<article class="rz"><h2>1. Einleitung</h2>
<h3>1.1 Übersicht</h3>
<p>Der Bund erhebt gestützt auf <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de#art_129_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 129a Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (SR 101, BV)</a> seit dem 1. Januar 2024 auf dem Gewinn «grosser Unternehmensgruppen» eine schweizerische Ergänzungssteuer (Qualified Domestic Minimum Top-up Tax, QDMTT). Die Einführung der internationalen Ergänzungssteuer nach der Primärergänzungssteuerreglung (Income Inclusion Rule, IIR) bzw. nach der Sekundärergänzungssteuerregelung (Undertaxed Payments Rule, UTPR) erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt (voraussichtlich 1. Januar 2025<sup><a title="" href="#_ftn1" name="_ftnref1">01</a></sup>).</p>
<p>Basierend auf den zugehörigen Übergangsbestimmungen in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de#art_197" target="_blank" rel="noopener">Art. 197 Ziff. 15 BV</a> hat er hierfür bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Bestimmungen die <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2023/841/de" target="_blank" rel="noopener">Verordnung über die Mindestbesteuerung grosser Unternehmensgruppen vom 22. Dezember 2023 (SR 642.161, Mindestbesteuerungsverordnung, MindStV)</a> erlassen. Der Begriff «grosse Unternehmensgruppen» ist gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de#art_197" target="_blank" rel="noopener">Art. 197 Ziff. 15 lit. a BV</a> als grosse multinationale Unternehmensgruppen (nachfolgend auch «Konzern») zu verstehen, welche einen konsolidierten jährlichen Umsatz von EUR 750 Mio. erreichen. Diese Mindestumsatzgrenze wurde für die schweizerische Ergänzungssteuer in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2023/841/de#art_8" target="_blank" rel="noopener">Art. 8 Abs. 1 MindStV</a> und für die internationale Ergänzungssteuer in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2023/841/de#art_10" target="_blank" rel="noopener">Art. 10 Abs. 1 MindStV</a> überführt.</p>
<h4>Übergangsbestimmungen zu Art. 129a BV (Besondere Besteuerung grosser Unternehmensgruppen)</h4>
<div>
<blockquote>[…]<br /> <br /><sup>2 </sup>Er beachtet dabei folgende Grundsätze:<br /> <br />a. Die Vorschriften gelten für die Geschäftseinheiten einer multinationalen Unternehmensgruppe, die einen konsolidierten jährlichen Umsatz von 750 Millionen Euro erreicht.</blockquote>
<h4><strong>Art. 8 MindStV Anwendungsbereich</strong></h4>
<blockquote><sup>1 </sup>Der schweizerischen Ergänzungssteuer unterliegen die Gewinne von steuerlich der Schweiz zugehörigen Geschäftseinheiten einer Unternehmensgruppe, deren oberste Muttergesellschaft gemäss ihrer konsolidierten Jahresrechnung einen jährlichen Umsatz von 750 Millionen Euro im Sinne der Artikel 1.1.1, 1.1.2 und 6.1 der GloBE-Mustervorschriften erreicht.</blockquote>
</div>
<p>Der vorliegende Aufsatz analysiert, wie dieser Umsatzbegriff, welcher die Bedingung für die subjektive Steuerpflicht der schweizerischen und zukünftigen internationalen Ergänzungssteuer ist, gemäss Mindestbesteuerungsverordnung auszulegen ist.</p>
<h3>1.2 Anwendbares Recht</h3>
<p>Laut <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2023/841/de#art_2" target="_blank" rel="noopener">Art. 2 Abs. 1 MindStV</a> sind die GloBE-Mustervorschriften in der Version vom 14. Dezember 2021 anwendbares Recht, und gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2023/841/de#art_2" target="_blank" rel="noopener">Art. 2 Abs. 3 MindStV</a> sind diese Mustervorschriften insbesondere nach Massgabe des zugehörigen Kommentars und Regelwerke der OECD/G20 auszulegen. Während in der Mindestbesteuerungsverordnung von den GloBE-Mustervorschriften vom 14. Dezember 2021 gesprochen wird, wird auf der OECD-Homepage als Publikationsdatum der 20. Dezember 2021 aufgeführt. Allerdings wurden diese Mustervorschriften am 14. Dezember 2021 bewilligt, was das unterschiedliche Datum erklärt. Es handelt sich hierbei um einen statischen Verweis. Sollten die GloBE-Mustervorschriften angepasst werden – was in nächster Zeit nicht erwartet wird –, müsste auch die Verordnung angepasst werden. Bezüglich des Kommentars wird im Text der Mindestbesteuerungsverordnung auf keine konkrete Version verwiesen. Allerdings wird in der <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2023/841/de#fn-d8e87" target="_blank" rel="noopener">Fussnote 3</a> auf die Version vom März 2022 referenziert. Aufgrund der Ausführungen in den Erläuterungen zur Mindestbesteuerungsverordnung ist dieser Verweis jedoch gemäss hier vertretener Ansicht als dynamisch zu betrachten, d.h. es kommt die jeweils gültige Version zur Anwendung und eine Anpassung der Verordnung ist nicht notwendig. Allerdings macht der Bundesrat in den Erläuterungen die nicht weiter begründete Aussage, dass zukünftige Dokumente «je nach Inhalt auch eine Änderung der MindStV notwendig machen».<sup><a title="" href="#_ftn2" name="_ftnref2">02</a></sup> Dies bedeutet, dass im Einzelfall der Inhalt neuer Dokumente der OECD/G20 ohne Anpassung der MindStV keine Anwendung finden.</p>
