auml;ndigen Steuerbeh&ouml;rden im Ausland weiter.^{<a title="" href="#_ftn11" name="_ftnref11">11</a>} Im Gegenzug &uuml;bermitteln die Finanzinstitute in den Partnerstaaten Daten an die ESTV. Ausgetauscht werden Identifikationsinformationen sowie Informationen zu den Konti und den Finanzen. Die ESTV macht diese Informationen den kantonalen Steuerverwaltungen in einem Abrufverfahren zug&auml;nglich.<a title="" href="#_ftn12" name="_ftnref12">¹²</a></p> <p>F&uuml;r die Koordination und strategische F&uuml;hrung in internationalen Finanz- und Steuerfragen ist das Staatssekretariat f&uuml;r Internationale Finanzfragen (SIF) verantwortlich. Auf der Website des SIF ist eine Liste aller Partnerstaaten erh&auml;ltlich, mit denen die Schweiz ein AIA-Abkommen abgeschlossen hat.^{<a title="" href="#_ftn13" name="_ftnref13">13</a>}</p> <p><a title="SSK, Steuerinformation Automatischer Informationsaustausch, S. 10" href="https://www.estv.admin.ch/dam/estv/de/dokumente/allgemein/Dokumentation/Publikationen/dossier_steuerinformationen/b/aia_2020.pdf.download.pdf/aia_de_2020.pdf"><img src="https://images.ctfassets.net/bgpaxzxi3eyz/4hFyKxrlqccs6CtY82SLVI/a468a1692ce34dfea8de112a40314608/Bild_mit_Quelle.jpg" alt="Bild Hirt" width="900" height="448" /></a></p> <h3>2.3 Abl&auml;ufe bei den kantonalen Steuerverwaltungen</h3> <p>Die kantonalen Steuerverwaltungen haben &uuml;ber ein Abrufverfahren Zugriff auf die AIA-Daten bei der ESTV. Sie d&uuml;rfen nur diejenigen Daten erhalten und nutzen, welche Personen betreffen, die in den entsprechenden Jahren im Kanton unbeschr&auml;nkt steuerpflichtig waren.^{<a title="" href="#_ftn14" name="_ftnref14">14</a>}</p> <p>Die Steuerverwaltungen k&ouml;nnen anschliessend &uuml;berpr&uuml;fen, ob ihnen die erhaltenen Informationen bereits aus den Steuererkl&auml;rungen bekannt sind. Inkoh&auml;renzen zeigen auf, wo sich weitere Abkl&auml;rungen lohnen oder aufdr&auml;ngen. Wurden ausl&auml;ndische Werte in der Vergangenheit nicht deklariert, so k&ouml;nnen die Steuerverwaltungen ein Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung pr&uuml;fen. Dieses Verfahren f&uuml;hrt dann unter Umst&auml;nden zu Nachsteuern und einer Busse. Wenn die Steuerpflichtige die Steuerverwaltung nicht bei der Aufarbeitung der Vergangenheit unterst&uuml;tzt und deshalb die Kontoinformationen &uuml;ber ein Amtshilfeersuchen angefordert werden m&uuml;ssen, fallen zus&auml;tzliche Verfahrenskosten an.<a title="" href="#_ftn15" name="_ftnref15">¹⁵</a></p> <p>Der Abgleich der AIA-Daten mit den aus den Steuererkl&auml;rungen bekannten Eink&uuml;nften und Verm&ouml;genswerten ist mit einem Zusatzaufwand f&uuml;r die Kantone verbunden, weil eine Automatisierung (noch) weitgehend fehlt. Es kann sein, dass der Abgleich der ausgetauschten Daten erst mit einiger Versp&auml;tung oder gar nicht erfolgen wird. Es fehlt eine Verpflichtung, s&auml;mtliche Daten im Einzelnen auszuwerten. Dies w&auml;re weder verh&auml;ltnism&auml;ssig noch opportun. So bew&auml;hrt es sich, vorab (oder gar nur) die grossen Betr&auml;ge abzugleichen.<a title="" href="#_ftn16" name="_ftnref16">¹⁶</a> Kleinstbetr&auml;ge k&ouml;nnen beispielweise unterhalb von Schwellen liegen, welche verwaltungsintern als Richtlinien daf&uuml;r gelten, ob ein Nachsteuerverfahren er&ouml;ffnet werden soll oder nicht.