<article class="rz"><h2>1. Die Funktionsweise der Verrechnungssteuer</h2>
<p>Die Verrechnungssteuer wird auf bestimmten, im Gesetz bezeichneten Leistungen erhoben, nämlich auf bestimmten Erträgen beweglichen Kapitalvermögens, auf Lotterien und bestimmten «Glückspielen» sowie auf bestimmten Versicherungsleistungen. Die Verrechnungssteuer ist von derjenigen inländischen natürlichen oder juristischen Person abzuliefern, welche die steuerbare Leistung zu erbringen hat, d.h. vom inländischen zivilrechtlichen Schuldner einer vom <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de" target="_blank" rel="noopener">VStG</a><a title="" href="#_ftn1" name="_ftnref1"><strong><sup>01</sup></strong></a> als steuerbar erklärten Leistung. Die heutige Konzeption der Verrechnungssteuer beruht ausschliesslich auf diesem Schuldnerprinzip. Wer Empfängerin dieser steuerbaren Leistungen ist, ist für die Steuererhebung grundsätzlich ohne Bedeutung: Die Erhebung der Verrechnungssteuer ist vom Grundsatz her anonym. Sie erfolgt unabhängig von der Person der Leistungsempfängerin einzig gestützt auf die Tatsache, dass der Leistungsschuldner eine vom <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de" target="_blank" rel="noopener">VStG</a> als steuerbar erklärte Leistung ausrichtet. Die Individualisierung der Leistungsempfängerin erfolgt erst im Rückerstattungsverfahren.</p>
<p>Der Schuldner der steuerbaren Leistung, welcher die Steuer abzuliefern hat, muss sie vom Betrag der Leistung abziehen, die er der Leistungsempfängerin schuldet. Der Steuerpflichtige darf nur die um die Verrechnungssteuer gekürzte Nettoleistung weitergeben. Damit wird die Verrechnungssteuerlast auf die Leistungsempfängerin überwälzt: Die Überwälzungspflicht ist zwingend, ausser die Verrechnungssteuerpflicht kann ausnahmsweise durch Meldung erfüllt werden. Die Leistungsempfängerin kann jedoch auf Antrag die auf sie überwälzte Verrechnungssteuer unter bestimmten Voraussetzungen ganz oder teilweise zurückverlangen. Eine tatsächliche Steuerbelastung stellt die Verrechnungssteuer deshalb nur für diejenige Leistungsempfängerin dar, die sie nicht vollständig zurückfordern kann. Inländische Leistungsempfängerinnen, welche die Voraussetzungen der massgebenden Rückerstattungsbestimmungen von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_21" target="_blank" rel="noopener">Art. 21 ff. VStG</a> erfüllen, haben einen vollen Rückerstattungsanspruch. Ausländische Leistungsempfängerinnen können die Rückerstattung der Verrechnungssteuer nur nach Massgabe eines Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und ihrem Ansässigkeitsstaat oder einer anderen staatsvertraglichen Rückerstattungsgrundlage geltend machen.</p>
<p>Nach dem Gesagten zeigt sich, dass die Grundkonzeption der Verrechnungssteuer vor allem durch die Zweiphasigkeit von Steuererhebung und Steuerrückerstattung gekennzeichnet ist.</p>
<p><img src="https://images.ctfassets.net/bgpaxzxi3eyz/2ylepvwuZ6TAb7zeZ5nLCm/a8ce00c65d07922b35d88b06f60b2234/new_Band_2-2021_GrafikA.png" alt="zsis zentrum schweizerisches und internationales steuerrecht thomas jaussi marian inäbnit verrechnungssteuer fremdkapital revision verrechnungssteuergesetz" width="930" height="339" /></p>
<h2>2. Die Steuerobjekte nach heutigem Recht</h2>
<p>Die Verrechnungssteuer wird auf bestimmten, im <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de" target="_blank" rel="noopener">VStG</a> als steuerbar bezeichneten Leistungen erhoben. Diese Steuerobjekte lassen die Verrechnungssteuer in drei Teilbereiche unterteilen. Sie wird auf bestimmten Erträgen des beweglichen Kapitalvermögens, auf «Glücksspielen» und auf bestimmten Versicherungsleistungen erhoben. Die Erträge des beweglichen Kapitalvermögens können unterteilt werden in Obligationenzinsen, Erträge aus Beteiligungsrechten, Erträge aus kollektiven Kapitalanlagen und Zinsen auf Kundenguthaben.</p>
<p><img src="https://images.ctfassets.net/bgpaxzxi3eyz/6kMsoHNrO5o7j4geONPZIP/31213981c2aabc57187b42b572f7c41a/new_Band_2-2021_GrafikB.png" alt="zsis zentrum schweizerisches und internationales steuerrecht thomas jaussi marian inäbnit verrechnungssteuer fremdkapital revision verrechnungssteuergesetz" width="900" height="428" /></p>
<h2>3. Fremdkapitalzinsen als Verrechnungssteuerobjekt</h2>