<p>In Bezug auf die schweizerische Ergänzungssteuer kommen die Regeln der OECD/G20 «sinngemäss» zur Anwendung. Der Bundesrat hat diesen Zusatz deshalb gewählt, weil die GloBE-Mustervorschriften eigentlich nur die Erhebung der internationalen Ergänzungssteuer (IIR, UTPR), nicht aber einer nationalen Steuer (QDMTT) regeln.<sup><a title="" href="#_ftn3" name="_ftnref3">03</a></sup> Er möchte aber eine einheitliche Bemessung beider Ergänzungssteuern, weshalb die OECD/G20-Regeln sinngemäss Anwendung finden sollen (mit ein paar punktuellen Ausnahmen<sup><a title="" href="#_ftn4" name="_ftnref4">04</a></sup>, siehe <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2023/841/de#art_2" target="_blank" rel="noopener">Art. 2 Abs. 2 MindStV</a>).</p>
<p>In Anbetracht dieses direkten Verweises werden für die Auslegung des Umsatzbegriffs im Rahmen dieses Aufsatzes namentlich folgende Dokumente und deren Leitprinzipien herangezogen:</p>
<ul>
<li>GloBE-Mustervorschriften (zit.: MR) vom 14./20. Dezember 2021 (in der <a href="https://www.oecd-ilibrary.org/taxation/tax-challenges-arising-from-digitalisation-of-the-economy-global-anti-base-erosion-model-rules-pillar-two_782bac33-en" target="_blank" rel="noopener">englischen Originalversion</a>);</li>
<li>Kommentar zu den GloBE-Mustervorschriften (zit.: Kommentar, Art. … N ….) in der ersten Auflage vom 14. März 2022 (nur auf <a href="https://www.oecd-ilibrary.org/taxation/tax-challenges-arising-from-the-digitalisation-of-the-economy-commentary-to-the-global-anti-base-erosion-model-rules-pillar-two-first-edition_1e0e9cd8-en" target="_blank" rel="noopener">Englisch</a> verfügbar; zweite Auflage im 2024 erwartet);</li>
<li>Agreed Administrative Guidance (zit.: AG 07/2023) vom 17. Juli 2023 (nur auf <a href="https://www.oecd.org/tax/beps/administrative-guidance-global-anti-base-erosion-rules-pillar-two-july-2023.pdf" target="_blank" rel="noopener">Englisch</a> verfügbar);</li>
<li>Agreed Administrative Guidance (zit.: AG 12/2023) vom 18. Dezember 2023 (nur auf <a href="https://www.oecd.org/tax/beps/agreed-administrative-guidance-for-the-pillar-two-globe-rules.pdf" target="_blank" rel="noopener">Englisch</a> verfügbar)</li>
</ul>
<p>Da die verbindliche Originalversion der GloBE-Mustervorschriften in Englisch ist, werden die englischen Fachbegriffe zum besseren Verständnis nachfolgend jeweils in Klammern ergänzt. Die GlobE-Mustervorschriften verweisen häufig auf den für den jeweiligen Konzern anwendbaren «True and Fair View»-Rechnungslegungsstandard. In diesem Aufsatz wird soweit notwendig jeweils das IFRS-Regelwerk herangezogen. Soweit ein Konzern US GAAP oder Swiss GAAP FER verwendet, finden die korrespondierenden Regeln Anwendung.</p>
<h2>2. Bedeutung des Umsatzbegriffs</h2>
<p>Der schweizerischen Ergänzungssteuer unterliegen Geschäftseinheiten, die steuerlich der Schweiz zugehörig sind (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2023/841/de#art_1" target="_blank" rel="noopener">Art. 1 lit. a MindStV</a> i.V.m. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2023/841/de#art_3" target="_blank" rel="noopener">Art. 3 Abs. 2 MindStV</a>) und zu einer grossen multinationalen Unternehmensgruppe gehören, deren oberste Muttergesellschaft gemäss ihrer konsolidierten Jahresrechnung einen jährlichen Umsatz von EUR 750 Mio. erreicht (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2023/841/de#art_8" target="_blank" rel="noopener">Art. 8 Abs. 1 MindStV</a>). Der internationalen Ergänzungssteuer unterliegen Geschäftseinheiten, die steuerlich nicht der Schweiz zugehörig sind (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2023/841/de#art_1" target="_blank" rel="noopener">Art. 1 lit. b MindStV</a>) und ebenfalls zu einer grossen multinationalen Unternehmensgruppe mit einem Mindestumsatz von EUR 750 Mio. in ihrer konsolidierten Jahresrechnung gehören (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2023/841/de#art_10" target="_blank" rel="noopener">Art. 10 Abs. 1 MindStV</a>). Als Geschäftseinheiten (Constituent Entity) gelten gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2023/841/de#art_3" target="_blank" rel="noopener">Art. 3 Abs. 1 MindStV</a> i.V.m. Art. 1.3.1 MR direkt oder indirekt beherrschte<sup><a title="" href="#_ftn5" name="_ftnref5">05</a></sup> Einheiten unabhängig ihrer Rechtsform sowie Betriebsstätten. Darüber hinaus gilt auch die beherrschende oberste Muttergesellschaft selbst als Geschäftseinheit. Der Teilsatz «zu einer […] Unternehmensgruppe gehören» bedeutet folglich, dass sie direkt oder indirekt durch eine oberste Muttergesellschaft beherrscht werden und damit Bestandteil einer konsolidierten Jahresrechnung sind.</p>
<p>Der Umsatzbegriff ist demnach eine conditio sine qua non für die subjektive Steuerpflicht bei der schweizerischen und internationalen Ergänzungssteuer. Nur wenn eine Geschäftseinheit zu einer multinationalen Unternehmensgruppe gehört, die in ihrer konsolidierten Jahresrechnung einen jährlichen Umsatz von mind. EUR 750 Mio. ausweist, kann sie der Ergänzungssteuern gemäss MindStV unterliegen.</p>
