<article class="rz"><h2>1. Einleitung<a title="" href="#_ftn1" name="_ftnref1"><strong><sup>01</sup></strong></a></h2>
<h3>1.1 Automatisierung der Kerntätigkeiten</h3>
<p>Die Kernaufgaben der kantonalen Steuerverwaltungen sind die Veranlagung und der Bezug der erhobenen Steuern.<a title="" href="#_ftn2" name="_ftnref2"><sup>02</sup></a> Im vorliegenden Beitrag fokussieren wir auf die Veranlagung, welche als ein Verwaltungsverfahren die üblichen drei Stadien der Einleitung, der Ermittlung und des Entscheids durchläuft.<a title="" href="#_ftn3" name="_ftnref3"><sup>03</sup></a> In all diesen Phasen nutzen die Steuerverwaltungen technische Hilfsmittel, wozu inzwischen vor allem Fachapplikationen gehören. Uns interessiert vorliegend besonders die Bearbeitung der Steuererklärungen, welche die Prüfung und allenfalls nähere Untersuchung des Sachverhaltes, die steuerrechtliche Beurteilung und den Entscheid mittels Veranlagungsverfügung beinhaltet. Dabei setzen die Steuerverwaltungen algorithmische, regelbasierte Anwendungen ein, um die mit den Steuererklärungen erhaltenen und aus weiteren Quellen verfügbaren Informationen automatisiert zu verarbeiten und gestützt darauf unter gewissen Voraussetzungen automatische Veranlagungsverfügungen vorzunehmen.<a title="" href="#_ftn4" name="_ftnref4"><sup>04</sup></a></p>
<h3>1.2 KI auf dem Vormarsch</h3>
<p>Am Horizont bereits erkennbar ist ein weiterer technologischer Sprung, hin zu «KI»-Veranlagungen, bei denen das Veranlagungssystem aus einer Vielzahl von Daten mehr oder weniger autonom die Regeln bildet, welche es auf die zu beurteilenden Fälle anwendet. Die Anwendung von künstlicher Intelligenz (KI) durch Behörden im Steuerbereich ist in der Schweiz auf dem Vormarsch.<a title="" href="#_ftn5" name="_ftnref5"><sup>05</sup></a> Dass es sich mit oder ohne KI-Einsatz bei jeder Art von automatisierter Veranlagung nicht mehr um Taschenrechner oder Excel-Tabellen handelt, welche die Mitarbeitenden der Steuerverwaltungen bloss bei ihrer Veranlagungstätigkeit unterstützen, ist offensichtlich. Die neueren Entwicklungen führen zu einer vom historischen Gesetzgeber quantitativ und qualitativ nicht vorhersehbaren Bearbeitung der Daten der Steuerpflichtigen. Die Gesetzgebung hinkt naturgemäss nach.</p>
<h3>1.3 Digitalisierung in den Köpfen</h3>
<p>Die Tempounterschiede zwischen technologiegetriebener digitaler Transformation und gesellschaftlich-politischer Auseinandersetzung, die in Gesetzgebungsprozesse mündet, erzeugen Spannungsfelder. Diese manifestieren sich mitunter im Verwaltungsbetrieb, wenn sich digitale Innovation durch ein zähflüssiges Recht behindert oder umgekehrt das Rechtsbewusstsein durch eine agile Digitalisierungswelle bedrängt wähnt.</p>
<p>Solche Symptome indizieren, dass eine Organisation ihren Reifegrad für die digitale Transformation noch erhöhen muss. Dazu gehört ein gemeinsames Verständnis der digitalen Transformation von Behörden im Rechtsstaat. Eine gelingende Digitalisierung ist mithin nicht bloss eine Frage der Technik und ihrer Umsetzung sowie des Rechtsrahmens. Letzterer bildet indes Gegenstand unseres Beitrags und wird nachfolgend näher behandelt.</p>
<h3>1.4 Zwischen Legitimation und Innovation</h3>
<p>Im Sinne der vorstehenden Ausführungen befassen wir uns nachfolgend mit ausgewählten Rechtsnormen im Kontext der Automatisierung in den kantonalen Steuerverwaltungen. Wir gehen dabei der Frage nach, welche Möglichkeiten und Anforderungen sich daraus ergeben.</p>
<p>Im behördlichen Bereich ist die technologisch getriebene Innovation anders als bei privaten Akteuren auf demokratisch-rechtsstaatliche Legitimation angewiesen alles Verwaltungshandeln ist Rechtshandeln. Dies gilt besonders für das Steuerwesen als Eingriffsverwaltung, aber ebenso für die Bearbeitung von Personendaten durch Behörden, handelt es sich doch auch hierbei um Eingriffe in die grundrechtlich geschützte informationelle Selbstbestimmung. Zu diesen Fragen hat sich seit einigen Jahren eine Diskussion und Forschungstätigkeit entwickelt.<a title="" href="#_ftn6" name="_ftnref6"><sup>06</sup></a></p>
<p>Wenig Beachtung findet, soweit für uns ersichtlich, bislang, dass Rechtsnormen nicht nur die Zulässigkeit, Ausgestaltung und Grenzen einer zunehmenden Automatisierung regeln, sondern diese mitunter auch verlangen. Darauf wollen wir vorab kurz eingehen.</p>
<h2>2. Automatisierungspflicht</h2>
<h3>2.1 Pflicht zur Effizienz</h3>
<p>Welche technischen Mittel die Verwaltung konkret einzusetzen hat, um ihre gesetzlichen Aufgaben optimal zu erfüllen, steht nicht im Gesetz. Dafür verpflichtet das moderne Verwaltungsrecht die Verwaltung, exemplarisch die Bundesverwaltung, nach den Grundsätzen der Zweckmässigkeit und der Wirtschaftlichkeit zu handeln.<a title="" href="#_ftn7" name="_ftnref7"><sup>07</sup></a> Damit sollte ein zielorientiertes, effizientes, sparsames und betriebswirtschaftliches Verwaltungshandeln verankert werden.<a title="" href="#_ftn8" name="_ftnref8"><sup>08</sup></a> Zusammen mit der Rechtmässigkeit, erweitert um die Ordnungsmässigkeit und Wirksamkeit, bilden sie die Kriterien zur Überprüfung des Verwaltungshandelns.<a title="" href="#_ftn9" name="_ftnref9"><sup>09</sup></a></p>
<p>Ausgehend vom fundamentalen Prinzip der Rechtmässigkeit gehören somit auch die Wirksamkeit (Effektivität) und Wirtschaftlichkeit (Effizienz) zu den gesetzlichen Anforderungen an die Verwaltungstätigkeit. Somit muss eine Massnahme nicht nur wirksam, also objektiv geeignet sein, um die beabsichtigte Wirkung zu entfalten. Sie muss auch im optimalen Kosten-Nutzen-Verhältnis stehen, also sparsam, wirtschaftlich sein.<a title="" href="#_ftn10" name="_ftnref10"><sup>10</sup></a> </p>
<h3>2.2 Pflicht zur Automatisierung</h3>
<p>In seiner «Strategie Digitale Verwaltung des Kantons Bern» aus dem Jahr 2019 hebt der Regierungsrat des Kantons Bern zwei Gründe für die Digitalisierung hervor: Einerseits die Erwartungshaltung der Nutzerinnen und Nutzer an die Produkte und Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltungen. Anderseits die Chance, durch den Einsatz neuer Technologien und angepasster Verfahren kantonale Dienstleistungen effizienter zu erbringen.<a title="" href="#_ftn11" name="_ftnref11"><sup>11</sup></a> Die öffentliche Hand stehe unter Spardruck.<a title="" href="#_ftn12" name="_ftnref12"><sup>12</sup></a> Eine systematisch geplante und nachhaltige Entwicklung der digitalen Verwaltung verspreche mehr Effizienz und Effektivität in der Verwaltungstätigkeit, zum konkreten Nutzen gehörten die Einsparung von Ressourcen, die Entlastung des Personals dank Eliminierung von Medienbrüchen und Automatisierung, und die vereinfachte Verwaltungstätigkeit durch Nutzung von behördenübergreifenden Daten.<a title="" href="#_ftn13" name="_ftnref13"><sup>13</sup></a> Das kantonalbernische Gesetz über die digitale Verwaltung verankert entsprechend das «digitale Primat» im Behördenhandeln (Art. 5 Abs. 1 DVG).<a title="" href="#_ftn14" name="_ftnref14"><sup>14</sup></a></p>
<p>Das Beispiel des Kantons Bern zeigt, dass die Automatisierung zu den Massnahmen für eine möglichst effiziente und effektive Verwaltung zählt. Soweit sie es ermöglicht, mit weniger Ressourcen den gleichen oder grösseren Arbeitsanfall zu bewältigen und unter Umständen sogar einen Beitrag zu einer höheren Qualität zu leisten, drängt sie sich förmlich auf. Zugespitzt formuliert, ist u.E. eine Verwaltung verpflichtet, eine unter den Aspekten der Effizienz und Effektivität gebotene Automatisierung, unter Einhaltung der rechtlichen Vorgaben, vorzunehmen.</p>