<p>Zinsen als Preis für die darlehensweise Überlassung von Fremdkapital und somit Zinsen aus normalen Darlehen sind grundsätzlich nicht Gegenstand der Verrechnungssteuer. Das <a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384" target="_blank" rel="noopener">VSt</a><a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384">G</a> führt im Bereich des Fremdkapitals nur Erträge aus Obligationen und aus Kundenguthaben ausdrücklich als Steuerobjekte auf. Zudem unterliegen Fremdkapitalzinsen, welche in Erträgen aus kollektiven Kapitalanlagen im Sinne des <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2006/822/de" target="_blank" rel="noopener">KAG</a><sup><a title="" href="#_ftn2" name="_ftnref2">02</a></sup> enthalten sind, ebenfalls der Verrechnungssteuersteuer. Zusammengefasst sind Fremdkapitalzinsen wie folgt Gegenstand der Verrechnungssteuer:</p>
<ul>
<li>Fremdkapital wird in Form einer Obligation zur Verfügung gestellt. Nach <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_4" target="_blank" rel="noopener">Art. 4 Abs. 1 Bst. a VStG</a> ist die Verrechnungssteuer auf dem Obligationenzins geschuldet.</li>
<li>Fremdkapital wird in Form eines Kundenguthabens zur Verfügung gestellt. Nach <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_4" target="_blank" rel="noopener">Art. 4 Abs. 1 Bst. d VStG</a> ist die Verrechnungssteuer auf dem Zins geschuldet.</li>
<li>Zinsertrag qualifiziert als Bestandteil von verrechnungssteuerpflichtigem Ertrag aus Anteilen an kollektiver Kapitalanlage nach KAG. Nach <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_4" target="_blank" rel="noopener">Art. 4 Abs. 1 Bst. c VStG</a> ist die Verrechnungssteuer auf dem Anteil des Ertrags, der aus Zinselementen stammt, geschuldet.</li>
<li>Darlehenszinsertrag qualifiziert sich als geldwerte Leistung und somit als Ertrag aus Beteiligungsrechten. Ein Zinsertrag kann in den folgenden Fällen als geldwerte Leistung i.S.v. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_4" target="_blank" rel="noopener">Art. 4 Abs. 1 Bst. b VStG</a> gelten:
<ul>
<li>(a) Ein Darlehen an einen Aktionär oder eine diesem nahestehende Person wird ungenügend verzinst. Die Gesellschaft verzichtet auf steuerbaren Ertrag, der korrekterweise als der Verrechnungssteuer unterliegende Gewinnausschüttung an den Aktionär ausgeschüttet werden müsste.</li>
<li>(b) Ein Darlehen von einem Aktionär oder einer ihm nahestehenden Person wird zu hoch verzinst. Die Gesellschaft macht geschäftsmässig nicht begründete Aufwände geltend. Der entgangene Gewinn qualifiziert als verdeckte Gewinnausschüttung und unterliegt somit der Verrechnungssteuer.</li>
<li>(c) Ein Passivdarlehen stellt verdecktes Eigenkapital dar. Die darauf entrichteten Zinsen sind geschäftsmässig nicht begründet und stellen eine verdeckte Gewinnausschüttung bzw. eine verrechnungssteuerpflichtige geldwerte Leistung dar.</li>
</ul>
</li>
<li>Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Darlehenseinräumung an einen Aktionär selber als geldwerte Leistung i.S.v. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_4" target="_blank" rel="noopener">Art. 4 Abs. 1 Bst. b VStG</a> qualifiziert, wenn kein Rückzahlungswille und / oder keine Rückzahlungsfähigkeit gegeben ist.</li>
</ul>
<p><img src="https://images.ctfassets.net/bgpaxzxi3eyz/3yD8KvAysuM8ZPr3RV96JJ/f6f120a63f6fcc443f6b94015a0a1fb1/new_Band_2-2021_GrafikC.png" alt="zsis zentrum schweizerisches und internationales steuerrecht thomas jaussi marian inäbnit verrechnungssteuer fremdkapital revision verrechnungssteuergesetz" width="900" height="306" /></p>
<h2>4. Darlehenszinsen</h2>
<h3>4.1 Zinsen auf normalen Aktiv- und Passivdarlehen</h3>
<p>Bezüglich dem Zinssatz auf von einem Inhaber einer Kapitalgesellschaft oder einer ihm nahestehenden Person eingeräumten oder erhaltenen Darlehen muss der Drittvergleich eingehalten werden. D.h. der Zins muss dem anwendbaren Marktzins entsprechen. Wird ein Passivdarlehen, also ein an die Gesellschaft vergebenes Darlehen bzw. ein sog. Vorschuss von Beteiligten, zu hoch verzinst, so liegt ein geschäftsmässig nicht begründeter Aufwand und somit eine geldwerte Leistung i.S.v. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_4" target="_blank" rel="noopener">Art. 4 Abs. 1 Bst. b VStG</a> in Höhe der Differenz «Überhöhter Zins – Marktzins» vor. Diese Differenz unterliegt der Verrechnungssteuer. Wird ein Aktivdarlehen, also ein von der Gesellschaft an eine Aktionärin oder eine ihr nahestehenden Person eingeräumtes Darlehen bzw. ein sog. Vorschuss an Beteiligte, zu tief verzinst, so liegt ein Gewinnverzicht zugunsten der Aktionärin und somit ebenfalls eine geldwerte Leistung i.S.v. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_4" target="_blank" rel="noopener">Art. 4 Abs. 1 Bst. b VStG</a> in der Höhe der Differenz «Marktzins – untersetzter Zins» vor, die der Verrechnungssteuer unterliegt.</p>