<p>Das Schweizer Steuerrecht kennt auch bei der Mehrwertsteuer (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2009/615/de#art_10" target="_blank" rel="noopener">Art. 10 Abs. 2 lit. a MWSTG</a>) für die Bestimmung der subjektiven Steuerpflicht eine Anknüpfung an einen Mindestumsatz. Eine solche Anknüpfung mag bei der Mehrwertsteuer sachlogisch erscheinen, erfasst diese Rechtsverkehrssteuer doch das Entgelt für Lieferungen und Dienstleistungen und damit – technisch vereinfacht – den Umsatz eines Unternehmens. Bei der Ergänzungssteuer, welche eine alternative (Mindest-) Gewinnsteuer ist, ist die Anknüpfung an den Umsatz anstelle des Gewinns ungewöhnlich und gemäss hier vertretener Ansicht auch sachwidrig. Hintergrund dieser Regelung ist allerdings die Tatsache, dass die OECD/G20 an das gleiche Kriterium anknüpfen wollte wie beim länderbezogenen Bericht (Country-by-Country Reporting, CbCR).<sup><a title="" href="#_ftn6" name="_ftnref6">06</a></sup> Auch dieser muss erstellt werden, wenn der Umsatz mind. EUR 750 Million beträgt. Wie auf den folgenden Seiten noch aufgezeigt wird, unterscheidet sich die Umsatzschwelle dieses länderbezogenen Berichts allerdings in einigen Aspekten von der Schwelle bei der Ergänzungssteuer.</p>
<h2>3. Monetäre Perspektive des Umsatzbegriffs</h2>
<h3>3.1 Betrag</h3>
<p>Die relevante Umsatzgrenze liegt grundsätzlich im Einklang mit den GloBE-Mustervorschriften bei EUR 750 Mio. (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2023/841/de#art_8" target="_blank" rel="noopener">Art. 8 Abs. 1 MindStV</a>, <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2023/841/de#art_10" target="_blank" rel="noopener">Art. 10 Abs. 1 MindStV</a>). Der Betrag wird eher untypisch nicht in der Schweizer Landeswährung ausgewiesen und muss folglich umgerechnet werden (Ziff. 3.2 unten).</p>
<p>Wenn allerdings eine Geschäftseinheit zu einer Gruppe gehört, deren oberste Muttergesellschaft zu einem Land zugehörig ist, das einen tieferen Schwellenwert als EUR 750 Mio. für die Primärergänzungssteuerreglung (Income Inclusion Rule, IIR) vorsieht, so unterliegen die Gewinne in der Schweiz ebenfalls der schweizerischen Ergänzungssteuer (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2023/841/de#art_8" target="_blank" rel="noopener">Art. 8 Abs. 2 MindStV</a>). Diese Regelung ist insofern augenfällig, als dass der Bundesrat hierbei von der verfassungsmässigen Grundlage in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de#art_197" target="_blank" rel="noopener">Art. 197 Ziff. 15 Abs. 2 lit. a BV</a> abweicht.</p>
<div>
<h4><strong>Übergangsbestimmungen zu Art. 129a BV (Besondere Besteuerung grosser Unternehmensgruppen)</strong></h4>
<blockquote>[…]<br /> <br /><sup>2</sup> Er beachtet dabei folgende Grundsätze:<br /> <br />a. Die Vorschriften gelten für die Geschäftseinheiten einer multinationalen Unternehmensgruppe, die einen konsolidierten jährlichen Umsatz von 750 Millionen Euro erreicht.</blockquote>
</div>
<p>Allerdings sieht der Bundesrat in den Erläuterungen zur Mindestbesteuerungsverordnung diese Abweichung als zulässig an, da <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de#art_197">Art. 197 Ziff. 15 Abs. 4 BV</a> dieses Vorgehen erlaube:<sup><a title="" href="#_ftn7" name="_ftnref7">07</a></sup></p>
<div>
<h4><strong>Übergangsbestimmungen zu Art. 129a BV (Besondere Besteuerung grosser Unternehmensgruppen)</strong></h4>
<blockquote>[…]<br /> <br /><sup>4</sup> Sofern der Bundesrat es für die Umsetzung der Mindestbesteuerung als erforderlich erachtet, kann er von den Grundsätzen nach Absatz 2 abweichen. Er kann internationale Mustervorschriften und zugehörige Regelwerke für anwendbar erklären. Er kann diese Kompetenzen auf das Eidgenössische Finanzdepartement übertragen.</blockquote>
</div>
<p>Er begründet diese Ausweitung der Steuerpflicht hauptsätzlich mit fiskalischen Überlegungen («zusätzlichen Steuereinnahmen der Schweiz zufliessen») und dem Schutz vor zusätzlichen Steuerverfahren im Ausland.<sup><a title="" href="#_ftn8" name="_ftnref8">08</a></sup> Im erläuternden Bericht zur Anpassung der Bundesverfassung («Bundesbeschluss über eine besondere Besteuerung grosser Unternehmensgruppen»), welche Volk und Stände am 18. Juni 2023 gutgeheissen haben, hat allerdings der Bundesrat bereits in Bezug auf den Zweck von Abs. 4 genau diesen Fall von Unternehmensgruppen mit einem Umsatz von weniger als EUR 750 Mio. erwähnt.<sup><a title="" href="#_ftn9" name="_ftnref9">09</a></sup></p>
<p>Gemäss hier vertretener Ansicht ist diese Regelung in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2023/841/de#art_8" target="_blank" rel="noopener">Art. 8 Abs. 2 MindStV</a> allerdings mit einigen praktischen Herausforderungen verbunden. Sowohl die kantonalen Steuerverwaltungen als auch die potenziellen Steuerpflichtigen müssen bei der Zugehörigkeit zu einem ausländischen Konzern im Einzelfall prüfen, wer die oberste ausländische Konzerngesellschaft ist und ob diese in einem Staat ansässig ist, welcher eine tiefere Grenze als die EUR 750 Mio. für die IIR vorsieht.</p>
<h3>3.2 Wechselkurs</h3>
<p>Die Mindestbesteuerungsverordnung definiert die relevante Umsatzgrenze nicht in der Landeswährung Schweizer Franken, sondern im Einklang mit Art. 1.1.1 MR in Euro. Eine Unternehmensgruppe kann bei der Erstellung eines (konsolidierten) Abschlusses nach IFRS frei wählen, in welcher Währung sie die für die Ermittlung des Umsatzes relevante (Konzern-)Gewinn- und Verlustrechnung erstellen will («Darstellungswährung», IAS 21). Es stellt sich folglich die Frage, wie diese Umsatzgrenze von EUR 750 Mio. beispielsweise in Schweizer Franken umzurechnen ist, wenn eine Unternehmensgruppe einen IFRS-Abschluss in der Landwährung erstellt.</p>