<p>Zum rechtlichen Rahmen gehören Anforderungen aufgrund des Legalitätsprinzips und des Verfahrensrechts. Nachfolgend beleuchten wir verschiedene dieser Aspekte etwas näher.</p>
<h2>3. Legalitätsprinzip</h2>
<h3>3.1 Eingriffe durch Besteuerung und Bearbeitung von Personendaten</h3>
<p>Mit der Besteuerung greift das Gemeinwesen in die grundrechtlich geschützte Sphäre der steuerpflichtigen Person einie Steuerbehörden betreiben Eingriffsverwaltung.<a title="" href="#_ftn15" name="_ftnref15"><sup>15</sup></a> Dem Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Steuer kommt im Abgaberecht deshalb die Bedeutung eines verfassungsmässigen Rechts zu.<a title="" href="#_ftn16" name="_ftnref16"><sup>16</sup></a> Um einen Grundrechtseingriff handelt es sich auch, wenn Behörden Personendaten bearbeiten.<a title="" href="#_ftn17" name="_ftnref17"><sup>17</sup></a> Die beiden Eingriffe gehen im Steuerwesen zwar Hand in Hand, sind jedoch zu unterscheiden.</p>
<p>Je nach Steuerart variieren Umfang und Ausmass der Datenbearbeitung stark. Die wenig bedeutsame reine Kopfsteuer etwa, bei der eine fixe Steuer pro steuerpflichtige Person erhoben wird, knüpft an den Wohnsitz oder Aufenthalt an und setzt ein bestimmtes Alter voraus, ohne dass noch eine Bemessung nötig bzw. möglich wäre. Sie kommt mit wenigen, nicht besonders schützenswerten Personendaten aus. Demgegenüber erfordert etwa die Einkommenssteuer eine Vielzahl von mitunter sogar besonders schützenswerten Personendaten, beispielsweise bei Abzug von Krankheitskosten.</p>
<p>Jede behördliche Bearbeitung von Personendaten braucht eine gesetzliche Grundlage.<a title="" href="#_ftn18" name="_ftnref18"><sup>18</sup></a> Wegen der strengen Geltung des Legalitätsprinzips im Abgaberecht umschreiben die Steuergesetze die Steuerpflicht, die Steuerbemessung und das Verfahren einschliesslich der behördlichen Aufgabenteilung bis hin zum Bezug der Steuern.<a title="" href="#_ftn19" name="_ftnref19"><sup>19</sup></a> Die mit der Veranlagung einhergehende Bearbeitung von Personendaten erfährt somit mittelbar eine detaillierte Regelung. Aus dem Geflecht der umfassenden Regelung ergibt sich bereits auf Stufe des formellen Gesetzes weitgehend, welche Personendaten zu Steuerzwecken durch wen bearbeitet werden dürfen.<a title="" href="#_ftn20" name="_ftnref20"><sup>20</sup></a> Eine gesonderte formellgesetzliche Regelung zur Bearbeitung von Personendaten ist u.E. insofern nicht nötig.<a title="" href="#_ftn21" name="_ftnref21"><sup>21</sup></a></p>
<h3>3.2 Eingriffe durch Automatisierung</h3>
<p>Da die Automatisierung des Veranlagungsverfahrens keine neuen Steuerpflichten und Steuertatbestände schafft, betrifft sie nicht den spezifischen Anwendungsbereich des Legalitätsprinzips im Abgaberecht.<a title="" href="#_ftn22" name="_ftnref22"><sup>22</sup></a> Dennoch tangiert die Automatisierung, die es anders als die manuelle Bearbeitung ermöglicht, den grossen vorhandenen Datenbestand auf neuartige Weise zu bearbeiten, grundrechtlich geschützte Positionen, namentlich die informationelle Selbstbestimmung und Verfahrensgarantien.<a title="" href="#_ftn23" name="_ftnref23"><sup>23</sup></a> Das DSG hält explizit fest, dass auch die Art und Weise der Bearbeitung zu einem schweren Grundrechtseingriff führen kann.<a title="" href="#_ftn24" name="_ftnref24"><sup>24</sup></a> Diesfalls gehören die grundlegenden Bestimmungen auf Stufe des formellen Gesetzes<a title="" href="#_ftn25" name="_ftnref25"><sup>25</sup></a> und es ist weiter zu prüfen, welche Normdichte erforderlich ist. Hier wie anderswo kommt den Regelungen des DSG wenn nicht in den Details, so doch in den groben Zügen auch Bedeutung für die Kantone zu, handelt es sich dabei doch um die Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Datenschutzes.<a title="" href="#_ftn26" name="_ftnref26"><sup>26</sup></a></p>
<h3>3.3 Risikobasierter Ansatz</h3>
<p>Zur digitalen Realität gehört, dass es kein Nullrisiko für die Rechte der betroffenen Personen gibt und dass Risikobeurteilungen im technologischen Umfeld durch ein Zusammenspiel von diversen Faktoren geprägt sind, was die Abschätzung und auch Verminderung durch Massnahmen herausfordernd macht. Das moderne Datenschutzrecht reagiert darauf, indem es vom risikobasierten Ansatz geprägt ist. Dieser war denn auch die erste Leitlinie für die Totalrevision des DSG.<a title="" href="#_ftn27" name="_ftnref27"><sup>27</sup></a> Nach diesem Ansatz variieren die Anforderungen an Regelungen und Massnahmen je nach Risiko der fraglichen Vorhaben und Tätigkeiten. In der Datenschutzpraxis der kantonalen Exekutivbehörden bzw. Verwaltungen wird der risikobasierte Ansatz regelmässig angewendet.<a title="" href="#_ftn28" name="_ftnref28"><sup>28</sup></a> In der Auslegeordnung zur Regulierung von künstlicher Intelligenz vom 12. Februar 2025 zuhanden des Bundesrats stellt das BAKOM bzw. UVEK fest, dass der risikobasierte Ansatz zur Regulierung von KI, wie ihn die EU im AI Act verfolge, scheinbar auch international von weiteren Staaten übernommen werde.<a title="" href="#_ftn29" name="_ftnref29"><sup>29</sup></a></p>
<p>Wir sind der Auffassung, dass der risikobasierte Ansatz bei der Normierung von risikobehafteten Technologieeinsatz sachgerecht und zielführend ist. Er sollte deshalb auch bei der Regelung der Automatisierung, einschliesslich dem Einsatz von KI, zugrunde gelegt werden.</p>
<h3>3.4 Technolgieneutrale Regelung</h3>
<p>Zu den Herausforderungen einer gesetzlichen Regelung der Automatisierung gehört, dass sich die zugrundeliegende Technologie rasch weiterentwickelt. Bei hoher Technizität oder rascher Veränderlichkeit der zu regelnden Verhältnisse mag der Gesetzgeber mithin nicht als das geeignete Regelungsorgan erscheinen.<a title="" href="#_ftn30" name="_ftnref30"><sup>30</sup></a> Anderseits gibt es einen Mindestinhalt des formellen Gesetzes, welcher nicht an die Exekutive und ihr Verordnungsrecht delegiert werden kann.<a title="" href="#_ftn31" name="_ftnref31"><sup>31</sup></a> Auf der Suche nach einer Balance zwischen Legitimation und Innovation, Rechtssicherheit und Flexibilität, Verständlichkeit und Präzision drängt es sich deshalb auf, die Rechtsnormen möglichst technologieneutral auszugestalten.</p>
<p>So macht es das totalrevidierte DSG des Bundes, namentlich wenn es mit Art. 21 DSG eine Informationspflicht bei einer automatisierten Einzelentscheidung vorsieht oder in Art. 35 DSG Erleichterungen für die automatisierte Datenbearbeitung im Rahmen von Pilotversuchen statuiert. Das DSG berücksichtigt mit besonderen Vorschriften zur Automatisierung zwar die technologische Entwicklung, um den sich daraus ergebenden Risiken begegnen zu können. Es tut dies aber auf einer höheren Abstraktionsstufe und vermeidet es, kurzlebige Inhalte wie konkrete Technologien aufzunehmen.</p>
<p>Ein anderes Beispiel ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil der Abgabenerhebung und die Kontrolle des grenzüberschreitenden Waren- und Personenverkehrs durch das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG-Vollzugsaufgabengesetz, BAZG-VG), welches von den Eidg. Räten am 20. Juni 2025 in der Schlussabstimmung angenommen wurde.<a title="" href="#_ftn32" name="_ftnref32"><sup>32</sup></a> Wie die Botschaft ausführt, sollen namentlich die ca. 80 eigenständigen Fachanwendungen, die als «Monolithen» ausgestaltet sind, durch ein Informationssystem mit einer «Microservice-Architektur», die mit verschiedenen Bündeln von Microservices die bisherigen Funktionalitäten der jeweiligen Monolithen realisiert, abgelöst werden.<a title="" href="#_ftn33" name="_ftnref33"><sup>33</sup></a> Deshalb erfolgt die Datenbearbeitung im BAZG-VG nicht mehr entlang verschiedener Informationssysteme, sondern nach den Aufgaben und Prozessen des BAZG. Je nach Risiko bzw. Eingriffsintensität erfolgt die Regelung auf Stufe des formellen Gesetzes oder des Verordnungsrechts inkl. Anhängen.</p>