<p>Die ESTV<sup><a title="" href="#_ftn3" name="_ftnref3">03</a></sup> publiziert jedes Jahr die <a href="https://www.estv.admin.ch/estv/de/home/direkte-bundessteuer/direkte-bundessteuer/fachinformationen/rundschreiben.html" target="_blank" rel="noopener">Rundschreiben</a> «Steuerlich anerkannte Zinssätze 20XX für Vorschüsse oder Darlehen in Schweizer Franken / Fremdwährungen», die sog. Zinsenmerkblätter, welche «safe-haven»-Regeln für die Verzinsung von Aktiv- und Passivdarlehen statuieren. Werden die darin definierten Zinssätze und Finanzierungsprinzipien eingehalten, so gelten Zinssätze als marktgerecht und es liegt keine geldwerte Leistung vor. Werden die Regeln der Zinsenmerkblätter nicht eingehalten, so muss nachgewiesen werden können, dass der Drittvergleich eingehalten wurde, mithin die Bedingungen «at arm’s length» sind.</p>
<p><img src="https://images.ctfassets.net/bgpaxzxi3eyz/6gMQYCmIzE9xvTZfmL8aaU/18ba795ddb38aca084db72e3607f8db7/new_Band_2-2021_GrafikD.png" alt="zsis zentrum schweizerisches und internationales steuerrecht thomas jaussi marian inäbnit verrechnungssteuer fremdkapital revision verrechnungssteuergesetz" width="900" height="229" /></p>
<p><span style="font-family: -apple-system, BlinkMacSystemFont, 'Segoe UI', Roboto, Oxygen, Ubuntu, Cantarell, 'Open Sans', 'Helvetica Neue', sans-serif;">Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass eine zu hohe Verzinsung eines Aktivdarlehens und eine zu tiefe Verzinsung eines Passivdarlehens der Beteiligungsinhaberin einen emissionsabgaberechtlichen Zuschuss darstellen. Im letzteren Fall – unter Einschluss eines unverzinslichen Darlehens – wird in der Praxis auf die Emissionsabgabe verzichtet. Dagegen ist auf einem Zinsverzicht die Emissionsabgabe geschuldet.</span></p>
<h3>4.2 Zinsen auf verdecktem Eigenkapital</h3>
<p>Wie eine Unternehmung zweckmässig finanziert wird, ist grundsätzlich und in gewissem Ausmass ihre eigene Sache bzw. Sache ihrer Beteiligten. Handelt es sich bei der Unternehmung um eine Kapitalgesellschaft oder eine Genossenschaft und stellen die Beteiligten der Gesellschaft in ungewöhnlichem Umfang Fremdkapital zur Verfügung, so wird die Steuerbehörde denjenigen Teil des eingeräumten Fremdkapitals als verdecktes Eigenkapital umqualifizieren, welcher wirtschaftlich die Funktion von Risikokapital und mithin von Eigenkapital hat. Die Folge davon ist einerseits, dass das verdeckte Eigenkapital dem steuerbaren Eigenkapital zugerechnet wird und der Kapitalsteuer unterliegt. Andererseits – und riskanter – wird der auf dem verdeckten Eigenkapital bezahlte Zins nicht als geschäftsmässig begründeter Aufwand anerkannt und somit zum steuerbaren Gewinn hinzugerechnet. Verrechnungssteuerlich ist der auf verdecktem Eigenkapital bezahlte Zins als geldwerte Leistung im Sinne von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_4" target="_blank" rel="noopener">Art. 4 Abs. 1 Bst. b VStG</a> zu qualifizieren und gilt somit als der Verrechnungssteuer unterliegende Beteiligungsertrag. Die Verrechnungssteuer muss mit Formular 102 der ESTV deklariert und auf die Leistungsempfängerin überwälzt und abgeliefert werden, sofern die Steuerpflicht nicht durch Meldung erfüllt werden kann.</p>
<p>Wesentlich ist, dass nur derjenige Teil des Fremdkapitals als verdecktes Eigenkapital gilt, der direkt oder indirekt vom Inhaber der Beteiligungsrechte oder von einer diesem nahestehenden Person stammt. Indirekt gewährtes verdecktes Eigenkapital liegt dann vor, wenn der Fremdkapitalgeber ein Dritter ist, der Anteilsinhaber jedoch hierfür Sicherstellung leistet. Wird also Fremdkapital ohne Sicherstellung durch den Anteilsinhaber oder durch eine diesem nahestehende Person der Unternehmung von einem Dritten zur Verfügung gestellt, so liegt kein verdecktes Eigenkapital vor. Zudem stehen die Regeln über verdecktes Eigenkapital, gleich wie die Regeln über die Verzinsung von Aktiv- und Passivdarlehen, unter dem Vorbehalt des Nachweises von Drittverhältnissen.</p>
<h2>5. Kundenguthaben</h2>
<h3>5.1 Grundsatz</h3>
<p><a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_4" target="_blank" rel="noopener">Art. 4 Abs. 1 Bst. d VStG</a> hält fest, dass die Erträge aus Kundenguthaben bei inländischen Banken und Sparkassen der Verrechnungssteuer unterliegen. Kundenguthaben sind die durch Einlagen bei einer inländischen Bank oder Sparkasse begründeten Forderungen wie Spar-, Einlage-, Depositen- und Kontokorrentguthaben, Festgelder, Callgelder, Lohnkonti, Aktionärsdarlehen etc.</p>