<p>Die Frage ist in der Mindestbesteuerungsverordnung nicht geregelt, wohl aber in den <a href="https://www.oecd.org/tax/beps/administrative-guidance-global-anti-base-erosion-rules-pillar-two-july-2023.pdf" target="_blank" rel="noopener">Administrative Guidance vom Juli 2023</a>. Diese finden durch den Verweis in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2023/841/de#art_2" target="_blank" rel="noopener">Art. 2 Abs. 3 MindStV</a> auch für die schweizerische und internationale Ergänzungssteuer Anwendung. Methodisch ist der relevante Umsatz von der Darstellungswährung des Konzernabschlusses (bspw. Schweizer Franken) in Euro umzurechnen (und nicht umgekehrt), und zwar auf Basis des durchschnittlichen Wechselkurses des Dezembermonats des vorangegangenen Geschäftsjahrs («based on the average foreign exchange rate for the December month of the previous Fiscal Year»<sup><a title="" href="#_ftn10" name="_ftnref10">10</a></sup>). Als Basis dient hierbei der Wechselkurs der Europäischen Zentralbank.<sup><a title="" href="#_ftn11" name="_ftnref11">11</a></sup> Der allseits bekannte «ESTV-Jahresmittelkurs» findet keine Anwendung.</p>
<p>Diese Regelung kann im Einzelfall zu verzehrenden Ergebnissen führen, falls eine Unternehmensgruppe als Geschäftsjahr nicht das Kalenderjahr, sondern bspw. die Periode November N bis Oktober N+1 hat. Folglich wäre in dieser Konstellation der durchschnittliche Wechselkurs des Monats Dezember N-1 zu verwenden, was bei volatilen Kursen zu Verfälschungen führen kann.</p>
<p>An dieser Stelle sei der Hinweis angebracht, dass die Schweiz die gemäss OECD relevante Umsatzgrenze von EUR 750 Mio. für den länderbezogenen Bericht in der nationalen Gesetzgebung in Schweizer Franken und nicht Euro festgesetzt hat. Gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2017/646/de#art_3" target="_blank" rel="noopener">Art. 3 der Verordnung über den internationalen automatischen Austausch länderbezogener Berichte multinationaler Konzerne vom 29. September 2017 (ALBAV, SR 654.11)</a> beträgt der Schwellenwert CHF 900 Mio., was dem damaligen EUR/CHF-Wechselkurs von 1.20 entsprach. Beim aktuellen Wechselkurs würde dieser Schwellenwert eher einem Wert in der Bandbreite von CHF 710 – 720 Mio. entsprechen (rund 20% tiefer).</p>
<h2>4. Materielle Perspektive des Umsatzbegriffs</h2>
<p>Weiter definiert die Mindestbesteuerungsverordnung nicht, was der Begriff Umsatz alles umfasst bzw. es wird auf ausgewählte Artikel in den GloBE-Mustervorschriften verwiesen. Für die Auslegung sind folglich diese Mustervorschriften und weitere OECD/G20-Dokumente beizuziehen, welche durch <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2023/841/de#art_2" target="_blank" rel="noopener">Art. 2 Abs. 3 MindStV</a> Anwendung finden.</p>
<h3>4.1 Konzernabschluss als relevante Zahlenbasis</h3>
<h4>4.1.1 Begriff «Konzernabschluss»</h4>
<p>Zunächst stellt sich die Frage, auf welcher Zahlenbasis der Umsatz formell überhaupt zu ermitteln ist. Gemäss Art. 1.1.1 MR ist hierfür der Umsatz des Konzernabschlusses der obersten Muttergesellschaft relevant («in the Consolidated Financial Statements of the Ultimate Parent Entity (UPE)»). Der Begriff Konzernabschluss (Consolidated Financial Statements) ist hierbei gemäss Art. 10.1.1 MR zu verstehen als ein Konzernabschluss, welcher nach einem anerkannten oder zugelassenen Rechnungslegungsstandard erstellt wurde (Acceptable / Authorized Financial Accounting Standard).</p>
<h4>4.1.2 Begriff «anerkannter Rechnungslegungsstandard»</h4>
<p>Die anerkannten Rechnungslegungsstandards sind in den GloBE-Mustervorschriften in Art. 10.1.1 MR abschliessend geregelt und umfassen bspw. IFRS, US GAAP oder Swiss GAAP FER. Die Swiss GAAP FER werden zwar nicht explizit erwähnt, jedoch ist der Begriff «generally accepted accounting principles of […] Switzerland» mit Swiss GAAP FER gleichzusetzen. Der Begriff «anerkannter» Rechnungslegungsstandard gemäss GloBE-Mustervorschriften darf dabei nicht mit dem identischen Begriff gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_963_b" target="_blank" rel="noopener">Art. 963b OR</a> gleichgesetzt werden. Letztgenannter Begriff umfasst gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2012/812/de#art_2" target="_blank" rel="noopener">Art. 2 Verordnung über die anerkannten Standards zur Rechnungslegung vom 21. November 2012 (SR 221.432)</a> beispielsweise auch die FINMA-Rechnungslegungsvorschriften für Banken und kollektive Kapitalanlagen, deren Qualifikation als «anerkannt» bzw. «zugelassen» gemäss GloBE-Mustervorschriften weiterhin ungeklärt ist.</p>
<h4>4.1.3 Begriff «zugelassener Rechnungslegungsstandard»</h4>
<p>Ein zugelassener Rechnungslegungsstandard liegt dann vor, wenn er durch ein befugtes Rechnungslegungsorgan (Accounting Body) genehmigt wurde und «zuverlässig» (reliable) ist. Darunter fallen gemäss Ansicht des Bundesrats nicht die (Konzern-) Rechnungslegungsvorschriften gemäss Schweizer Obligationenrecht (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#part_4/tit_32/chap_5" target="_blank" rel="noopener">Art. 963 ff. OR</a>), da diese durch das Vorsichtsprinzip geprägt sind.<sup><a title="" href="#_ftn12" name="_ftnref12">12</a></sup> Diese Tatsache ist allein schon deshalb von praktischer Relevanz, weil Umsätze bspw. nach IFRS regelmässiger früher erfasst werden als in einem Abschluss nach Schweizer Obligationenrecht. Nach IFRS 15.32 sind Erlöse zwingend dann zu erfassen, wenn die Verfügungsmacht übergeht. Im Obligationenrecht werden die Nettoerlöse aus Lieferungen und Leistungen frühestens dann erfasst, wenn gegenüber dem Dritten ein fester Anspruch entstanden ist.<sup><a title="" href="#_ftn13" name="_ftnref13">13</a></sup></p>