<h3>3.5 Regelungsinhalte</h3>
<p>Das BAZG-VG ist nicht nur als Beispiel für die Technologie-Neutralität instruktiv. Als formelles Gesetz widmet es der Datenbearbeitung im 8. Titel über fünfzig Artikel. Eine so umfassende Regelung ist für die von den Kantonen veranlagten direkten Steuern nicht nötig. Das BAZG-VG ist im Unterschied zu den Steuergesetzen der Kantone und zum Steuerharmonisierungsgesetz (StHG) ein Rahmengesetz, welches für einen ganzen Strauss von hoheitlichen Aufgaben gilt und bei seinen Regelungen zwischen ihnen unterscheiden muss.<a title="" href="#_ftn34" name="_ftnref34"><sup>34</sup></a> Abgesehen davon gibt es inhaltlich kaum Überraschungen. Geregelt werden u.a. besonders schützenswerte Daten, die Risikoanalysen und Profiling-Aktivitäten, Abrufverfahren sowie die systematische Datenübermittlungen an andere Behörden und ins Ausland. Weiter regelt der Entwurf die Aufbewahrung, Archivierung und Vernichtung von Daten und schliesslich die Qualitätssicherung. Bemerkenswert ist im vorliegenden Zusammenhang, dass Art. 170 Abs. 2 Bst. f. BAZG-VG die Qualitätssicherung beim Einsatz künstlicher Intelligenz explizit erwähnt. Bei alldem manifestiert sich offenkundig der risikobasierte Ansatz.</p>
<p>Für einen Fall wie das E-BAZG-VG hält das Bundesamt für Justiz (BJ) in seinem Gesetzgebungsleitfaden allgemein fest, der Schwerpunkt liege weniger auf der technischen Informatikarchitektur als auf der Datenbearbeitungsarchitektur, d.h. den Bearbeitungszwecken und der Bearbeitungslogik sowie den Datenflüssen und dem Online-Zugriff auf die Daten.<a title="" href="#_ftn35" name="_ftnref35"><sup>35</sup></a></p>
<p>Für Automatisierungen, einschliesslich KI-Anwendungen, sind u.E. namentlich die nachfolgenden Aspekte technologieneutral rechtlich zu normieren:</p>
<ul type="disc">
<li>Zulässigkeit, die Veranlagungstätigkeit zu automatisieren und dabei KI einzusetzen, unter Beachtung der dafür im Steuergesetz und der übrigen Gesetzgebung massgeblichen Rechtsnormen.<a title="" href="#_ftn36" name="_ftnref36"><sup>36</sup></a></li>
<li>Risikobasierter Ansatz bei der Regelung der Automatisierung.<a title="" href="#_ftn37" name="_ftnref37"><sup>37</sup></a> Ohne dessen explizite Normierung droht bei der Auslegung der einschlägigen Rechtsnormen eine Rechtsunsicherheit darüber, ob der risikobasierte Ansatz zulässig sei oder nicht.</li>
<li>Folgenabschätzungspflicht bei Automatisierungsvorhaben. Dieses Instrument hilft, Risiken zu erkennen und mittels definierter Massnahmen ausreichend zu mindern. Zudem werden so die Risiken ausgewiesen, was eine verantwortliche Übernahme durch die entscheidende Instanz ermöglicht. In einem allfällig nötigen Rechtssetzungsprozess ermöglicht es der gesetzgebenden Behörde, sich damit zu befassen und im Bewusstsein der Risiken zu entscheiden, was die Legitimation erhöht.<a title="" href="#_ftn38" name="_ftnref38"><sup>38</sup></a></li>
<li>Datenkategorien und<strong> </strong>Zwecke der automatisierten Bearbeitung. Zu den Risiken der Automatisierung gehört, dass grosse Mengen an unterschiedlichen Daten aus verschiedenen Quellen zu verschiedenen Zwecken bearbeitet werden können. Eine «natürliche» Limitierung und Fokussierung der Behörde aufgrund limitierter Ressourcen entfällt.</li>
<li>Transparenz betreffend den Umstand, dass automatisierte Bearbeitungen stattfinden, betreffend die den Entscheiden zugrundeliegende Logik bzw. zum Entscheidprozess<a title="" href="#_ftn39" name="_ftnref39"><sup>39</sup></a> und betreffend das Ergebnis des automatisierten Entscheidprozesses mittels nachvollziehbarer Erläuterungen.</li>
<li>Verfahrensrechte. Es ist zu regeln, wie die Mitwirkung im Veranlagungsverfahren sichergestellt und die Begründungspflicht erfüllt wird, soweit nicht Menschen das Verfahren leiten, entscheiden und begründen.</li>
<li>Qualitätsmanagement. Für algorithmische Systeme festlegen, wie Regeln entstehen und deren Qualität sichergestellt wird. Für KI-Systeme zusätzlich namentlich normieren, welche Anforderungen an Trainingsdaten und Training gelten, inkl. in welchen Phasen (Entwicklung, Testing, nach Einführung bzw. mit Wiederholung des Trainings, Audits), evtl. Festlegung eines technischen Standards, der bei der Entwicklung zwingend zu berücksichtigen ist.<a title="" href="#_ftn40" name="_ftnref40"><sup>40</sup></a></li>
</ul>
<p>Ergänzend zu Rechtsnormen können auch von den Behörden erarbeitete bzw. verabschiedete Grundsätze oder Leitlinien, namentlich zum Einsatz von KI, zu einer rechtskonformen Verwaltungspraxis beitragen.<a title="" href="#_ftn41" name="_ftnref41"><sup>41</sup></a></p>
<h3>3.6 Grundzüge im formellen Gesetz</h3>
<p>Das Wichtige<em> </em>oder Wesentliche, das ins formelle Gesetz gehört, ist nicht einfach zu bestimmen. Das Minimum des formellgesetzlichen Inhalts ergibt sich aus den Grundsätzen der Gesetzesdelegation an die Exekutive. Diese Delegation ist nach Lehre und Rechtsprechung betreffend die Kantone zulässig, wenn die Delegation durch das kantonale Recht nicht ausgeschlossen ist, im Gesetz selbst enthalten ist, sich auf eine bestimmte Materie beschränkt und wenn das Gesetz selbst die Grundzüge der delegierten Regelung umschreibt, soweit sie die Rechtsstellung der Bürger schwerwiegend berührt.<a title="" href="#_ftn42" name="_ftnref42"><sup>42</sup></a> Dies ist aber nicht im Sinne einer Grundrechtsfixierung zu verstehen Die Indikatoren für die Wesentlichkeit sind vielfältiger, eine Regelung ist wesentlich, wenn sie alternativ «(1) einen grossen Adressatenkreis oder eine grosse Zahl von Lebenssachverhalten betrifft, (2) stark in die bisherige Rechtsstellung der Adressaten eingreift, (3) erhebliche finanzielle Folgen nach sich zieht, (4) für die politische Willensbildung, die Behördenorganisation oder das Verfahren von bestimmender Bedeutung ist oder (5) besonders umstrittene Fragen zum Gegenstand hat».<a title="" href="#_ftn43" name="_ftnref43"><sup>43</sup></a></p>
<p>Nach unserem Dafürhalten sind bei einer Gesamtwürdigung der zunehmenden Automatisierung des Verwaltungshandelns die meisten (und bei einem Einsatz von KI sämtliche) Indikatoren gegeben. Die Automatisierung erfolgt naturgemäss vor allem bei der Massenverwaltung, wo dem dafür nötigen Aufwand die grössten Effizienzgewinne gegenüberstehen.<a title="" href="#_ftn44" name="_ftnref44"><sup>44</sup></a> Somit betrifft die Regelung der Automatisierung regelmässig einen grossen Adressatenkreis. Was die Intensität des Eingriffs angeht, kommt es auf die jeweilige Ausgestaltung der Automatisierung an. Insgesamt aber, wenn man die Automatisierung als Teil der digitalen Transformation der Verwaltung betrachtet, sind intensive Eingriffe zu bejahen. Denn es ist damit zu rechnen, dass die Automatisierung mit der Zeit auch belastende Entscheide (erheblich von der Steuererklärung abweichend) sowie KI-gestützte Entscheide beinhalten wird, und dass weiter auch automatisierte bzw. KI-gestützte Untersuchungsmittel eingesetzt werden.<a title="" href="#_ftn45" name="_ftnref45"><sup>45</sup></a></p>