<p>Das Verrechnungssteuerrecht kennt einen eigenen Bankbegriff, der weiter geht als der bankenrechtliche Begriff. Was eine Bank oder Sparkasse im Sinne des VStG ist, bestimmt <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_9" target="_blank" rel="noopener">Art. 9 Abs. 2 VStG</a>: Als Bank oder Sparkasse gilt, wer sich öffentlich zur Annahme verzinslicher Gelder empfiehlt oder fortgesetzt Gelder gegen Zinsen entgegennimmt. Bei Banken und Sparkassen im Sinne der Bankengesetzgebung, die sich öffentlich zur Annahme verzinslicher Gelder empfehlen, beginnt die Steuerpflicht mit der Aufnahme der Geschäftstätigkeit. Bei Banken und Sparkassen im Sinne von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_9" target="_blank" rel="noopener">Art. 9 Abs. 2 VStG</a>, die fortgesetzt Gelder gegen Zins entgegennehmen, beginnt die Steuerpflicht gemäss Praxis der ESTV, sobald der Bestand an Gläubigerinnen die Zahl von 100 übersteigt und die gesamte Schuldsumme mindestens CHF 5‘000'000 beträgt. Der Bankenbegriff von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_9" target="_blank" rel="noopener">Art. 9 Abs. 2 VStG</a> und somit das Vorliegen von verrechnungssteuerlich massgebenden Kundenguthaben hängt gemäss dieser Praxis einzig von der Erfüllung dieser zwei quantitativen Kriterien ab. Wie bei den Obligationen (siehe nachstehend Ziff. 6) werden auch für die Bestimmung, ob Kundenguthaben vorliegen, die in- und ausländischen Banken im Sinne der an ihrem Sitz geltenden Bankengesetzgebung bei der Ermittlung der Anzahl massgeblicher Gläubigerinnen nicht mitgezählt. Grundsätzlich unterliegen somit alle Passivzinsen einer Bank oder Sparkasse im Sinne des VStG der Verrechnungssteuer, sei dies als Obligationenzinsen oder als Zinsen von Kundenguthaben. Eine wichtige Ausnahme betreffend die Kundenguthaben bildet hierbei <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_5" target="_blank" rel="noopener">Art. 5 Abs. 1 Bst. c VStG</a>, wonach die Zinsen von Kundenguthaben von der Verrechnungssteuer ausgenommen sind, wenn der Zinsbetrag für ein Kalenderjahr CHF 200 nicht übersteigt.</p>
<p>Bei sog. Interbankguthaben – d.h. Buchguthaben, welche in- und ausländische Banken für eigene Rechnungen bei inländischen Banken begründen – fällt die Verrechnungssteuer auf den Zinsen nicht an. Das Vorliegen von Kundenguthaben wird nur dann bejaht, wenn es sich beim Gläubiger um eine in- oder ausländische Bank im Sinne der an ihrem Sitz geltenden Bankengesetzgebung handelt, welche das betreffende, zinsabwerfende Guthaben für eigene Rechnung begründet hat.</p>
<p>Für Beziehungen zwischen Konzerngesellschaften enthält <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/1585_1641_1624/de#art_14_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 14a Abs. 1 VStV</a><sup><a title="" href="#_ftn4" name="_ftnref4">04</a></sup> eine Spezialbestimmung: Zwischen Konzerngesellschaften bestehende Guthaben gelten weder als Obligationen nach <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_4" target="_blank" rel="noopener">Art. 4 Abs. 1 Bst. a VStG</a>, noch als Kundenguthaben nach <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_4" target="_blank" rel="noopener">Art. 4 Abs. 1 Bst. d VStG</a>. Dies gilt unabhängig von ihrer Laufzeit, ihrer Währung und ihrem Zinssatz. Im Bereich von Kundenhaben sorgt diese Bestimmung dafür, dass bei Cash pooling ein inländischer Cash-pool-Leader nicht zur Bank im Sinne des VStG wird und somit Zinsen auf Cash pooling-Einlagen der Verrechnungssteuer unterliegen.</p>
<h3 align="left">5.2 Negativzinsen</h3>
<p>Negativzinsen sind heute eine wirtschaftliche Realität. Negativzinsen stellen indes keine Schuldzinsen dar, da sie auf Guthaben und nicht auf Schulden erhoben werden. Daraus folgt verrechnungssteuerlich, dass Negativzinsen – weil sie eben steuerlich keine Zinsen sind – nicht mit positiven Zinselementen verrechnet werden dürfen mit der Folge, dass ein potentielles Verrechnungssteuersubstrat – Zinsen auf Kundenguthaben – aufgrund einer solchen Verrechnung bzw. «Nettodarstellung» reduziert wird.</p>
<h2>6. Obligationen</h2>
<h3>6.1 Grundsatz</h3>
<p><a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_4" target="_blank" rel="noopener">Art. 4 Abs. 1 Bst. a VStG</a> setzt ein Schuldverhältnis zwischen dem Leistungsschuldner und der Leistungsempfängerin, das heisst der Gläubigerin, voraus, wobei das Gesetz von «von einem Inländer ausgegebenen Obligationen, Serienschuldbriefen, Seriengülten und Schuldbuchguthaben»“ spricht (nachfolgend wird nur noch von «Obligation» gesprochen). Steuerbarer Ertrag im Sinne von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_4" target="_blank" rel="noopener">Art. 4 Abs. 1 Bst. a VStG</a> sind diesem Grundverhältnis entsprechend sämtliche auf dem Schuldverhältnis beruhenden geldwerten Leistungen an die Gläubigerin, die sich nicht als Rückzahlung der Kapitalschuld darstellen, also unter Einschluss eines Emissionsdisagios oder eines Rückzahlungsagios.</p>