<h4>4.1.4 Fehlender Konzernabschluss</h4>
<p>Ist kein Abschluss nach einem anerkannten oder zugelassenen Rechnungslegungsstandard vorhanden, ist der Umsatz so zu ermitteln, als ob ein solcher Abschluss vorhanden wäre. Diese Regelung in Art. 10.1.1 MR führt zu einer de facto-Pflicht zur Erstellung eines solchen Konzernabschlusses. Gemäss Erfahrung des Autors gibt es in der Schweiz viele privat gehaltene Gruppen, die bisher nur einen Konzernabschluss nach Obligationenrecht erstellen. Die Pflicht zur Erstellung eines Konzernabschlusses nach einem anerkannten Standard zur Rechnungslegung gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/27/317_321_377/de#art_963_b" target="_blank" rel="noopener">Art. 963b OR</a> greift in solchen Fällen mangels Kotierung nicht.</p>
<h4>4.1.5 IFRS-Konzernabschluss</h4>
<p>Bei den IFRS ist die Erstellung eines Konzernabschlusses im Einzelstandard IFRS 10 geregelt. Ein Konzernabschluss (Consolidated Financial Statements) umfasst sämtliche Vermögenswerte, Schulden, Erträge und Aufwendungen der obersten Konzerngesellschaft sowie sämtlicher beherrschter Tochterunternehmen.</p>
<p>Allerdings qualifiziert nicht jedes nach IFRS beherrschte und konsolidierte Tochterunternehmen auch als Geschäftseinheit, welche der schweizerischen oder internationalen Ergänzungssteuer unterstellt ist. Die GloBE-Mustervorschriften enthalten in Art. 1.5 MR eine Liste von Geschäftseinheiten, die subjektiv steuerbefreit sind (freigestellte Geschäftseinheiten, Excluded Entities<sup><a title="" href="#_ftn14" name="_ftnref14">14</a></sup>). Obwohl solche Geschäftseinheiten nicht der Besteuerung unterliegen, werden deren Drittumsätze für die Ermittlung der relevanten Umsätze dennoch berücksichtigt.<sup><a title="" href="#_ftn15" name="_ftnref15">15</a></sup> Dies kann im Einzelfall zu einer Aufblähung der Umsatzbasis für die Ermittlung der Steuerpflicht führen.</p>
<p>Beherrschte Tochterunternehmen sind gemäss IFRS 10 voll zu konsolidieren («line-by-line consolidation»), selbst wenn Dritte Minderheitsanteile halten. Wenn bspw. eine Obergesellschaft 80% an einem Tochterunternehmen hält, werden die Umsätze der Tochterunternehmen zu 100% im Konzernabschluss berücksichtigt. Die 20%-Anteile der Minderheiten werden gemäss IFRS 10.B89 lediglich beim Gewinn oder Verlust als «nicht beherrschte Anteile» (Non-Controlling Interests) ausgewiesen. Dies bedeutet, dass deren Umsätze vollständig in die Ermittlung des Mindestumsatzes von EUR 750 Mio. einfliessen,<sup><a title="" href="#_ftn16" name="_ftnref16">16</a></sup> obwohl eine allfällige internationale Ergänzungssteuer gemäss Art. 2.2 MR nur im Umfang der Beteiligungsquote erhoben wird. Diese inkonsistente Regel ist abzulehnen, ist jedoch in den anwendbaren GloBE-Mustervorschriften enthalten.</p>
<p>Es versteht sich von selbst, dass im Rahmen der Konsolidierung Umsätze zwischen den Konzerngesellschaften eliminiert werden (Innenumsätze). Folglich sind nur die Umsätze mit Dritten (Aussenumsätze) für die Bestimmung der EUR 750 Mio.-Grenze relevant.<sup><a title="" href="#_ftn17" name="_ftnref17">17</a></sup></p>
<h3>4.2 Begriff</h3>
<h4>4.2.1 Allgemein</h4>
<p>Da der Begriff Umsatz in der Mindestbesteuerungsverordnung nicht definiert ist, sind wiederum die verschiedenen OECD/G20-Dokumente beizuziehen. Weder die GloBE-Mustervorschriften noch der Kommentar in der ersten Auflage äussern sich zum Begriff Umsatz (Revenue). Die OECD hat dieses Problem erkannt und deshalb im Rahmen der <a href="https://www.oecd.org/tax/beps/administrative-guidance-global-anti-base-erosion-rules-pillar-two-december-2023.pdf" target="_blank" rel="noopener">Administrative Guidance vom Dezember 2023</a> Ausführungen erlassen, welche in die zweite Auflage des Kommentars (im 2024 erwartet) einfliessen werden.</p>
<p>Die OECD definiert den Begriff als «the inflow of economic benefits arising from delivering or producing goods, rendering services, or other activities that constitute the MNE Group’s ordinary activities».<sup><a title="" href="#_ftn18" name="_ftnref18">18</a></sup> Weiter heisst es: «The revenue amounts shall be determined in line with the relevant accounting standard, which may allow for netting for discounts, returns and allowances, but in any event before deducting cost of sales and other operating expenses».<sup><a title="" href="#_ftn19" name="_ftnref19">19</a></sup> Aus diesen Ausführungen ergeben sich verschiedene Leitprinzipien.</p>
<h4>4.2.2 Orientierung an Rechnungslegungsstandard</h4>
<p>Zunächst richtet sich die Ermittlung nach dem jeweiligen Rechnungslegungsstandard («…shall be determined in line with the relevant accounting standard…»). Die IFRS schreiben in IAS 1.82 lediglich vor, dass in der Gewinn- und Verlustrechnung die (Umsatz-) Erlöse separat darzustellen sind, nicht jedoch was dieser Begriff umfasst. In der Praxis werden hierzu branchen- und länderspezifische Usanzen herangezogen (Ziff. 4.2.5 unten), so dass die Position «Umsatz» im IFRS-Abschluss je nach Branche und Land andere Komponenten enthalten kann.</p>