</p> <p>Die Datenmengen sind immens. Im Jahr 2019 versandte die Schweiz Informationen zu rund 3.1. Millionen und erhielt Informationen zu rund 2.4 Millionen Konti.<a title="" href="#_ftn17" name="_ftnref17">¹⁷</a> W&auml;hrend die ESTV die Funktion einer Drehscheibe f&uuml;r den Datenaustausch innehat, haben die Kantone die B&uuml;rde, die Daten aus dem Ausland zu verwenden. Dies ist einerseits ein Mehraufwand, der technische und organisatorische Fragen aufwirft. Andererseits ist es eine Chance, unversteuerte Eink&uuml;nfte und Verm&ouml;genswerte zu entdecken.^{<a title="" href="#_ftn18" name="_ftnref18">18</a>}</p> <h2>3. Straflose Selbstanzeige</h2> <h3>3.1 System der straflosen Selbstanzeige</h3> <p>Seit dem 1. Januar 2010 enthalten das <a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1991/1184_1184_1184">Bundesgesetz &uuml;ber die direkte Bundessteuer (DBG)</a> und das <a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1991/1256_1256_1256">Steuerharmonisierungsgesetzes (StHG)</a> die M&ouml;glichkeit f&uuml;r Steuerpflichtige, sich freiwillig selbst anzuzeigen. Bei einer erstmaligen Selbstanzeige entf&auml;llt die Strafverfolgung und damit eine Busse, wenn die folgenden Voraussetzungen erf&uuml;llt werden:</p> <ul> <li>Die Hinterziehung ist noch keiner Steuerbeh&ouml;rde bekannt.</li> <li>Der Steuerpflichtige unterst&uuml;tzt die Steuerbeh&ouml;rden vorbehaltlos bei der Festsetzung der Nachsteuer.</li> <li>Die Steuerpflichtige bem&uuml;ht sich, die Nachsteuer zu bezahlen.^{<a title="" href="#_ftn19" name="_ftnref19">19</a>}</li> </ul> <p>Es werden in diesem Fall nur die Nachsteuern und Zinsen f&uuml;r die letzten zehn Jahre erhoben, nicht aber Sanktionen.^{<a title="" href="#_ftn20" name="_ftnref20">20</a>} Bei jeder weiteren Selbstanzeige wird die Busse auf 1/5 der hinterzogenen Steuer erm&auml;ssigt.^{<a title="" href="#_ftn21" name="_ftnref21">21</a>}</p> <h3>3.2 Zusammenhang mit dem AIA</h3> <p>Das <a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1991/1184_1184_1184">DBG</a> und das <a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1991/1256_1256_1256">StHG</a> legen den Anwendungsbereich der straflosen Selbstanzeige fest. Die Voraussetzung, dass die Steuerbeh&ouml;rden noch keine Kenntnis von der Steuerhinterziehung haben d&uuml;rfen, muss vor dem Hintergrund des AIA neu ausgelegt werden. Es stellt sich die Frage, wie sich der AIA auf die M&ouml;glichkeit der straflosen Selbstanzeige auswirkt.</p> <p>Bei der Einf&uuml;hrung der straflosen Selbstanzeige ins <a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1991/1184_1184_1184">DBG</a> und <a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1991/1256_1256_1256">StHG</a> in der Fr&uuml;hlingssession 2008 von Nationalrat und St&auml;nderat war der AIA noch kein globaler Standard. Vielmehr &auml;usserte sich der damalige Bundesrat Merz im Nationalrat an der gleichen Session zur internationalen Zusammenarbeit der Schweiz im Steuerbereich und zum Schutz der Privatsph&auml;re als Standortfaktor f&uuml;r den internationalen Finanzplatz. Er betonte damals, dass das Bankgeheimnis nicht zur Disposition stehe.