<p>Löst man sich von den individuellen Eingriffen und schaut auf die Gesamtwirkung, ist wegen der Skalierung in der Massenverwaltung die Wirkung einer Regelung der Automatisierung wohl ebenfalls als wesentlich einzustufen. Diese Skalierung dürfte im Steuerwesen auch oftmals eine finanzielle Erheblichkeit begründen. Die Automatisierung ist weiter für die politische Willensbildung relevant, wenn über beeinflussbare Parameter des automatisierten Systems die Ergiebigkeit der Steuer direkt beeinflusst werden kann. Denn das lädt dazu ein, vom gewünschten Ergebnis her (Budget) auf Parameter des automatisierten Systems einzuwirken. Indem eine erfolgreiche Automatisierung eine Transformation der Verwaltungsprozesse mit sich bringt und diese zu Anpassungen der Organisation führt, ist sie auch für die Behördenorganisation relevant. Automatisierte Prozesse wirken sich ferner auf das Verfahren aus, namentlich im vorliegenden gemischten Veranlagungsverfahren mit Mitwirkung der Steuerpflichtigen. Schliesslich dürfen wohl ohne nähere Erläuterungen KI-gestützte Automatisierungen als besonders umstritten bezeichnet werden, da mit ihnen erstmals der bestimmende Einfluss und mithin die Verantwortung von Menschen für Entscheide grundlegend in Frage gestellt wird und zudem ein Paradigmenwechsel vom kausalen zu einem auf Korrelationen beruhenden Entscheidmodell erfolgen könnte.</p>
<p>Somit betrifft die Regelung der fortschreitenden Automatisierung u.E. Wichtiges oder Wesentliches im Sinne des Legalitätsprinzips, weshalb sie als Ganzes einer formellgesetzlichen Regelung bedarf. Die weiter oben genannten, für die Automatisierung relevanten einzelnen Regelungsinhalte sind deshalb in Grundzügen auf Stufe Gesetz zu regeln. Je nach Schwere des Eingriffs bzw. gestützt auf den risikobasierten Ansatz können die Anforderungen abgestuft ausformuliert werden. Auf die Frage, welche Aspekte mit welcher Normdichte auf Stufe Verordnung zu regeln sind, gehen wir im vorliegenden, einführenden Beitrag nicht ein.</p>
<h3>3.7 Mögliches Vorgehen bei Automatisierungsvorhaben</h3>
<p>Automatisierungsvorhaben beginnen nicht auf einer normativ «grünen Wiese». Es gibt einen vorbestehenden Rechtsrahmen und – jedenfalls in der Massenverwaltung – einen bereits realisierten aktuellen Stand der Automatisierung. Unabhängig von der u.E. nötigen grundlegenden formellgesetzlichen Regelung der Automatisierung kann für ein konkretes, neues Automatisierungsvorhaben in mehreren Schritten untersucht werden, ob eine spezifische gesetzliche Grundlage auf Stufe Gesetz nötig ist.</p>
<p>Zunächst ist der Ist-Zustand festzuhalten, also die bisherigen, gesetzlich legitimierten automatisierten Bearbeitungen.<a title="" href="#_ftn46" name="_ftnref46"><sup>46</sup></a> Weiter ist der Soll-Zustand zu beschreiben und zu prüfen, inwiefern dabei stärker oder anders als bisher in die grundrechtlich geschützten Rechtspositionen der Betroffenen eingegriffen wird oder ob weitere im Sinne des Legalitätsprinzips wesentliche Aspekte tangiert sind. Bejahendenfalls ist näher zu analysieren, inwiefern dies von den bestehenden Rechtsgrundlagen abgedeckt ist oder nicht. Im Grundrechtskontext können auch für kantonale Vorhaben die legistischen Instrumente, welche das Bundesamt für Justiz (BJ) zur Verfügung stellt, hilfreich sein. An dieser Stelle ist namentlich der Gesetzgebungsleitfaden Datenschutz zu erwähnen.<a title="" href="#_ftn47" name="_ftnref47"><sup>47</sup></a></p>
<p>Bei einem algorithmischen Veranlagungssystem, welches lediglich die Steuerdaten der steuerpflichtigen Person verwendet und nur dann zu einer automatisierten Veranlagung führt, wenn keine Verstösse gegen die menschlich vorgegebenen, nachvollziehbaren, kausalen Regeln vorliegen, kann man argumentieren, im Vergleich zur Veranlagung ohne Automatisierung drohe kaum ein erhöhter Grundrechtseingriff. Jedenfalls, solange die Anforderungen der Informationssicherheit und des Datenschutzes weiterhin gewährleistet sind. Wie erwähnt, können aber auch weitere Aspekte eine Regelung im formellen Gesetz nötig machen.<a title="" href="#_ftn48" name="_ftnref48"><sup>48</sup></a> </p>
<p>Anders verhält es sich mit KI-gestützten oder algorithmischen Veranlagungssystemen, die auch zum Nachteil der Steuerpflichtigen entscheiden oder solche Entscheide vorschlagen. Wegen der Vielzahl der Betroffenen und der möglichen belastenden Wirkung dürfte ein erheblicher grundrechtsrelevanter Eingriff vorliegen, der durch die heutigen gesetzlichen Grundlagen nicht gedeckt ist. Enthielte beispielsweise ein kantonales Steuergesetz eine Regelung über ein steuerliches Informationssystem<em> </em>analog Art. 112a des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG), welches steuerrelevante Personendaten enthält und für die gesetzlichen Aufgaben der Steuerbehörde und weiterer gesetzlich berechtigter Behörden verfügbar bzw. zugänglich macht, wäre dies keine ausreichende Grundlage für ein automatisiertes Veranlagungssystem, welches KI-gestützt funktioniert oder belastende automatische Entscheide fällt. Gleiches gilt, sollten automatisierte Untersuchungen zur Aufdeckung von Unterbesteuerungen angestrebt werden, beispielsweise indem der gesamte Datenbestand der Steuerverwaltung genutzt wird oder gar weitere Quellen. Eine solche verdachtslose, flächendeckende «Fahndung» im Meer der Steuerdaten wäre ein erheblicher Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen der Bevölkerung.<a title="" href="#_ftn49" name="_ftnref49"><sup>49</sup></a></p>
<h3>3.8 Querschnittsthema und föderalistische Aspekte</h3>
<p>Für eine allgemeine, bereichsübergreifende Rahmengesetzgebung auch ausserhalb des Steuerwesens spricht, dass die Automatisierung sämtliche Verwaltungsbereiche betrifft. Dagegen spricht, dass die hier im Fokus liegenden Einkommens- und Vermögenssteuern nebst der direkten Bundessteuer steuerlich harmonisierte, kantonale Steuern sind. Naheliegend ist deshalb eine Regelung im StHG und im DBG, welches bereits einen horizontalen und vertikalen Harmonisierungsbereich schafft.</p>
<h3>3.9 Zwischenergebnis</h3>
<p>Sowohl die Besteuerung als auch die dafür nötige Bearbeitung von Personendaten sind behördliche Eingriffe, die eine gesetzliche Grundlage benötigen. Für die herkömmliche Datenbearbeitung zur Veranlagung der Einkommens- und Vermögenssteuern reicht die formellgesetzliche Grundlage in den Steuergesetzen von Bund und Kantonen aus, es braucht keine spezifische Regelung der Datenbearbeitungen.</p>
<p>Die Automatisierung des Veranlagungsverfahrens schafft zwar keine neuen Steuerpflichten und Steuertatbestände, tangiert aber aufgrund der neuartigen Weise der Datenbearbeitung die grundrechtlich geschützte Sphäre der Steuerpflichtigen. Je nach Schwere des Eingriffs braucht es deshalb eine neue gesetzliche Grundlage mit genügender Normstufe und -dichte. Die Regelungen zur Automatisierung sollten auf einem risikobasierten Ansatz beruhen und möglichst technologieneutral ausgestaltet werden.</p>
<p>Für die Automatisierungen, einschliesslich KI-Anwendungen, sind namentlich folgende Inhalte zu regeln: Zulässigkeit der Automatisierung, risikobasierter Ansatz, Pflicht zur Folgenabschätzung bei Vorhaben, Datenkategorien und Zwecke der automatisierten Bearbeitung, Transparenz über die Bearbeitung als solche, die Logik bzw. den Entscheidprozess und das Ergebnis, weiter Verfahrensrechte und Qualitätsmanagement.</p>
<p>Für konkrete Automatisierungsvorhaben kann in einem mehrstufigen Vorgehen geprüft werden, ob eine neue formellgesetzliche Regelung nötig ist oder nicht. Zunächst ist der Ist-Zustand festzuhalten, also die bisherigen, gesetzlich legitimierten automatisierten Bearbeitungen. Weiter ist der Soll-Zustand zu beschreiben und zu prüfen, inwiefern dabei intensivere oder andere Eingriffe erfolgen oder weitere wesentliche Regelungsinhalte tangiert sind. Falls ja, ist näher zu analysieren, inwiefern dies von den bestehenden Rechtsgrundlagen noch abgedeckt ist oder nicht.</p>