<p>Der Begriff der «Obligation» des VStG bzw. gemäss der Legaldefinition in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/1585_1641_1624/de#art_15" target="_blank" rel="noopener">Art. 15 VStV</a> – im Übrigen deckungsgleich mit dem stempelabgaberechtlichen Obligationenbegriff von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1974/11_11_11/de#art_4" target="_blank" rel="noopener">Art. 4 Abs. 3 StG</a> – ist weiter gefasst als der Obligationenbegriff des Wertpapierrechts oder des Kapitalmarktes. Eine Obligation im Sinne des <a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384" target="_blank" rel="noopener">VStG</a> (und des <a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1974/11_11_11" target="_blank" rel="noopener">StG</a>) liegt vor, sobald schriftliche, auf feste Beträge lautende Schuldanerkennungen vorliegen, die zwecks kollektiver Beschaffung von Fremdkapital, kollektiver Anlagegewährung oder Konsolidierung von Verbindlichkeiten in einer Mehrzahl von Exemplaren ausgegeben werden.</p>
<p>Ungeachtet der Vielfalt auf den Kapitalmärkten unterscheidet das <a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384" target="_blank" rel="noopener">VStG</a> grundsätzlich zwischen Anleihens- und Kassenobligationen:</p>
<ul>
<li>Eine Anleihensobligation liegt vor, wenn die Titel in einer Mehrzahl von Exemplaren zu identi­schen Bedingungen ausgegeben werden. Bei einer Anleihe handelt es sich um ein einheitliches, in sich geschlossenes Kreditgeschäft. Sie liegt vor, wenn ein inländischer Schuldner bei mehr als zehn verrechnungssteuerlich massgebenden Gläubigerinnen gegen Ausgabe von Schuldanerkennungen Geld zu identischen Bedingungen aufnimmt und die Schuldsumme mindestens CHF 500'000 beträgt.</li>
<li>Im Fall von Kassenobligationen werden die Titel in einer Mehrzahl von Exemplaren fortlaufend und zu variablen Bedingungen ausgegeben. Kassenobligationen liegen vor, wenn ein inländischer Schuldner, welcher keine Bank ist, bei mehr als 20 verrechnungssteuerlich massgebenden Gläubigerinnen gegen Ausgabe von Schuldanerkennungen fortlaufend Geld zu variablen Bedingungen aufnimmt und die Schuldsumme mindestens CHF 500'000 beträgt. Bei einer Bank erfolgt die Emission von Kassenobligationen mit der Aufnahme der entsprechenden Geschäftstätigkeit, das heisst somit unabhängig von der Anzahl Gläubigerinnen.</li>
</ul>
<p>Der Obligationenbegriff bzw. die Kollektivität der Fremdmittelaufnahme ist somit neben den Besonder­heiten als Anleihensobligation (identische Bedingungen) oder als Kassenobligation (variable Bedingun­gen) und der Voraussetzung von schriftlichen Schuldbekenntnissen durch zwei quantitative Kriterien definiert:</p>
<ul>
<li>Der Anzahl verrechnungssteuerlich massgebender Gläubigern, nämlich zehn im Fall von Anleihensobligationen und 20 im Falle von Kassenobligationen.</li>
<li>Der Schuldsumme, nämlich CHF 500'000.-</li>
</ul>
<p>Bei der Ermittlung der Anzahl Gläubiger für die Beurteilung, ob eine Anleihens- oder eine Kassenobligation vorliegt, sind die in- und ausländischen Banken im Sinne der an ihrem Sitz geltenden Bankengesetzgebung nicht mitzuzählen. Desgleichen qualifizieren sich Konzerndarlehensverhältnisse grundsätzlich nicht als hierfür massgebende Schuldverhältnisse.<sup><a title="" href="#_ftn5" name="_ftnref5">05</a></sup></p>
<p><img src="https://images.ctfassets.net/bgpaxzxi3eyz/2o1tsgbFOQOhdTokmybWPy/41cc15120bc41b6ba753e7e52f3b896e/A6_Band_2-2021_GrafikRZ25.png" alt="Verrechnungssteuer zsis isis Fremdkapital Obligationäre Muttergesellschaft Steuerrecht tax law Artikel Unternehmen Revision VSTG" width="930" height="572" /></p>
<h3>6.2 Konzernfinanzierung</h3>
<p>Nach Praxis der ESTV werden durch eine ausländische Tochtergesellschaft mit Garantie ihrer schweizerischen Muttergesellschaft (sog. «downstream»-Garantie) ausgegebene Obligationen als von der schweizerischen Muttergesellschaft ausgegeben betrachtet, wenn die aufgenommenen Mittel direkt oder indirekt in der Schweiz verwendet werden. Im Vordergrund steht hierbei ein direkter Mittelfluss an die schweizerische Muttergesellschaft. Es handelt sich um einen Ersatztatbestand, indem die Emission der Tochtergesellschaft bei Erfüllung der Kriterien «Garantie» und «Mittelverwendung in der Schweiz» der inländischen Muttergesellschaft zugerechnet wird und dadurch zur inländischen Emission wird, deren Zinsen der Verrechnungssteuer unterliegen. Sind somit die Kriterien</p>
<ul>
<li>kollektive Mittelbeschaffung durch eine ausländische Tochtergesellschaft</li>