^{<a title="" href="#_ftn22" name="_ftnref22">22</a>}</p> <p>W&auml;hrend das Bankgeheimnis im Inland f&uuml;r in der Schweiz ans&auml;ssige Personen mit Bezug auf ihre Verm&ouml;genswerte in der Schweiz weiterbesteht, ist es im Verh&auml;ltnis zu den jeweiligen Partnerstaaten der Schweiz beim AIA nicht mehr existent.^{<a title="" href="#_ftn23" name="_ftnref23">23</a>}</p> <h3>3.3 Haltung der ESTV</h3> <p>Die ESTV hat sich im September 2017 zur Frage ge&auml;ussert, wie sich der AIA auf die M&ouml;glichkeiten zur (straflosen) Selbstanzeige auswirkt.^{<a title="" href="#_ftn24" name="_ftnref24">24</a>} Damals waren die gesetzlichen Grundlagen f&uuml;r die Umsetzung des AIA in der Schweiz bereits in Kraft und die Daten wurden im Hinblick auf den ersten Austausch im Jahr 2018 gesammelt.&nbsp;</p> <p>Die ESTV hielt fest, dass die zust&auml;ndigen kantonalen Steuerverwaltungen zu beurteilen haben, ob eine Selbstanzeige die gesetzlichen Voraussetzungen erf&uuml;llt. Dazu geh&ouml;rt auch die Frage, &laquo;ob die Steuerverwaltung von den zur Anzeige gebrachten Steuerfaktoren bereits Kenntnis hatte und die Anzeige deshalb nicht aus eigenem Antrieb erfolgt&raquo;.</p> <p>Im Hinblick auf Steuerfaktoren, die dem AIA unterliegen, vertritt die ESTV die Ansicht, dass die Kenntnis von der Steuerhinterziehung vorausgesetzt wird. Damit ist eine straflose Selbstanzeige f&uuml;r diese Einkommensfaktoren nicht mehr m&ouml;glich. Dies ist der Fall f&uuml;r Selbstanzeigen ab dem 30. September 2018, jedenfalls f&uuml;r Eink&uuml;nfte und Verm&ouml;genswerte in Partnerstaaten, welche im Jahr 2017 gesammelt und 2018 erstmals ausgetauscht worden sind. F&uuml;r Eink&uuml;nfte und Verm&ouml;genswerte, die erst nach 2017 bestehen oder die aus Staaten stammen, die dem AIA mit der Schweiz sp&auml;ter als per 2017 beitreten, sind Selbstanzeigen jeweils bis zum 30. September des erstmaligen Datenaustausches m&ouml;glich.</p> <p>Dass die ESTV sich 2017 explizit zu einer Auslegungsfrage &auml;usserte, h&auml;ngt damit zusammen, dass die ESTV f&uuml;r eine richtige und einheitliche Veranlagung der direkten Bundessteuer zu sorgen hat.^{<a title="" href="#_ftn25" name="_ftnref25">25</a>} W&auml;hrend der ESTV bei der direkten Bundessteuer eine umfassende Aufsichtskompetenz zukommt, ist dies im Bereich der Steuerharmonisierung nicht der Fall. Die ESTV kann gegen eine Veranlagung der direkten Bundessteuer Beschwerde einreichen,<a title="" href="#_ftn26" name="_ftnref26">²⁶</a> d.h., insbesondere wenn sie mit der Festlegung der Einkommensfaktoren nicht einverstanden ist. Wenn es hingegen um die Verm&ouml;gensfaktoren geht, also das steuerbare und/oder satzbestimmende Verm&ouml;gen, kann die ESTV nur gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide Beschwerde ans das Bundesgericht f&uuml;hren. Wenn ein Kanton somit zugunsten eines Steuerpflichtigen und in Abweichung der Haltung der ESTV eine straflose Selbstanzeige zul&auml;sst und es nur um eine Nachbesteuerung des Verm&ouml;gens geht, wird in der Regel der Steuerpflichtige keine Beschwerde einreichen. Hier ist es der ESTV dann verwehrt, den Fall gerichtlich beurteilen zu lassen.