<p>Soweit es um die herkömmliche Automatisierung geht, bei der algorithmische Systeme im Einsatz sind und eine automatische Veranlagung nur stattfindet, wenn sie im Wesentlichen im Einklang mit der Steuererklärung ist, braucht es – zumindest aus grundrechtlicher Sicht – keine spezielle formellgesetzliche Regelung, das bestehende Recht zum Datenschutz und zur Informationssicherheit, ergänzt durch spezifische Normen auf Stufe Verordnung, kann genügen. Sollen aber intensivere automatisierte Eingriffe erfolgen, wie Verfügungen zum Nachteil der steuerpflichtigen Personen oder KI-gestützte Veranlagungen, ist dies unabdingbar.</p>
<p>Bei einer Gesamtbetrachtung der fortschreitenden Automatisierung als Regelungsmaterie schliesslich geht es um Wichtiges oder Wesentliches im Sinne des Legalitätsprinzips, weshalb sie als Ganzes einer formellgesetzlichen Regelung bedarf. Die weiter oben genannten Regelungsinhalte sind deshalb in Grundzügen auf Stufe des formellen Gesetzes zu regeln. Dazu bietet sich das StHG (und DBG) als vorbestehender Harmonisierungsrahmen an. Alternativ können auch Regelungen in kantonalen Steuergesetzen eine genügende gesetzliche Grundlage bilden. Es können risikobasiert abgestufte Anforderungen vorgesehen werden, so dass risikoarme Automatisierungsvorhaben nicht vor unverhältnismässig hohen rechtlichen Hürden stehen.</p>
<h2>4. Prüfungs- und Untersuchungspflicht</h2>
<h3>4.1 Kooperationsmodell des gemischten Veranlagungsverfahrens</h3>
<p>Im ordentlichen Veranlagungsverfahren der direkten Steuern durch die Kantone handelt es sich um ein «gemischtes Veranlagungsverfahren», bei dem die Veranlagungsbehörde und die steuerpflichtige Person zusammenwirken, weshalb auch vom «Kooperationsmodell» die Rede ist.<a title="" href="#_ftn50" name="_ftnref50"><sup>50</sup></a> Nachdem die steuerpflichtige Person die Steuererklärung eingereicht hat, prüft sie die Steuerverwaltung und nimmt die erforderlichen Untersuchungen vor.<a title="" href="#_ftn51" name="_ftnref51"><sup>51</sup></a></p>
<h3>4.2 Prüfungspflicht der Steuerverwaltung</h3>
<p>Bei der Prüfungspflicht handelt es sich zunächst um eine «mehr formale Kontrolle», bei welcher die eingereichten Unterlagen auf Vollständigkeit, Stimmigkeit und rechnerische Richtigkeit überprüft werden.<a title="" href="#_ftn52" name="_ftnref52"><sup>52</sup></a> Es überrascht deshalb nicht, dass die Prüfung der Steuererklärung zunehmend automatisiert erfolgt.<a title="" href="#_ftn53" name="_ftnref53"><sup>53</sup></a> Da auch die steuergesetzliche Prüfungspflicht technologieneutral ist, schliesst sie eine automatisierte Prüfung nicht aus, solange die nötige Qualität sichergestellt wird. Zu den Stärken eines automatisierten Prüfsystems gehört, dass dieses nicht von begrenzten personellen Ressourcen abhängt und sämtliche Steuererklärungen nach dem gleichen Standard gleichmässig unter zahlreichen Aspekten prüfen kann. Es kann argumentiert werden, dass ein automatisches Prüfsystem die rechtsgleiche Behandlung aller Steuerpflichtigen besser umsetzen kann als ein manuelles Prüfsystem.<a title="" href="#_ftn54" name="_ftnref54"><sup>54</sup></a></p>
<p>Wir gehen davon aus, dass die automatisierte Prüfung und – wo keine eingehenderen Untersuchungen nötig sind – anschliessende automatisierte Veranlagung weiterhin erheblich zunehmen werden, namentlich auch wegen einer besseren und breiteren künftigen Datenbasis. Dabei muss sichergestellt werden, dass ausreichende Massnahmen gegen Fehler, die in den Algorithmen selbst angelegt sind und naturgemäss skaliert werden, vorgesehen werden. Namentlich das Qualitätsmanagement ist somit von fundamentaler Bedeutung dafür, dass mit Automaten nicht massenhaft falsche Prüfungsergebnisse generiert werden.<a title="" href="#_ftn55" name="_ftnref55"><sup>55</sup></a> Dies gilt bereits bei herkömmlichen Prüfsystemen, welche regelbasiert sind und vordefinierte Regelverstösse anzeigen. Auf KI bzw. maschinellem Lernen beruhende Risikomanagementsysteme, welche selbständig und intransparent Risikopotenziale bewerten mit Folgen für die weitere Veranlagung, sind umso kritischer zu würdigen, da diese wahrscheinlichkeitsbasierten Systeme fehleranfällig sind und mithin den Untersuchungsgrundsatz sowie die Gleichmässigkeit der Besteuerung gefährden.<a title="" href="#_ftn56" name="_ftnref56"><sup>56</sup></a></p>
<h3>4.3 Untersuchungspflicht der Steuerverwaltung</h3>
<p>Tauchen ernsthafte Zweifel auf oder entdeckt die Steuerverwaltung offensichtliche Fehler, kommt die Untersuchungspflicht zum Tragen, die eine vertiefte materielle Prüfung nach sich zieht.<a title="" href="#_ftn57" name="_ftnref57"><sup>57</sup></a> Dabei stösst die Automatisierung insofern an Grenzen, als auf die besonderen Umstände im Einzelfall einzugehen ist und diese einzeln als auch in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind. Die bei einer näheren Untersuchung im Einzelfall nötige Planung des Vorgehens, die Durchführung der Untersuchungshandlungen, etwa ein persönliches Gespräch bzw. eine Befragung sowie die daran anschliessende Gesamtwürdigung und die Ermessensbetätigung, lassen sich nicht in einem automatisierten Verfahren verwirklichen. Unter diesem Aspekt erfordert die Untersuchungspflicht die Untersuchungstätigkeit durch Mitarbeitende der Steuerverwaltung.</p>
<p>Dabei sind von den Untersuchungsmitteln der Steuerbehörde die Beweismittel zu unterscheiden. Während es bei den Beweismitteln kaum Beschränkungen gibt, verhält es sich anders bei den eingesetzten Untersuchungsmitteln. So stehen den Steuerverwaltungen insbesondere keine strafprozessualen Zwangsmittel zu.<a title="" href="#_ftn58" name="_ftnref58"><sup>58</sup></a> Aber auch Untersuchungen ohne Zwangsmittel greifen in die Sphäre der Steuerpflichtigen<a title="" href="#_ftn59" name="_ftnref59"><sup>59</sup></a> ein, namentlich handelt es sich bei der Beschaffung und weiteren Verwendung von Informationen mit Bezug zu den Steuerpflichtigen stets um behördliche Bearbeitungen von Personendaten, welche eine gesetzliche Grundlage benötigt. Dies muss nicht immer eine spezifische Regelung im formellen Gesetz sein. So braucht es u.E. beispielsweise für einfache Internetrecherchen mit Suchmaschinen nach rechtserheblichen Informationen keine spezifische gesetzliche Grundlage, die allgemeine gesetzliche Pflicht zur Untersuchung des Sachverhalts genügt.<a title="" href="#_ftn60" name="_ftnref60"><sup>60</sup></a> Denn es handelt sich um einen minimalinvasiven Eingriff, jedenfalls wenn es sich um selbst publizierte Informationen handelt, bei denen eine Einwilligung zur Kenntnisnahme der Öffentlichkeit angenommen werden kann. Oder wenn es um eine öffentlich zugängliche Medienberichterstattung geht. Recherchen im Internet<a title="" href="#_ftn61" name="_ftnref61"><sup>61</sup></a> sind somit aufgrund der Beweisbeschaffungspflicht möglich und angezeigt, soweit sie verhältnismässig bleiben.<a title="" href="#_ftn62" name="_ftnref62"><sup>62</sup></a></p>
<p>Anders wäre es, wenn die Intensität des Eingriffs erhöht würde, etwa mittels Applikationen, die gestützt auf ein im Internet gefundenes Bild durch Gesichtserkennung sämtliche Fotos und zugehörige Dokumente von dieser Person im Internet sucht («reverse image search»). Eine solche behördliche Bearbeitung biometrischer Daten wäre ein schwerer Eingriff und würde eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage erfordern.</p>