<li>Garantie (oder u.U. Keepwell Agreement) der schweizerischen Muttergesellschaft</li>
<li>und Mittelverwendung in der Schweiz bzw. direkter und / oder indirekter Mittelfluss in die Schweiz<br /><br />erfüllt, so unterliegen die entsprechenden Obligationenzinsen der Verrechnungssteuer, obwohl der Emittent die ausländische Tochtergesellschaft ist.</li>
</ul>
<p><img src="https://images.ctfassets.net/bgpaxzxi3eyz/6UcScmcRMSQlxrxziOuXl6/e0e8b8b9a6283b7aee80063146412570/new_Band_2-2021_GrafikF.png" alt="zsis zentrum schweizerisches und internationales steuerrecht thomas jaussi marian inäbnit verrechnungssteuer fremdkapital revision verrechnungssteuergesetz" width="900" height="310" /></p>
<p>Aus dieser von der ESTV angewandten Praxis resultierte eine praktikable «safe haven rule»: Keine Garantie der schweizerischen Muttergesellschaft oder keine Mittelverwendung in der Schweiz bedeuten, dass keine Verrechnungssteuer auf die Obligationenzinsen anfällt. Erleichterungen brachte zudem <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/1585_1641_1624/de#art_14_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 14a VStV</a>, wonach zwischen Konzerngesellschaften bestehende Guthaben unabhängig von ihrer Laufzeit, ihrer Währung und ihrem Zinssatz nicht als Obligationen gelten, sofern nicht eine inländische Konzerngesellschaft eine Obligation einer ausländischen Konzerngesellschaft garantiert und die von der ausländischen Konzerngesellschaft an die inländische Konzerngesellschaft weitergeleiteten Mittel per Bilanzstichtag den Umfang des Eigenkapitals der ausländischen Konzerngesellschaft übersteigt.</p>
<h2>7. Erträge aus kollektiven Kapitalanlagen</h2>
<p>Gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_4" target="_blank" rel="noopener">Art. 4 Abs. 1 Bst. c VStG</a> unterliegen die Erträge der von einem Inländer oder von einem Ausländer in Verbindung mit einem Inländer ausgegebenen Anteile an einer kollektiven Kapitalanlage der Verrechnungssteuer. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_5" target="_blank" rel="noopener">Art. 5 Abs. 1 Bst. b VStG</a> nimmt die in einer kollektiven Kapitalanlage gemäss KAG erzielten Kapitalgewinne und Erträge aus direktem Grundbesitz sowie die durch die Anleger geleisteten Kapitaleinzahlungen von der Verrechnungssteuer aus, sofern sie über einen gesonderten Coupon ausgerichtet werden. Daraus folgt, dass Zinserträge, welche eine kollektive Kapitalanlage vereinnahmt, z.B. weil sie in Obligationen investiert ist, als Bestandteil der Erträge von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_4" target="_blank" rel="noopener">Art. 4 Abs. 1 Bst. c VStG</a> verrechnungssteuerpflichtig sind. Im Gegenzug kann die kollektive Kapitalanlage grundsätzlich die auf Zinsen der von ihr gehaltenen inländischen Obligationen in Abzug gebrachte Verrechnungssteuer gestützt auf <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_26" target="_blank" rel="noopener">Art. 26 VStG</a> selbständig zurückfordern.</p>
<h2>8. Fremdkapital unter der neuen Verrechnungssteuer nach der Botschaft des Bundesrats vom 14. April 2021</h2>
<h3 align="left">8.1 Einleitung</h3>
<p>Schon seit dem Jahr 2010 strebt der Bundesrat eine Reform der Verrechnungssteuer in der Schweiz zwecks Stärkung des schweizerischen Kapitalmarkts und insbesondere der Konzernfinanzierungen an. Die Verrechnungssteuer von verhältnismässig hohen 35% auf Obligationenzinsen und auf Kundenguthaben machte die Schweiz als Finanzplatz und insbesondere für die Obligationsemission unattraktiv. Nach mehreren am Parlament gescheiterten oder sistierten Entwürfen wurden die Arbeiten 2019 wiederaufgenommen und am 3. April 2020 wurde schliesslich <a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/60850.pdf" target="_blank" rel="noopener">der erläuternde Bericht zum Bundesgesetz über die Verrechnungssteuer</a> veröffentlicht und das entsprechende Vernehmlassungsverfahren eröffnet. Die damals vorgesehenen Änderungen waren weitreichend und komplex. Ausser für Kapitalerträge aus inländischen Beteiligungsrechten und Seriengülten war ein Wechsel vom Schuldner- zum sog. Zahlstellenprinzip vorgesehen.<a title="" href="#_ftn6" name="_ftnref6"><sup>06</sup></a> In <a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/66145.pdf" target="_blank" rel="noopener">der Botschaft vom 14. April 2021</a> hat der Bundesrat nun auf die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens reagiert und einen neuen Entwurf vorgelegt. Die Reform sieht vor, die Verrechnungssteuer auf inländischen Zinsen, mit Ausnahme der Zinsen auf Kundenguthaben an inländische natürliche Personen, ersatzlos abzuschaffen. Mit der Revision soll die bisher im Ausland getätigte Ausgabe von Obligationen künftig vermehrt aus der Schweiz heraus erfolgen. Dadurch kann der Schweizer Fremdkapitalmarkt gestärkt werden. Die weitgehende Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Zinsen setzt zudem einen Anreiz, auch konzerninterne Finanzierungsaktivitäten vermehrt in der Schweiz durchzuführen. Im Gegensatz dazu sollen Erträge aus Ersatzzahlungen als Verrechnungssteuerobjekt ins <a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384" target="_blank" rel="noopener">VStG</a> aufgenommen werden.</p>