&nbsp;</p> <p>Aus der Haltung der ESTV wird nicht explizit klar, ob infolge AIA nur die straflose Selbstanzeige oder auch die vereinfachte Nachbesteuerung von Erben^{<a title="" href="#_ftn27" name="_ftnref27">27</a>} ausgeschlossen sein soll. Der vereinfachten Nachbesteuerung unterliegen Verm&ouml;genswerte und Eink&uuml;nfte, die der Erblasser hinterzogen hat. Die drei unter Ziff. 3.1. genannten Voraussetzungen f&uuml;r eine Nachbesteuerung sind identisch. Es fehlt lediglich der Hinweis im Einleitungssatz der Bestimmung, dass eine Anzeige spontan/von selbst erfolgen soll. Es wird vorliegend davon ausgegangen, dass die ESTV die vereinfachte Nachbesteuerung gleich behandeln w&uuml;rde wie die straflose Selbstanzeige.</p> <p>Die Haltung der ESTV ist rechtlich unverbindlich. Es handelt sich um eine blosse Darlegung ihrer Sichtweise. Ein Gericht w&uuml;rde die Verlautbarung wohl in Betracht ziehen, jedenfalls insofern es sich um eine &uuml;berzeugende Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben handelt &ndash; was nachfolgend zu pr&uuml;fen ist.<a title="" href="#_ftn28" name="_ftnref28">²⁸</a></p> <h3>3.4 Praxis der Kantone</h3> <p>F&uuml;r die Beurteilung der Selbstanzeigen im Bereich des <a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1991/1184_1184_1184">DBG</a> und <a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1991/1256_1256_1256">StHG</a> sind die kantonalen Steuerverwaltungen zust&auml;ndig. Ob eine Straflosigkeit auch bei AIA f&uuml;r ausl&auml;ndische Steuerfaktoren weiterhin m&ouml;glich ist, wird unterschiedlich beantwortet.<a title="" href="#_ftn29" name="_ftnref29">²⁹</a></p> <p>Die Praxis l&auml;sst sich grunds&auml;tzlich in zwei Positionen einteilen:</p> <ol> <li>Die Mehrheit der Kantone orientiert sich an der Verlautbarung der ESTV und wendet diese generell oder mindestens dem Grundsatz nach an. Selbstanzeigen betreffend ausl&auml;ndische Bankkonten und Wertschriftendepots bleiben in den entsprechenden Kantonen deshalb im heutigen Zeitpunkt grunds&auml;tzlich nicht mehr straffrei.</li> <li>Einige Kantone befassen sich insofern mit den konkreten Umst&auml;nden des einzelnen Falles, als dass der AIA mit dem entsprechenden Partnerstaat die Straflosigkeit nicht per se ausschliesst. So muss beispielsweise im Kanton Z&uuml;rich die AIA-Meldung aktiv, d.h. durch einen Mitarbeiter der Steuerbeh&ouml;rde, zur Kenntnis genommen worden sein, damit die Straflosigkeit entf&auml;llt. Im Kanton Basel-Stadt werden Selbstanzeigen im Zusammenhang mit dem AIA straflos behandelt, wenn sie eingehen, bevor die entsprechenden Finanzinformationen abgerufen und dem Steuerfall zugeordnet oder von der Steuerverwaltung sonstwie entdeckt wurden. Auch im Kanton Freiburg ist eine straflose Selbstanzeige weiterhin zul&auml;ssig, sofern die Steuerverwaltung vom entsprechenden Konto noch nicht konkret Kenntnis genommen hat.</li> </ol> <p>In allen Kantonen ist es so, dass eine Selbstanzeige zumindest strafmindernd im Rahmen der Strafzumessung ber&uuml;cksichtigt werden kann, wenn die Voraussetzungen f&uuml;r die Straflosigkeit nicht erf&uuml;llt sind. Eine Selbstanzeige kann als kooperative Mitwirkung gew&uuml;rdigt werden. Anstelle einer Busse in H&ouml;he von 100% der hinterzogenen Steuer w&auml;re dann die Busse zu reduzieren, z.B. im Bereich von 33% bis 50%, festzulegen &ndash; jedenfalls dann, wenn nicht gleichzeitig straferh&ouml;hende Faktoren zu ber&uuml;cksichtigen sind.</p> <h3>3.5 Rechtsprechung</h3> <p>Das Bundesgericht hat sich bislang nicht zur Frage der Auswirkungen des AIA auf straflose Selbstanzeigen ge&auml;ussert. Auch kantonale Gerichtsentscheide zu dieser Thematik sind bislang nicht bekannt.