<p>Diese Überlegungen müssen u.E. für jeden Einsatz von Software zu Untersuchungszwecken gelten. So beispielsweise auch, wenn automatisch Steuererklärungen und rechtskräftige Steuerveranlagungen einer Vielzahl von Steuerpflichtigen durchforstet würden, um darin Tatsachen zu finden, anhand derer eine konkrete Steuererklärung bzw. Steuerveranlagung überprüft werden kann. In einem solchen Fall wäre der Automat ein Untersuchungsmittel, mit dessen Hilfe der Sachverhalt untersucht bzw. anhand von Tatsachen aus anderen Verfahren überprüft und ergänzt werden soll. Zwar können u.E. in einem konkreten Steuerverfahren Beweismittel aus anderen Steuerverfahren innerhalb der gleichen Behörde verwendet werden,<a title="" href="#_ftn63" name="_ftnref63"><sup>63</sup></a> da dies im Rahmen der Steueramtshilfe auch zwischen Behörden möglich ist. Eine automatisierte Suche in einer Vielzahl von Steuerakten sprengt diesen auf einzelfallbezogene manuelle Untersuchungshandlungen gemünzten gesetzlichen Rahmen aber. Eine automatisierte Suche in einer Vielzahl von Steuerakten könnte dieses Erfordernis nicht erfüllen und ist schon deshalb mangels besonderer gesetzlicher Grundlage unzulässig.</p>
<p>Eine gesetzliche Regelung wäre auch nötig, weil der datenschutzrechtliche Zweckbindungsgrundsatz verletzt würde. Dieser verlangt im Wesentlichen, dass Personendaten nur zu Zwecken bearbeitet werden, die mit dem Beschaffungszweck vereinbar sind. Sollen die erhobenen Daten über den gesetzlichen Zweck der Veranlagung der steuerpflichtigen Person hinaus automatisiert auch zu anderen Zwecken bearbeitet werden, braucht es somit eine hinreichend bestimmte, spezifische gesetzliche Regelung. Ohne eine solche Regelung dürfen die beschafften Daten nur im Einzelfall, wie oben beschrieben, über ihren primären Zweck hinaus als Beweismittel in einem anderen Verfahren verwendet werden.</p>
<p>Die Schwere des Eingriffs ergibt sich nicht nur aus der Eingriffsintensität im Einzelfall, sondern auch aus der Anzahl der Betroffenen und weiteren Aspekten, wie z.B. systematisch fehlender Transparenz. Besonders schwerwiegend wäre etwa eine automatisierte Suche zu allen Steuerpflichtigen und der Abgleich mit vorhandenen Informationen ohne Verdachtsmomente, in welchem Fall eine anlasslose Überwachung aller Steuerpflichtigen stattfände. Weniger problematisch wäre hingegen die Bearbeitung von Daten aus anderen Steuerverfahren, etwa durch einen KI-Automaten, solange es sich um eine nicht personenbezogene Bearbeitung der anderen Steuerdaten handelt. Diesfalls geht es nur um eine automatisierte Beurteilung bzw. Prüfung der jeweiligen Steuererklärungen,<a title="" href="#_ftn64" name="_ftnref64"><sup>64</sup></a> also um eine – wenn auch automatisierte – rechtliche Würdigung vorhandener Informationen im konkreten Steuerveranlagungsverfahren (Rechtsfrage), wobei die Bewertung auf der nicht personenbezogenen Analyse einer Vielzahl anderer Daten basiert.<a title="" href="#_ftn65" name="_ftnref65"><sup>65</sup></a></p>
<h3>4.4 Erweiterte Untersuchungspflicht und Teilhabe am Fortschritt</h3>
<p>Es ist denkbar, dass zunehmende Prüfungs- und Untersuchungsmöglichkeiten der Steuerverwaltungen eine strengere Ausprägung der Untersuchungspflicht zur Folge haben werden. Zwar darf sich die Veranlagungsbehörde auf die Richtigkeit der Steuererklärung verlassen und muss den Sachverhalt nicht nach allen Richtungen ausleuchten.<a title="" href="#_ftn66" name="_ftnref66"><sup>66</sup></a> Wird ein Steuerfaktor in einer jüngeren Steuerperiode nicht deklariert und ergibt sich daraus eine Unterbesteuerung, kann die steuerpflichtige Person in einem diesbezüglichen Nachsteuerverfahren nicht erfolgreich einwenden, sie habe das doch schon vor Jahren einmal richtig deklariert, es läge daher keine neue Tatsache vor, welche eine Nachsteuer erlaubt.</p>
<p>Schon für die manuelle Veranlagung kann man dagegen argumentieren, dass bei digitalisierten Akten in Fachapplikationen unter Umständen eine Pflicht der Mitarbeitenden der Steuerverwaltung zum Beizug von Akten aus Vorjahren greife.<a title="" href="#_ftn67" name="_ftnref67"><sup>67</sup></a> Darauf wird hier nicht weiter eingegangen. Sollte aber inskünftig ein automatisiertes Veranlagungssystem rechtmässig Angaben einer steuerpflichtigen Person in länger zurückliegenden Steuerperioden verwerten, dann würde dies u.E. den Umfang der Tatsachen, welche der Steuerverwaltung bei der Veranlagung einer jüngeren Steuerperiode bekannt sind, unausweichlich ausweiten. Selbst wenn die fragliche Tatsache dem automatischen System entgangen sein sollte, solange dies bei sorgfältiger Ausgestaltung vermeidbar war.</p>
<p>Verallgemeinert gesagt müssen auch die Steuerpflichtigen von den technischen Errungenschaften profitieren. Sonst wandelt sich das auf kontrolliertem Vertrauen basierende Kooperationsmodell in ein auf Misstrauen basierendes Überwachungsmodell.<a title="" href="#_ftn68" name="_ftnref68"><sup>68</sup></a> Das soll nicht heissen, es gäbe keine Argumente für einen Ausbau der Kontrollen. Sollte ein Paradigmenwechsel angestrebt werden, so bedürfte dieser aber unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Schranken der demokratischen Legitimation im Gesetzgebungsverfahren.</p>
<p>Der Gedanke einer symmetrischen Teilhabe an den Vorteilen des technologischen Fortschritts sollte sich u.E. auch schon im elektronischen Deklarationsverfahren auswirken, indem mutmasslich falsche oder unvollständige Deklarationen vor Abschluss bzw. elektronischem Einreichen der Deklaration angezeigt werden. Dem kann nicht überzeugend entgegengehalten werden, damit würde die Wirksamkeit der automatisierten Prüf- und Untersuchungssysteme ausgehöhlt. Denn solange das gemischte Veranlagungsverfahren auf dem vertrauensbasierten Kooperationsmodell basiert, ist davon auszugehen, dass sich die steuerpflichtigen Personen um eine korrekte Deklaration bemühen. Die Hinweise auf mögliche Verstösse und Fehler erweisen sich als Ausdruck des Zusammenwirkens von Steuerverwaltung und steuerpflichtiger Person.</p>
<p>Vorbehalten bleiben gewisse Prüfregeln oder Prüfaspekte, welche nicht offengelegt werden können, z.B. wenn aufgrund der begrenzten personellen Ressourcen gewisse Schwellenwerte definiert werden, unterhalb derer nicht systematisch im Einzelfall näher untersucht wird.<a title="" href="#_ftn69" name="_ftnref69"><sup>69</sup></a></p>
<h3>4.5 Zwischenergebnis</h3>
<p>Die formal geprägte Prüfung der eingereichten Steuererklärung auf Vollständigkeit, Stimmigkeit und rechnerische Richtigkeit erfolgt zunehmend automatisiert. Das ist unter dem Aspekt der Prüfungspflicht der Behörde zulässig, solange die Qualität sichergestellt ist. Das Qualitätsmanagement ist von zentraler Bedeutung, weil Fehler in Algorithmen in der Massenverwaltung skaliert werden. Dies gilt besonders, wenn KI-basierte Risikomanagementsysteme eingesetzt werden sollen.</p>
<p>Ergeben sich bei der Prüfung der Steuererklärung ernsthafte Zweifel oder sind Fehler offensichtlich, kommt die Untersuchungspflicht zum Tragen. Die einzelfallbezogene, vertiefte materielle Prüfung ist allerdings nur beschränkt automatisierbar. Zu denken ist vorab an einzelne automatisierte Untersuchungen, wie das personenbezogene Durchforsten und Verknüpfen grosser Datenbestände, die allerdings intensive Grundrechtseingriffe darstellen und deshalb nach geltendem Recht unzulässig wären. Davon zu unterscheiden sind leichtere Eingriffe, wie gezielte einfache manuelle Internetrecherchen mit Suchmaschinen, welche gestützt auf die allgemeine gesetzliche Untersuchungspflicht zulässig sind. Kein Untersuchungsmittel läge hingegen vor, wenn KI-gestützt Daten aus anderen Steuerverfahren nicht personenbezogen bearbeitet werden, indem das System gestützt auf den Lernprozess nur die jeweils konkret zu prüfende Steuererklärung inkl. Beilagen bewertet. Die Eingriffsintensität ist diesfalls tiefer.</p>