<p>Soweit der Rechnungslegungsstand eine Reduktion der Umsätze bspw. um gewährte Nachlässe, Skonti oder Leistungsprämien erlaubt, dürfen diese für Zwecke der Umsatzermittlung berücksichtigt werden.<sup><a title="" href="#_ftn20" name="_ftnref20">20</a></sup> Nicht in Abzug gebracht werden dürfen allerdings Personalkosten oder Warenaufwendungen. Nach IFRS 15.51 sind solche variablen Elemente zu berücksichtigen und kürzen die Erlöse, jedoch sind Personalkosten oder Warenaufwendungen nach IAS 1.82 separat auszuweisen.</p>
<h4>4.2.3 Orientierung an normaler Geschäftstätigkeit</h4>
<p>Weiter ist zu beachten, dass gemäss Ansicht der OECD/G20 nur solche Erträge zum Umsatz zählen, welche im Rahmen der normalen Geschäftstätigkeit (Ordinary Activities) vereinbart werden («…that constitute the MNE Group’s ordinary activities»). Hierzu enthalten die Administrative Guidance zwei illustrative Fallbeispiele zu Zinserträgen: Während die Zinserträge bei einem Produktionsunternehmen nicht zum Umsatz zählen und unter den Finanzerträgen ausgewiesen werden,<sup><a title="" href="#_ftn21" name="_ftnref21">21</a></sup> sind sie bei einem Leasinggeber bei der Umsatzermittlung zu berücksichtigen.<sup><a title="" href="#_ftn22" name="_ftnref22">22</a></sup> Es ist deshalb im Einzelfall zu definieren, welche Erträge zur normalen Geschäftstätigkeit gehören und welche nicht. Die OECD/G20 widerspricht sich allerdings selbst, wenn sie vorschreibt, dass beim Umsatz auch ausserordentliche Gewinne und Erträge (extraordinary or non-recurring items) zu berücksichtigen seien.<sup><a title="" href="#_ftn23" name="_ftnref23">23</a></sup> Wenn ein Ertrag ausserordentlich ist, wird er eher nicht zur ordentlichen Geschäftstätigkeit gehören. Die IFRS erlauben nicht den Ausweis von ausserordentlichen Positionen in der Gewinn- und Verlustrechnung (IAS 1.82)<sup><a title="" href="#_ftn24" name="_ftnref24">24</a></sup>, weshalb diese im Einzelfall separat zu ermitteln sind.</p>
<h4>4.2.4 Orientierung auch an Gewinne/Verlusten aus Investments</h4>
<p>Zusätzlich sind – obwohl wenigstens unter den IFRS nicht als Umsatzerlös ausgewiesen – auch realisierte und unrealisierte Gewinne und Verluste aus «Investments» zu berücksichtigen.<sup><a title="" href="#_ftn25" name="_ftnref25">25</a></sup> Der Begriff wird durch die OECD/G20 nicht definiert. Gemäss hier vertretener Ansicht und mit Bezug auf den IFRS-Einzelstandard IAS 28 (engl. Originaltitel: «Investments in Associates and Joint Ventures») fallen hierunter Anteile an assoziierte Unternehmen (vereinfacht: ab 20%) und Joint Ventures (gemeinsame statt alleiniger Beherrschung), welche bei den IFRS nach der Equity-Methode konsolidiert werden. Der Grundgedanke dieser Methode ist, dass der Beteiligungsbuchwert die Entwicklung des anteiligen Eigenkapitals der Beteiligung widerspiegelt,<sup><a title="" href="#_ftn26" name="_ftnref26">26</a></sup> und nur die jährliche Wertveränderung in der konsolidierten Gewinn- und Verlustrechnung berücksichtigt wird («one-line consolidation»<sup><a title="" href="#_ftn27" name="_ftnref27">27</a></sup>). Diese Regelung ist abzulehnen, da – unter Ausklammerung von Kapitaleinlagen und Gewinnausschüttungen – das Eigenkapital durch den Gewinn oder Verlust verändert wird. Relevant sollte allerdings der Umsatz als Bruttogrösse und nicht der Gewinn oder Verlust als Nettogrösse sein. Der Gewinn/Verlust ist in der Regel kleiner als der Umsatz, der um Aufwandspositionen zu kürzen ist. Auch unterliegen assoziierte Unternehmen und Joint Ventures (abhängig vom Einzelfall aufgrund der Spezialregelung in Art. 6.4 MR<sup><a title="" href="#_ftn28" name="_ftnref28">28</a></sup>) nicht der Ergänzungssteuer, dennoch muss ihr Umsatz für die Ermittlung des Mindestumsatzes von EUR 750 Mio. berücksichtigt werden.</p>
<h4>4.2.5 Branchenspezifische Aspekte</h4>
<p>Die nachfolgenden Ausführungen gehen auf die Besonderheiten einiger für die Schweiz wichtigen Branchen ein.</p>
<h5>4.2.5.1 Banken</h5>
<p>Bei Banken ist es Branchenstandard, dass die verschiedenen Umsatzkomponenten Zinserträge, Kommissions- und Gebührenerträge, Handelserträge sowie übrige Erträge jeweils auf Nettobasis ausgewiesen werden. Die Nettozinserträge umfassen bspw. die Zinserträge aufgrund von Ausleihungen an Kunden (Kredite) abzüglich der bezahlten Zinsen auf Einlagen von Kunden (Kredit- und Sparkonten) sowie Kreditverluste. Als illustratives Beispiel präsentiert sich bspw. die Gewinn- und Verlustrechnung der Bank Vontobel nach IFRS wie folgt (in Mio. USD, 2022):</p>
<p><img src="https://images.ctfassets.net/bgpaxzxi3eyz/6Npoppwq44Wm8PzIdrC3zL/edf5462db612853a1d482e9af1b2bbad/2024_Grafik_A3_RZ37_.png" alt="Tabelle der Gewinn- und Verlustrechnung der Bank Vontobel" width="900" height="351" /></p>
<p>Gemäss Ansicht der OECD sind aufgrund dieses Branchenstandards daher bei Banken die relevanten Umsätze auf Nettobasis zu ermitteln.<sup><a title="" href="#_ftn29" name="_ftnref29">29</a></sup> Dies führt gemäss Ansicht des Autors insoweit zu einer Ungleichbehandlung mit anderen Branchen, als dass Banken ihre Umsätze um die Finanzierungs- und weitere Kosten reduzieren können. Würde man im illustrativen Beispiel oben nur die «Bruttoumsätze» nehmen, würden sich die für die subjektive Steuerpflicht relevanten Umsätze auf rund CHF 1.67 Mrd. statt CHF 1.29 Mrd. belaufen (rund 30% mehr).</p>