</p> <p>Das Bundesgericht hat sich im Rahmen der Pr&uuml;fung der straflosen Selbstanzeige bereits wiederholt mit der &laquo;Spontaneit&auml;t&raquo; befasst.<a title="" href="#_ftn30" name="_ftnref30">³⁰</a> Gem&auml;ss der romanischen Fassungen des <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1991/1184_1184_1184/de">DBG</a> hat eine Anzeige &laquo;spontan&raquo; (spontan&eacute;ment, spontaneamente) zu erfolgen, um strafbefreiende Wirkung zu entfalten. Diese Spontaneit&auml;t fehlt, wenn die Steuerbeh&ouml;rden im selben Zusammenhang bereits untersuchen und eine Steuerpflichtige nach allgemeiner Lebenserfahrung davon ausgehen muss, dass die Steuerbeh&ouml;rden die Steuerhinterziehung nach dem gew&ouml;hnlichen Lauf der Dinge auch ohne Anzeige von sich aus entdecken werden. Unter diesen Umst&auml;nden kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Steuerpflichtige noch auf eigene Initiative handelt. Sie sieht sich vielmehr in die Enge getrieben und gezwungen, sich selbst anzuzeigen.&nbsp;</p> <h2>4. Kritische W&uuml;rdigung</h2> <h3>4.1 Ausgangslage im Gesetz</h3> <p>Die straflose Selbstanzeige im Bereich des <a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1991/1184_1184_1184">DBG</a> und <a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1991/1256_1256_1256">StHG</a> hat einen gesetzlich vorgegebenen Anwendungsbereich. Vorliegend interessiert die Voraussetzung der Kenntnis der Steuerbeh&ouml;rden von der Steuerhinterziehung.</p> <p>Die Haltung der ESTV, an der sich die Mehrheit der Kantone orientieren, ist umstritten.<a title="" href="#_ftn31" name="_ftnref31">³¹</a> Die Argumentation ist insofern sprunghaft, dass infolge des AIA die Kenntnis von der Steuerhinterziehung vorausgesetzt werde und deshalb die Selbstanzeige nicht aus eigenem Antrieb erfolge.</p> <p>Warum eine Selbstanzeige vorgenommen wird, ist dem Wortlaut nach nicht Gegenstand der Voraussetzungen im <a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1991/1184_1184_1184">DBG</a> und <a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1991/1256_1256_1256">StHG</a>: Demgem&auml;ss darf f&uuml;r eine straflose Selbstanzeige die Hinterziehung keiner Steuerbeh&ouml;rde bekannt sein. Auf Franz&ouml;sisch &laquo;qu&rsquo;aucune autorit&eacute; fiscale n&rsquo;en ait connaissance&raquo; und auf Italienisch &laquo;la sottrazione d&rsquo;imposta non sia nota ad alcuna autorit&agrave; fiscale&raquo;.^{<a title="" href="#_ftn32" name="_ftnref32">32</a>}</p> <p>F&uuml;r die Beweggr&uuml;nde der Selbstanzeige wird in der Rechtsprechung und Lehre auf den franz&ouml;sischen bzw. italienischen Einleitungssatz zu den entsprechenden Bestimmungen im <a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1991/1184_1184_1184">DBG</a> und <a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1991/1256_1256_1256">StHG</a> verwiesen: &laquo;d&eacute;nonce spontan&eacute;ment&raquo; bzw. &laquo;denuncia spontaneamente&raquo;. In der deutschen Fassung fehlt es am Wort &laquo;spontan&raquo;. Vielmehr heisst es, die Steuerpflichtige zeigt erstmals eine Steuerhinterziehung &laquo;selbst&raquo; an. Aus dem Gesetzeswortlaut gibt es aber keine Verkn&uuml;pfung zwischen Beweggrund der Steuerpflichtigen und Kenntnis bei den Steuerbeh&ouml;rden. Auch in der deutschsprachigen Botschaft war diese Spontaneit&auml;t kein Thema. Es wurde in den Erl&auml;uterungen des Gesetzesentwurfes lediglich festgehalten, die steuerpflichtige Person bereue ihr fehlbares Verhalten und zeige sich selbst an.