<p>Die digitale Transformation der Steuerverwaltungen darf nicht einseitig den Behörden zugutekommen, auch die Steuerpflichtigen müssen davon profitieren. Sonst wandelt sich das auf kontrolliertem Vertrauen basierende Kooperationsmodell unmerklich, ohne demokratische Legitimation, in ein auf Misstrauen basierendes Überwachungsmodell. Dieser Leitgedanke sollte sich schon im digitalisierten Deklarationsverfahren auswirken, indem mutmasslich falsche oder unvollständige Deklarationen vor Abschluss bzw. elektronischem Einreichen der Deklaration angezeigt werden. Die zunehmenden Prüfungs- und Untersuchungsmöglichkeiten der Steuerverwaltungen dürften sodann in rechtlicher Hinsicht den Umfang der Tatsachen, welche der Steuerverwaltung etwa aufgrund früherer Deklarationen zu anderen Steuerperioden bekannt sind, ausweiten und somit den Anwendungsbereich der Nachbesteuerung tendenziell einschränken.</p><h2>5. Begründungspflicht</h2>
<h3>5.1 Reduzierte Begründungspflicht im Massenverfahren</h3>
<p>Die Automatisierung tangiert die verschiedenen Aspekte des verfassungsmässigen Anspruchs auf rechtliches Gehör.<sup><a title="" href="#_ftn70" name="_ftnref70">70</a></sup> So ist fraglich, wie der Anspruch auf vorgängige Äusserung und Mitwirkung oder das Recht auf Akteneinsicht im automatisierten Verfahren gewahrt werden können. Gleiches gilt für das Recht der Betroffenen auf Entscheidbegründung bzw. die entsprechende behördliche Pflicht dazu. Darauf gehen wir nachfolgend etwas näher ein.</p>
<p>Indem die Verwaltung eine Verfügung begründet, erfüllt sie verschiedene Funktionen der Begründungspflicht, namentlich die Rechtsmittel-, Akzeptanz-, Rechtssicherheits-, Selbst- und Fremdkontrollfunktion.<sup><a title="" href="#_ftn71" name="_ftnref71">71</a></sup> Wir fokussieren hier darauf, dass Betroffene die Tragweite des Entscheids erkennen, ihn verstehen und nachvollziehen sowie ihn in Kenntnis der Sachlage anfechten können sollen. Mithin geht es uns vor allem um die Rechtsmittelfunktion.</p>
<p>Selbst wenn den Parteibegehren voll entsprochen wird, muss die Behörde imstande sein, ihre Verfügung zu begründen, wenn dies verlangt wird.<sup><a title="" href="#_ftn72" name="_ftnref72">72</a></sup> Allerdings ist unbestritten, dass im – hier steuerrechtlichen – Massenverfahren geringere Anforderungen an die Begründungsdichte gelten.<sup><a title="" href="#_ftn73" name="_ftnref73">73</a></sup> Weniger klar ist, was dies konkret bedeutet. Teilweise wird bei Abweichungen von der Steuererklärung eine minimale Begründungspflicht vertreten, wonach mindestens standardisierte Begründungen zu liefern seien. Anderseits wird gestützt auf den Wortlaut von Art. 131 DBG und den Willen des historischen Gesetzgebers sowie unter Verweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung die Auffassung vertreten, mit der Bekanntgabe der Abweichungen von einer Steuererklärung gelte eine Veranlagungsverfügung als «begründet»<sup><a title="" href="#_ftn74" name="_ftnref74">74</a></sup>. Aus letzterem kann man<em> </em>a maiore ad minus schliessen, dass ohne Abweichung von der Steuererklärung keine Begründungspflicht besteht.</p>
<p>Auch wenn wir dieser Argumentationslinie folgen sollten, kommen wir bei automatisierten Verfahren zu einer differenzierteren Beurteilung, wie die nachfolgenden Überlegungen zeigen.</p>
<h3>5.2 Mindestens standardisierte Begründung bei Automatisierung</h3>
<p>Dem historischen Gesetzgeber darf ein kausales Verständnis des Zustandekommens der Verfügung bzw. des Entscheids unterstellt werden. Die Argumentation von Peter Locher lässt sich deshalb nicht auf Entscheide übertragen, welche auf Korrelationen beruhen und nicht mehr kausal begründbar sind. Zumindest für solche Entscheide öffnet sich das Gesetz einer verfassungskonformen Interpretation. Darüber hinaus überzeugt die historische Argumentation aber auch für regelbasierte Systeme nicht. Denn bei regelbasierten, automatischen Abweichungen scheint uns naheliegend, dass technisch ohne Weiteres auch automatisch die entsprechenden Kurzbegründungen generiert werden können. Wir folgern daraus, dass steuergesetzlich mindestens standardisierte Begründungen bei Abweichungen von den «Parteibegehren» bzw. den eingereichten Steuererklärungen zu liefern sind.</p>
<p>Bei einer Veranlagung gemäss Steuererklärung hingegen darf auf eine Begründung verzichtet werden. Spätestens bei einer Einsprache muss aber der Einspracheentscheid begründet werden, ansonsten dieser nichtig ist.<sup><a title="" href="#_ftn75" name="_ftnref75">75</a></sup> Dazu kann es atypischerweise auch kommen, wenn die Steuerverwaltung gemäss Steuererklärung veranlagt. Namentlich, wenn die steuerpflichtige Person erkennt, dass aufgrund einer unvollständigen Deklaration eine Unterbesteuerung stattfindet.<sup><a title="" href="#_ftn76" name="_ftnref76">76</a></sup> Zudem kann unter Umständen auch das Gemeinwesen eine Einsprache erheben.<sup><a title="" href="#_ftn77" name="_ftnref77">77</a></sup> Jede Veranlagungsverfügung mündet also potenziell in ein Verfahren mit Begründungspflicht.</p>
<p>Wo schliesslich Veranlagungen nicht nur der Steuererklärung folgen oder regelbasierte, automatische Korrekturen mit entsprechenden standardisierten Begründungen enthalten, sondern weitergehend von der Steuererklärung abweichen, bzw. in anschliessenden Einspracheverfahren, ist eine ausführlichere Begründung notwendig. Dies dürfte heutzutage auf eine Bearbeitung durch Mitarbeitende der Steuerverwaltung hinauslaufen. In solchen Fällen wäre mithin auch das «menschliche Gehör» gewährleistet.</p>
<h3>5.3 Zusätzliche Anforderungen bei «black box» KI</h3>
<p>Soweit die Automatisierung auf regelbasierten Algorithmen beruht («glass box»), sind die Ergebnisse kausal erklärbar und mithin auch auf eine Weise begründbar, welche der Begründungspflicht genügt. Anders sieht es bei den datenbasierten Algorithmen aus, wo die Entscheide nicht auf Kausalitäten beruhen, sondern auf statistischen Korrelationen, deren Zusammenwirken bis zum Ergebnis nicht dargelegt und nachvollzogen werden kann («black box»).</p>
<p>Die Ausführlichkeit der Begründung ist an den konkreten Umständen auszurichten – ausschlaggebend ist die Möglichkeit einer sachgerechten Anfechtung eines Entscheids. Beim Einsatz von KI ist es möglich, dass die Behörde ihrer Begründungspflicht nicht vollständig nachkommen kann. Denn Entscheidungen, die von einem KI-basierten System gefällt werden, können aufgrund der Komplexität nicht ohne Weiteres für die Sachbearbeiterin bzw. den Sachbearbeiter nachvollziehbar sein.</p>
<p>Weil die Kausalität in der Massenverwaltung ein Element der Rechtfertigung reduzierter Begründungsdichte ist und insoweit sie bei datenbasierten Algorithmen entfällt, kann argumentiert werden, die Anforderungen an die Begründungsdichte würden sich in solchen Massenverfahren wieder erhöhen.<sup><a title="" href="#_ftn78" name="_ftnref78">78</a></sup></p>
<p>Die Erklärung der Funktionsweise des algorithmischen Systems, eine systemgestützte nachträgliche Erklärung oder die Offenlegung der Trainings- bzw. Validierungsdaten würden der Rechtsmittelfunktion der Begründungspflicht nicht gerecht.<sup><a title="" href="#_ftn79" name="_ftnref79">79</a></sup> Auch weitere Lösungsansätze, selbst in Kombination, dürften u.E. kaum genügen, etwa die Kennzeichnungspflicht betreffend algorithmische Entscheide, weiterführende Informationen (insbesondere zur Folgenabschätzung), Aufführen einzelner Datenpunkte oder die Rekonstruktion durch Verwaltungspersonal<a title="" href="#_ftn80" name="_ftnref80"><sup>80</sup></a>. Der Begründungspflicht genügen würde u.E. wohl, wenn datenbasierte «Machine Learning»-Modelle gewählt werden, «die aufgrund ihrer intrinsischen Eigenschaften nachvollziehbare Ergebnisse liefern können»<sup><a title="" href="#_ftn81" name="_ftnref81">81</a></sup>.</p>