<h5>4.2.5.2 Rohstoffhändler</h5>
<p>Das Geschäft von Rohstoffhändlern zeichnet sich dadurch aus, dass sie grosse Volumen an Rohstoffen im eigenen Namen kaufen und häufig sehr zeitnah (wenige Minuten bis Stunden) mit einer kleinen Marge weiterverkaufen (Arbitrage-Geschäft, «back-to-back-business»). Der eigentliche Ertrag aus diesem Geschäft ist lediglich die erzielte Marge. In der Gewinn- und Verlustrechnung werden gemäss Erfahrung des Autors die Umsätze häufig auf Bruttobasis dargestellt, wodurch es zu einer «Aufblähung» kommt. Die eingekauften Rohstoffe werden als «Costs of goods sold» ausgewiesen, wie das illustrative Beispiel der Gewinn- und Verlustrechnung der Glencore auf Basis IFRS zeigt (in Mio. USD, 2022).</p>
<p><img src="https://images.ctfassets.net/bgpaxzxi3eyz/3NgXlxJ4ssReyz3fOYrsOp/728ef688b21773a818bf49355dac45d6/2024_Grafik_A32_RZ40.png" alt="Tabelle der Gewinn- und Verlustrechnung der Glencore auf Basis IFRS" width="900" height="81" /></p>
<p>Die OECD adressiert diesen Fall nicht. Rohstoffhändler unterscheiden sich insofern von anderen Handelskonzernen, als dass sie die eingekauften Waren oftmals innerhalb sehr kurzer Zeit weiterverkaufen und dabei in der Regel keinen physischen Kontakt zu den Rohstoffen haben. Ihr eigentlicher «Umsatz» ist lediglich die Marge aus den Arbitrage-Geschäft. Gemäss Ansicht des Autors wäre es daher adäquat, bei Rohstoffhändlern im Gegensatz zu anderen Handelskonzernen und in Anlehnung an die OECD-Regeln zu den Banken lediglich auf den Nettoumsatz und damit die Marge abzustellen. Würde man im illustrativen Beispiel oben nur auf die Marge als Umsatz abstellen, würden die relevanten «Umsätze» nur rund CHF 27 Mrd. statt CHF 256 Mrd. betragen (rund 90% weniger).</p>
<h2>5. Temporäre Perspektive des Umsatzbegriffs</h2>
<p>Die Mindestbesteuerungsverordnung spricht in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2023/841/de#art_8" target="_blank" rel="noopener">Art. 8 Abs. 1 MindStV</a> bzw. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2023/841/de#art_10" target="_blank" rel="noopener">Art. 10 Abs. 1 MindStV</a> summarisch von einem «jährlichen Umsatz von 750 Millionen Euro im Sinne der Artikel 1.1.1, 1.1.2 und 6.1 der GloBE-Mustervorschriften».</p>
<h3>5.1 Vier-Jahres-Periode (Art. 1.1.1, 1.1.2 MR)</h3>
<p>Gemäss Art. 1.1.1 MR erfüllt eine Unternehmensgruppe diese Voraussetzung nur dann, wenn sie in mind. zwei der vier Geschäftsjahre, die dem untersuchten Geschäftsjahr unmittelbar vorangegangen sind, die Umsatzschwelle erreicht hat. In anderen Worten muss die Unternehmensgruppe somit für jedes einzelne Geschäftsjahr prüfen – insb. auch auf Basis des jeweiligen Umrechnungskurses (Ziff. 3 oben) – ob die Umsatzschwelle erfüllt ist. Wenn sich ausnahmsweise ein Geschäftsjahr über einen Zeitraum von mehr oder weniger als 12 Monate erstreckt (kurzes bzw. überlanges Geschäftsjahr), wird der Schwellenwert von EUR 750 Mio. gemäss Art. 1.1.2 MR für jedes dieser Geschäftsjahre entsprechend der Dauer des betreffenden Geschäftsjahrs proportional angepasst (bspw. auf Basis der Anzahl Monate<sup><a title="" href="#_ftn30" name="_ftnref30">30</a></sup>). Mit diesem «two-out-of-four-years test» will die OECD/G20 die Volatilität bei der subjektiven Steuerpflicht verhindern.<sup><a title="" href="#_ftn31" name="_ftnref31">31</a></sup> In dem das laufende Geschäftsjahr nicht berücksichtigt wird, weiss die Unternehmensgruppe bereits zu Beginn, ob sie im laufenden Geschäftsjahr dem Regelwerk untersteht.<sup><a title="" href="#_ftn32" name="_ftnref32">32</a></sup> Dies im Unterscheid bspw. zur Schweizer Mehrwertsteuer, bei welcher der Umsatz des laufenden Jahrs relevant ist (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2009/615/de#art_10" target="_blank" rel="noopener">Art. 10 Abs. 2 lit. a MWSTG</a>).</p>
<p>An dieser Stelle sei der Hinweis angebracht, dass für den länderbezogenen Bericht die Umsatzgrenze von EUR 750 Mio. (bzw. CHF 900 Mio., Ziff. 3 oben) des direkt vorhergehenden Geschäftsjahrs relevant ist.</p>
<p>Gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2023/841/de#art_1" target="_blank" rel="noopener">Art. 1 Abs. 1 MindStV</a> unterliegen nur multinationale Unternehmensgruppen der Ergänzungssteuer, d.h. nur Unternehmensgruppen, die ausserhalb der Schweiz mind. eine beherrschte Tochtergesellschaft oder eine Betriebsstätte haben. Dies im Unterschied bspw. zur Europäischen Union, die auch rein nationale Gruppen erfasst.<sup><a title="" href="#_ftn33" name="_ftnref33">33</a></sup> Ungeklärt ist die Frage, welche Jahre für die Umsatzermittlung relevant sind, wenn eine bisher rein nationale Unternehmensgruppe neu multinational wird. Wenn bspw. eine rein schweizerische Unternehmensgruppe mit Umsätzen in den letzten Jahren von klar über EUR 750 Mio. im Jahr N eine Tochtergesellschaft im Ausland gründet, stellt sich die Frage, ob die Unternehmensgruppe bereits im Jahr N oder erst im Jahr N+2 der Ergänzungssteuer untersteht. Diese Thematik hat die OECD/G20 bisher nicht adressiert. Bei einer rein wörtlichen Auslegung von Art. 1.1.1 MR bezieht sich die Voraussetzung auf die letzten vier Jahre als multinationale Gruppe, d.h. die Unternehmensgruppe muss in allen vier zu prüfenden Jahren multinational sein («…an MNE Group that has annual revenue…»). Andernfalls würde die Regelung auch dem Grundsatz zu Wider laufen, dass jede Unternehmensgruppe zu Beginn ihres Geschäftsjahrs wissen muss, ob sie dem Regelwerk untersteht.<sup><a title="" href="#_ftn34" name="_ftnref34">34</a></sup></p>