<a title="" href="#_ftn33" name="_ftnref33">³³</a></p> <p>Der Wortlaut des <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1991/1184_1184_1184/de">DBG</a> und <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1991/1256_1256_1256/de">StHG</a> schliesst Steuerpflichtige, deren unversteuerten Eink&uuml;nfte und Verm&ouml;genswerte dem AIA unterliegen, nicht explizit von einer straflosen Selbstanzeige aus. Weil vorausgesetzt wird, dass die Steuerhinterziehung noch keine Steuerbeh&ouml;rde bekannt ist, ist es gerechtfertigt, die Straflosigkeit einer Selbstanzeige zu verneinen, wenn die Steuerbeh&ouml;rden bereits Verdacht gesch&ouml;pft haben und mindestens Indizien f&uuml;r eine Unvollst&auml;ndigkeit der Steuererkl&auml;rung haben. Ob eine Entdeckung in diesem Sinne bereits stattgefunden hat, ist anhand der konkreten Fakten und Umst&auml;nde des Einzelfalls zu beurteilen.</p> <h3>4.2 Zweck der (straflosen) Selbstanzeige</h3> <p>Die M&ouml;glichkeit der straflosen Selbstanzeige soll Steuerpflichtige motivieren bisher unversteuerte Eink&uuml;nfte und Verm&ouml;genswerte offenzulegen. Der Gesetzgeber wollte Anreize schaffen, dass hinterzogenes Verm&ouml;gen und dessen Ertr&auml;ge der Legalit&auml;t zugef&uuml;hrt werden.^{<a title="" href="#_ftn34" name="_ftnref34">34</a>} Aus welchem Beweggrund schliesslich die Deklaration erfolgt, ist insofern nicht relevant, als dies nicht explizit gepr&uuml;ft werden muss. Solange die Hinterziehung den Steuerbeh&ouml;rden noch nicht bekannt ist (oder diese keinen konkreten Verdacht gesch&ouml;pft haben), ist die Selbstanzeige diesbez&uuml;glich in Ordnung. Wenn Steuerpflichtige &uuml;ber Jahre unvollst&auml;ndige Steuererkl&auml;rungen abgegeben haben, kann dies einerseits ein blosses Versehen gewesen sein, andererseits d&uuml;rften einige die (Nicht-)Deklaration aber durchaus in voller Kenntnis der Sachlage gemacht haben. Deshalb kann wohl mindestens bei einem Teil der Steuerpflichtigen davon ausgegangen werden, dass diese eine Selbstanzeige aus der Angst vor einer Entdeckung und anschliessenden Busse vornehmen.</p> <p>Die blosse Tatsache, dass unversteuerte Verm&ouml;genswerte und Eink&uuml;nfte in einem AIA-Partnerstaat der Schweiz liegen, soll nicht dazu f&uuml;hren, die straflose Selbstanzeige per se auszuschliessen. Vielmehr d&uuml;rfte sich der Anreiz verk&uuml;rzen, vergessene Konten zu melden, wenn per se mit Bussen gerechnet werden muss.</p> <p>Zudem w&uuml;rden Steuerpflichtige, welche vor einem Zuzug in die Schweiz ihre Verm&ouml;genswerte in Staaten ohne AIA (oder zu einer Schweizer Bank) verschieben, besser dastehen, weil ihnen das Instrument der straflosen Selbstanzeige erhalten bleibt.