<h3 align="left">8.2 Erhebliche Reduktion der Verrechnungssteuer auf Zinserträgen aus Kundenguthaben</h3>
<p>Die Verrechnungssteuer auf Zinserträgen soll grösstenteils abgeschafft werden. Die Ausnahme davon bilden die Zinserträge aus Guthaben inländischer natürlichen Personen bei inländischen Banken und Sparkassen und bei Versicherungsunternehmen, mithin bei FINMA regulierten Gebilden. Die Banken und Versicherungsunternehmen liefern bereits heute nach dem Schuldnerprinzip die Verrechnungssteuer auf solchen Erträgen ab, weshalb sich diesbezüglich keine Neuerung ergibt. Neu ist jedoch, dass die Verrechnungssteuer und somit die Steuerüberwälzung nur noch gegenüber inländischen natürlichen Personen einschliesslich Einzelunternehmen vorgenommen werden muss. Es soll mithin auf eine Kategorie von Leistungsempfängern, welche somit konstitutiver Bestandteil der Umschreibung des Steuerobjekts «Zinsen aus Kundenguthaben» wird, fokussiert werden. Erträge, die an alle übrigen Anleger überwiesen werden, sollen somit zukünftig von der Verrechnungssteuer befreit sein, da die Sicherungsfunktion in diesen Fällen gegenüber ausländischen Zinsempfängern im Regelfall durch den AIA<sup><a title="" href="#_ftn7" name="_ftnref7">07</a></sup> und bei inländischen Zinsempfängern aufgrund der Buchführungspflicht bei juristischen Personen und Personengesellschaften erfüllt wird.</p>
<h3 align="left">8.3 Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Zinserträgen aus Obligationen</h3>
<p>Die getroffene Lösung ist einfach: Zinsen, welche von inländischen Emittenten von Obligationen ausgerichtet werden, sind vollumfänglich und ungeachtet der Person des Leistungsempfängers von der Verrechnungssteuer befreit.</p>
<h3 align="left">8.4 Von der geplanten Vorlage nicht betroffene Zinsen</h3>
<p>Die folgenden Zinskategorien, welche bisher der Verrechnungssteuer unterliegen<sup><a title="" href="#_ftn8" name="_ftnref8">08</a></sup>, sind von der geplanten Vorlage nicht betroffen und bleiben mithin weiterhin verrechnungssteuerpflichtig:</p>
<ul>
<li>Zinsertrag qualifiziert als Bestandteil von verrechnungssteuerpflichtigem Ertrag aus Anteilen an kollektiver Kapitalanlage nach KAG. Nach Art. 4 Abs. 1 Bst. c VStG ist die Verrechnungssteuer auf dem Anteil des Ertrags, der aus Zinselementen stammt, geschuldet. Bei inländischen Obligationenzinsen, welche von einer inländischen KAG gehalten wurde, hatte diese ein vollumfängliches Rückerstattungsrecht auf der in Abzug gebrachten Verrechnungssteuer, weshalb der Bruttozins in den verrechnungssteuerpflichtigen Ertrag eingeflossen ist. Da nunmehr keine Verrechnungssteuer auf inländischen Obligationenzinsen mehr anfällt, ergibt sich für inländische kollektive Kapitalanlage eine unveränderte Situation.</li>
<li>Darlehenszinsertrag qualifiziert als geldwerte Leistung und somit als Ertrag aus Beteiligungsrechten. Mithin werden ungenügend verzinste Vorschüsse an Beteiligungsrechtsinhaber oder diesen nahestehenden Personen, zu hoch verzinste Vorschüsse von Beteiligungsrechtsinhabern oder diesen nahestehenden Personen sowie Zinsen auf verdecktem Eigenkapital unverändert Gegenstand der Verrechnungssteuer – gestützt auf Art. 4 Abs. 1 Bst. b VStG – bleiben.</li>
</ul>
<h3 align="left">8.5 Exkurs: Ersatzzahlungen</h3>
<p>Neu sollen in das VStG bestimmte Ersatzzahlungen als Verrechnungssteuerobjekt aufgenommen werden. Ersatzzahlungen ersetzen grundsätzlich einen entgangenen originären Ertrag und sind heute vor allem in zwei Konstellationen anzutreffen, nämlich beim sog. Securities Lending and Borrowing sowie bei Cum-Ex-Transaktionen.</p>