<h3>5.2 Verschmelzungen und Spaltung (Art. 6.1 MR)</h3>
<p>Die GloBE-Mustervorschriften enthalten ferner in Art. 6.1.1 MR Sonderregelungen für die Umsatzermittlung bei Fusionen und Spaltungen, bei welchen für die letzten vier Jahre unter Umständen keine konsolidierte Jahresrechnung verfügbar ist. Auch diese Regeln sind durch den direkten Verweis in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2023/841/de#art_2" target="_blank" rel="noopener">Art. 2 Abs. 1 MindStV</a> für die schweizerische und internationale Ergänzungssteuer verbindlich.</p>
<h4>5.2.1 Begriffe «Verschmelzung» bzw. «Spaltung»</h4>
<p>Die Begriffe Verschmelzung (Merger, Art. 6.1.1 lit. a/b MR) bzw. Spaltung (Demerger, Art. 6.1.1 lit. c MR) sind allerdings gemäss Art. 6.1.2 MR nicht rechtlich, sondern vielmehr wirtschaftlich zu verstehen. Eine Verschmelzung liegt dann vor, wenn eine Geschäftseinheit über eine andere Geschäftseinheit (oder Gruppe von Geschäftseinheiten) die Beherrschung erwirbt. Eine Spaltung liegt umgekehrt dann vor, wenn die Beherrschung aufgegeben wird. Der Begriff Beherrschung (Control) richtet sich nach der Definition des anwendbaren «True and Fair View»-Rechnungslegungsstandards, bspw. IFRS 10.5–10.6.<sup><a title="" href="#_ftn35" name="_ftnref35">35</a></sup> Wenn bspw. ein Konzern bisher 25% an einer anderen Unternehmung hält (IFRS-Qualifikation als assoziierte Gesellschaft, blosse Equity-Konsolidierung) und seinen Anteil neu auf 52% (IFRS-Qualifikation als beherrschte Tochtergesellschaft, Vollkonsolidierung) erhöht (bspw. Kauf, Kapitalerhöhung), liegt ebenfalls eine Verschmelzung gemäss GloBE-Mustervorschriften vor.</p>
<h4>5.2.2 Umsatzermittlung bei Verschmelzung</h4>
<p>Ist im Rahmen einer Verschmelzung für die letzten vier vorhergehenden Geschäftsjahre keine konsolidierte Jahresrechnung verfügbar, sind gemäss Art. 6.1.1 lit. a MR primär die Umsätze der einzelnen konsolidierten Jahresrechnungen der verschmolzenen Gruppen und subsidiär gemäss lit. b die Umsätze gemäss Einzelabschlüssen (gemäss einem anerkannten oder akzeptierten Rechnungslegungsstandard, Ziff. 4.1 oben) pro Geschäftsjahr zu addieren. Hierbei ist zu beachten, dass Umsätze zwischen den verschmolzenen Gruppen bzw. Gesellschaften nicht eliminiert werden.<sup><a title="" href="#_ftn36" name="_ftnref36">36</a></sup> Dies steht im Widerspruch zur allgemeinen Regelung, wonach nur Aussenumsätze berücksichtigt werden (Ziff. 4.1 oben) und führt zu einer Ungleichbehandlung mit bereits bestehenden Unternehmensgruppen, bei welchen die Innenumsätze nicht berücksichtigt werden.</p>
<p>Nicht geregelt ist die Frage, nach welchem Rechnungslegungsstandard der Umsatz zu ermitteln ist, wenn beispielsweise eine Gruppe in der Vergangenheit ihre Konzernrechnung nach IFRS und die andere nach Swiss GAAP FER erstellt hat. Nach der hier vertretenen Auffassung soll dies nach dem Rechnungslegungsstandard erfolgen, den die kombinierte Gruppe in Zukunft anwendet. Dies bedeutet jedoch, dass eine Gruppe die Umsatzzahlen für die letzten vier Jahre neu ermitteln muss. Wenn also im vorliegenden Beispiel der kombinierte Konzern künftig nach IFRS rapportiert, muss die Swiss GAAP FER-Gruppe die Umsätze der letzten vier Jahre ebenfalls nach IFRS ermitteln. Dies kann im Einzelfall mit erheblichem Aufwand verbunden sein.</p>
<h4>5.2.3 Umsatzermittlung bei Spaltungen</h4>
<p>Wenn sich eine bisher durch das Regelwerk erfasste Gruppe in zwei oder mehrere Gruppen aufspaltet, wird für die Ermittlung der Umsätze gemäss Art. 6.1.1 lit. c MR ausschliesslich auf die konsolidierten Abschlüsse der einzelnen Gruppen abgestellt. Im ersten Geschäftsjahr wird auf den Umsatz in diesem Geschäftsjahr abgestellt, in dem zweiten bis vierten Geschäftsjahr müssen in mind. zwei auf das Jahr der Spaltung folgenden Geschäftsjahren die Umsatzziele erfüllt sein.</p>
<h2>6. Fazit</h2>
<p>Die Mindestbesteuerungsverordnung ist in der Schweizer Rechtsordnung insofern ein Unikat, als dass in wesentlichen Teilen auf das Regelwerk der OECD/G20 (GloBE-Mustervorschriften, weitere Dokumente) verwiesen wird, die meist nur in englischer Sprache verfügbar sind. Dies hat zur Folge, dass auch der zentrale Umsatzbegriff in der Verordnung selbst nicht weiter definiert ist. Während wesentliche Aspekte wie bspw. die Umrechnung in andere Wechselkurse oder die zeitliche Ermittlung detailliert geregelt sind, sind im Einzelnen dennoch verschiedene Fragen ungeklärt. Es wird sich zeigen müssen, ob die OECD/G20 diese Fragen in zukünftigen Dokumenten noch regeln wird oder ob die kantonalen Veranlagungsbehörden eine eigenständige Praxis ermitteln werden. Da die Mindestbesteuerungsverordnung allerdings extensiv auf das Regelwerk der OECD/G20 verweist, muss die zukünftige Verwaltungspraxis dem «Geiste der GloBE-Mustervorschriften» folgen.</p></article>
Use the editor to edit this text.