</p> <h3>4.3 Auswirkungen der Digitalisierung</h3> <p>Das digitale Zeitalter f&uuml;hrt dazu, dass die Rechte der Steuerzahler neu definiert werden m&uuml;ssen. Der AIA zielt darauf ab die Steuertransparenz zu erh&ouml;hen und die grenz&uuml;berschreitende Steuerhinterziehung zu verhindern. Wenn Schweizer Steuerbeh&ouml;rden die Daten f&uuml;r die &Uuml;berpr&uuml;fung der Steuerakten der Steuerpflichtigen verwenden, so entspricht dies dem Zweck der urspr&uuml;nglichen Datenerhebung. Die Privatsph&auml;re und der Datenschutz werden damit international eingeschr&auml;nkt. Wie sich der AIA zur freiwilligen Offenlegung von Einkommen und Verm&ouml;gen durch die Steuerpflichtigen verh&auml;lt, ist nicht vorgegeben.</p> <p>Die Digitalisierung und damit einhergehend auch der AIA zwischen den teilnehmenden Staaten haben die Datenerhebung ver&auml;ndert. Daten der Steuerpflichtigen werden massenhaft erfasst und anschliessend automatisiert auf der Welt verteilt. Gleiche Daten, wie z.B. der Verm&ouml;gensstand eines Kontos per Ende eines Jahres, werden oft mehrfach gemeldet, z.B. durch die Steuerpflichtigen im Rahmen der Steuererkl&auml;rungen und durch die Finanzdienstleister f&uuml;r die Zwecke des Informationsaustausches. Daten werden im Vergleich zu fr&uuml;her im gr&ouml;sseren Umfang ausgetauscht.</p> <p>Ein Ausschluss der M&ouml;glichkeit der straflosen Selbstanzeige in Konstellationen des AIA verschlechtert die Rechtsposition der Steuerpflichtigen. Mit der Haltung der ESTV, die Straflosigkeit f&uuml;r die dem AIA unterliegenden Steuerfaktoren auszuschliessen, bewegen wir uns weg von einer Pr&uuml;fung des Einzelfalles. F&uuml;r die Steuerpflichtigen f&uuml;hrt dies zu erh&ouml;hter Intransparenz, weil nicht feststeht, ob ihre Daten in der Tat ausgetauscht und von den zust&auml;ndigen Kantonen im jeweiligen Steuerdossier erfasst worden sind. Die Steuerpflichtigen wissen nicht, ob die Steuerverwaltung die erhaltenen Daten &uuml;berhaupt bearbeiten und zeitnah verwendet. Verobjektiviert geht die ESTV davon aus, dass die Hinterziehung einer Steuerbeh&ouml;rde bekannt ist, sofern die Verm&ouml;genswerte oder Eink&uuml;nfte in einem Land verbucht worden sind, das den AIA mit der Schweiz pflegt.</p> <h2>5. Fazit</h2> <p>Ob die Massenerfassung von ausl&auml;ndischen Finanzdaten die M&ouml;glichkeit der straflosen Selbstanzeige ausschliesst, ist eine Frage der Gesetzesauslegung. Weder Wortlaut noch Entstehungsgeschichte und Zweck bieten ausreichend Kl&auml;rung. Vielmehr f&uuml;hrt das digitale Zeitalter dazu, dass die Rechte der Steuerzahler neu definiert werden m&uuml;ssen. Eine h&ouml;chstrichterliche oder gesetzgeberische Pr&auml;zisierung ist erforderlich, um die Rechtssicherheit der Steuerpflichtigen zu verbessern.</p> <p>Die straflose Selbstanzeige hat sich in den letzten zehn Jahren zu einem bew&auml;hrten Instrument in der Praxis entwickelt. Steuerpflichtige mit relevanten Finanzkonti in Partnerstaaten des AIA von der straflosen Selbstanzeige auszuschliessen, privilegiert Steuerhinterziehung &uuml;ber Schweizer Banken und &uuml;ber L&auml;nder, welche den globalen Standard des AIA nicht anwenden. Ein grossz&uuml;giger Anwendungsbereich der straflosen Selbstanzeige f&ouml;rdert dagegen die Steuerehrlichkeit und motiviert die Steuerverwaltungen, die AIA-Daten zeitnah zu verarbeiten. So lange die ausgetauschten Daten von einer kantonalen Steuerverwaltung nicht tats&auml;chlich mit dem Dossier eines Steuerpflichtigen abgeglichen worden sind, ist daf&uuml;r zu pl&auml;dieren, eine straflose Selbstanzeige weiterhin zuzulassen.</p></article>