<p>Daraus folgt u.E., dass für alle Entscheide mit Begründungspflicht nach geltendem Recht eine Anwendung von «black box» KI zur automatisierten Veranlagung unzulässig ist, da ohne zugrundeliegende, nachvollziehbare Kausalität auch keine ausreichende Begründung möglich ist. Ein möglicher Paradigmenwechsel, bei dem an die Stelle der Nachvollziehbarkeit und Begründung im Einzelfall eine pro- und retrospektive Kontrolle des Systems treten würde, erforderte u.E. wohl eine Anpassung oder Ergänzung von Art. 29 Abs. 2 BV oder zumindest eine besondere gesetzliche Grundlage.</p>
<p>Zulässig ist hingegen u.E. unter dem Aspekt der Begründungspflicht, gestützt auf eine Prüfung durch «black box» KI, Veranlagungen gemäss Steuererklärung vorzunehmen, weil diesfalls keine Begründung nötig ist und eine verwaltungsinterne Überprüfungsmöglichkeit besteht. Zwar könnte man einwenden, dass jede Verfügung begründungsfähig sein müsse bzw. dass es auch bei Veranlagungen gemäss Steuererklärungen in Einzelfällen zu einem Einspracheverfahren kommen könne. Entscheidend ist die Möglichkeit einer sachgerechten Anfechtung einer Veranlagungsverfügung, die bei einer Veranlagung gemäss Steuererklärung gegeben ist.<sup><a title="" href="#_ftn82" name="_ftnref82">82</a></sup> Indem es im Einspracheverfahren zu einer vertieften Prüfung des konkreten Falles durch Mitarbeitende der Steuerverwaltung und zu einem begründeten Entscheid kommt, wird der Mangel in diesen Fällen u.E. geheilt.</p>
<p>Die Einsprache mit Rechtsmittelcharakter, die bei der verfügenden Behörde anhängig zu machen ist, führt auch nicht zum Verlust einer Instanz, wie dies der Fall ist, wenn Gehörsverletzungen der Verwaltung durch eine übergeordnete Beschwerdeinstanz geheilt werden. Standardisierte Korrekturen von Steuererklärungen stehen dieser Beurteilung im Übrigen nicht entgegen und können z.B. separat durch ein regelbasiertes System vorgenommen werden.</p>
<h3>5.4 Zwischenergebnis</h3>
<p>Die Begründungspflicht leitet sich aus dem verfassungsmässigen Anspruch auf rechtliches Gehör ab und erfüllt unter anderem die Rechtsmittelfunktion, wonach Betroffene einen Entscheid erkennen, verstehen und nachvollziehen können.</p>
<p>Auch wenn im Massenverfahren geringere Anforderungen an die Begründungsdichte gelten, müssen im automatisierten Verfahren von der Steuererklärung abweichende Veranlagungen immer mindestens mit standardisierten Kurzbegründungen versehen werden.</p>
<p>Soweit allerdings eine Automatisierung nicht auf regelbasierten Algorithmen beruhen soll, sondern auf datenbasierten Algorithmen, bei denen die Entscheide auf statistischen Korrelationen beruhen, ist sie unvereinbar mit der Begründungspflicht. Ihr Anwendungsbereich beschränkt sich insofern auf Fälle, in denen keine Begründung nötig ist, d.h. wenn eine Veranlagung gemäss Steuererklärung erfolgt. Regelbasierte Standardkorrekturen bleiben dabei möglich. Ein Paradigmenwechsel, bei dem anstelle der Begründung im Einzelfall eine pro- und retrospektive Kontrolle des Systems treten würde, erforderte u.E. eine Anpassung der Verfassung oder zumindest des Gesetzes.</p>
<h2>6. Fazit</h2>
<p>Die kantonalen Steuerverwaltungen setzen zunehmend algorithmische, regelbasierte Anwendungen ein, um die mit den Steuererklärungen erhaltenen und aus weiteren Quellen verfügbaren Informationen automatisiert zu verarbeiten und gestützt darauf unter gewissen Voraussetzungen automatische Veranlagungsverfügungen vorzunehmen. Am Horizont bereits erkennbar ist ein weiterer technologischer Sprung, hin zu «KI»-Veranlagungen und von KI vorausgefüllten Steuererklärungen. Der KI-Einsatz ist schweizweit auf dem Vormarsch. Die neueren Entwicklungen führen zu einer vom historischen Gesetzgeber quantitativ und qualitativ nicht vorhersehbaren Bearbeitung der Daten der Steuerpflichtigen.</p>
<p>Bei der Automatisierung als Teil der Digitalisierung gilt es, sowohl die rechtlichen Grenzen zu respektieren als auch die rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Das Recht ermöglicht und begrenzt die Automatisierung aber nicht nur, sie fordert sie mitunter auch. Dies, indem im modernen Verwaltungsrecht die Verwaltungen verpflichtet sind, wirksam (effektiv) und wirtschaftlich (effizient) tätig zu sein. Soweit die Automatisierung die Effizienz und Effektivität steigern kann, sind die Steuerbehörden deshalb gehalten, sie zu realisieren.</p>
<p>Die Automatisierung des Veranlagungsverfahrens greift allerdings in die grundrechtlich geschützte Sphäre der Steuerpflichtigen ein und betrifft als Ganzes wesentliche öffentliche Interessen, was eine Regelung ihrer Grundzüge im formellen Gesetz nötig macht. Dazu bietet sich harmonisierend das StHG in Verbindung mit dem DBG an, wobei alternativ auch kantonale Steuergesetze eine genügende Grundlage bilden können. Bei konkreten Automatisierungsvorhaben kann je nach Schwere des Eingriffs und weiteren Aspekten der Wesentlichkeit ebenfalls eine spezifische formellgesetzliche Regelung erforderlich sein. Keine solche Regelung im formellen Gesetz ist bei einer herkömmlichen Automatisierung nötig, bei der algorithmische Systeme im Einsatz sind und eine automatische Veranlagung nur stattfindet, wenn sie weitgehend im Einklang mit der Steuererklärung ist. Bei intensiveren automatisierten Eingriffen wie bei Verfügungen zum Nachteil der steuerpflichtigen Person oder bei KI-gestützten Veranlagungen ist dies hingegen unabdingbar.</p>
<p>Zum rechtlichen Rahmen der Automatisierung gehören auch die behördliche Prüfungs- und Untersuchungspflicht. Die zunehmende Automatisierung der formal geprägten Prüfung eingereichter Steuererklärungen ist unter dem Aspekt der Prüfungspflicht zulässig. Dabei ist das Qualitätsmanagement von zentraler Bedeutung, besonders wenn KI-basierte Risikomanagementsysteme eingesetzt werden sollen. Kommt die Untersuchungspflicht mit einer einzelfallbezogenen, vertieften materiellen Prüfung zum Tragen, fällt eine weitgehende Automatisierung ausser Betracht. Denkbar sind aber bestimmte Untersuchungsmittel zur automatisierten Bearbeitung grosser Datenbestände, die allerdings als intensive Grundrechtseingriffe nach geltendem Recht unzulässig wären.</p>
<p>Auch die Steuerpflichtigen müssen von der digitalen Transformation der Steuerverwaltungen profitieren, sonst wandelt sich das auf kontrolliertem Vertrauen basierende Kooperationsmodell in ein auf Misstrauen basierendes Überwachungsmodell. So sollten bereits im digitalisierten Deklarationsverfahren mutmasslich falsche oder unvollständige Deklarationen der steuerpflichtigen Person angezeigt werden. Umgekehrt schränken die zunehmenden Prüfungs- und Untersuchungsmöglichkeiten der Steuerverwaltungen den Anwendungsbereich der Nachbesteuerung tendenziell ein.</p>
<p>Zu den Herausforderungen der Automatisierung gehört die behördliche Begründungspflicht. Im automatisierten Verfahren müssen von der Steuererklärung abweichende Veranlagungen mindestens mit standardisierten Kurzbegründungen versehen werden. Unzulässig ist nach geltendem Recht hingegen eine datenbasierte KI-Automatisierung, bei der begründungspflichtige Entscheide auf statistischen Korrelationen beruhen. Ein Paradigmenwechsel von der Begründung im Einzelfall hin zur pro- und retrospektiven Kontrolle des Systems erforderte u.E. eine Anpassung der Verfassung oder zumindest des Gesetzes. Möglich bleibt der KI-Einsatz unter diesem Aspekt, wenn eine Veranlagung gemäss Steuererklärung erfolgt, da diesfalls die Begründungspflicht entfällt.</p></article>
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