<p>Beim Securities Lending and Borrowing überträgt ein Leihgeber einer Borgerin das zivilrechtliche Eigentum an einem Beteiligungsrecht, wobei das Recht zur Nutzung jedoch beim Leihgeber verbleibt. Sollte während der Leihdauer ein nach Art. 4 Abs. 1 Bst. b VStG verrechnungssteuerpflichtiger Beteiligungsertrag anfallen, fliesst dieser originäre Ertrag an die aktuelle Besitzerin, mithin die Borgerin, des Beteiligungsrechts. Dabei wird der Borgerin die Nettoleistung ausgerichtet und die Verrechnungssteuer wird durch den Schuldner der steuerbaren Leistung an die zuständige Steuerbehörde überwiesen. Die Borgerin hat nun grundsätzlich Anspruch auch Rückerstattung der Verrechnungssteuer und hat den Leihgeber für den entgangenen Beteiligungsertrag zu entschädigen. Diese Entschädigung ist die Ersatzzahlung, die von der Bank des Leihgebers der Bank der Borgerin in Rechnung gestellt wird. Die Bank des Leihgebers stellt dabei 100% des Beteiligungsertrags in Rechnung und liefert als Zahlstelle, die die verrechnungssteuerpflichtige Ersatzzahlung an den Empfänger der steuerbaren Leistung, mithin den Leihgeber, ausrichtet, die Verrechnungssteuer an die zuständige Steuerbehörde ab.</p>
<p>Cum-Ex-Transaktionen erfolgen bei an der Börse gehandelten Beteiligungsrechten. Gewöhnlich werden solche Beteiligungsrechte erst zwei Tage nach der Veräusserung durch einen Verkäufer an einen Käufer übertragen. Fällt in dieser Zeitspanne ein Beteiligungsertrag an, so wird dieser derjenigen Vertragspartei zugeschrieben, welche zum Zeitpunkt des Fälligkeitstermins des Beteiligungsertrags das zivilrechtliche Eigentum am zugrundeliegenden Beteiligungspapier hatte. Das zivilrechtliche Eigentum verbleibt bis zur Übertragung des Titels beim Verkäufer. Fällt nun ein Beteiligungsertrag innerhalb der zwei Tage zwischen Veräusserung und Übertragung an, so wird dieser, gekürzt um die Verrechnungssteuer, dem Verkäufer gutgeschrieben, obwohl eigentlich der Käufer Anspruch auf den Ertrag hätte. Da solche Verkäufe praktisch ausschliesslich über einen Zentralverwahrer oder eine diesem angeschlossene Bank abgewickelt werden, storniert der Zentralverwahrer den Beteiligungsertrag beim Verkäufer und schreibt ihn dem Käufer im Sinne einer Ersatzzahlung gut. Dies führt dazu, dass sowohl Käufer als auch Verkäufer im Besitz eines Belegs sind, der zur Rückerstattung der Verrechnungssteuer berechtigt, weshalb eine doppelte Rückerstattung nicht ausgeschlossen. Bis Ende 2017 wurde in der Praxis auf beiden Zahlungen, dem originären Ertrag und der Ersatzzahlung, die Verrechnungssteuer erhoben und auch rückerstattet. <a href="https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2F21-11-2017-2C_123-2016&lang=de&type=show_document&zoom=YES&" target="_blank" rel="noopener">Am 21. November 2017 entschied das Bundesgericht</a> jedoch, dass es an einer genügenden gesetzlichen Grundlage für die Erhebung der Verrechnungssteuer auf solchen Ersatzzahlungen fehle, was die Mehrfachrückerstattung möglich machte. Diese Lücke möchte der Bundesrat durch die Aufnahme der Ersatzzahlungen als Verrechnungssteuerobjekt schliessen.</p>
<h2>9. Fazit</h2>
<p>Obligationenzinsen, Kundenguthaben und Erträge aus kollektiven Kapitalanlagen inklusive Zinsen sind heute Steuerobjekte der Verrechnungssteuer, normale Darlehen nicht. Die Aussage, Darlehenszinsen unterliegen nicht der Verrechnungssteuer, ist mit Vorsicht zu geniessen. Insbesondere in der KMU-Welt sind aus verrechnungssteuerlicher Sicht diejenigen Zinsen zentral, welche nicht als Zins aus Darlehen, aber als Ertrag aus Beteiligungsrecht gestützt auf <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1966/371_385_384/de#art_4" target="_blank" rel="noopener">Art. 4 Abs. 1 Bst. b VStG</a> der Verrechnungssteuer unterliegen können. Zu oft geht hierbei die Verrechnungssteuer als Selbstdeklarationssteuer vergessen. Die nunmehr geplante Änderung des VStG betrifft überwiegend Zinsprodukte. Die Entwicklung im Bereich von Kundenguthaben ist sinnvoll und deshalb zu begrüssen. Sie entspricht dem Hauptzweck der Verrechnungssteuer als Sicherungssteuer für die allgemeinen Einkommenssteuern und führt zu einer administrativen Entlastung aller Beteiligten. Zudem ist lobend zu erwähnen, dass dadurch Finanzprodukte, welche bis anhin aufgrund der Verrechnungssteuer nicht aus der Schweiz heraus angeboten worden sind, repatriiert werden können. Zu nennen sind hier z.B. Cross Currency Interest Rate Swaps. Unbestrittenermassen wird die Aufhebung der Verrechnungssteuer auf Zinsen inländischer Obligationen die Emissionstätigkeit in der Schweiz beleben und erübrigt den Ausweg über ein ausländisches Emissionsvehikel oder die Einhaltung der sog. «ten- and twenty non-bank-creditor-rule». Der Preis hierfür ist die Aufgabe der Sicherungsfunktion der Verrechnungssteuer auf inländischen Obligationenzinsen. Im heutigen Zinsumfeld dürfte der Effekt nicht gewaltig sein. Dennoch stellt sich die Frage, ob diese «Radikallösung» politisch opportun ist. Die parlamentarische Debatte wird dies zeigen.</p></article>
Use the editor to edit this text.