<article class="rz"><h2>1. Einleitung</h2>
<p>«Home-Office», «remote work», «smart working»!<sup><a title="" href="#_ftn1" name="_ftnref1">01</a></sup> All diese Begriffe haben sich seit dem Jahr 2020 zu Schlagwörtern im Alltag entwickelt. Die Covid-19-Pandemie hat zu einem gesellschaftlichen Wandel geführt. Unter anderem wurde auch der Arbeitsmarkt auf den Kopf gestellt. Nebst den zahlreichen Erwerbstätigen, die in Kurzarbeit waren, mussten die Unternehmen ihre Mitarbeitenden von zu Hause aus arbeiten lassen.<sup><a title="" href="#_ftn2" name="_ftnref2">02</a></sup> Auf einen Schlag wurde aus der eigenen Wohnstätte zugleich auch der Arbeitsort. Dies hat zu zahlreichen Diskussionen auf nationaler wie auch internationaler Ebene geführt. Home-Office ist auch nach den Lockerungen der Covid-19-Regelungen ein fester Bestandteil des Arbeitsalltags geblieben und nicht mehr wegzudenken. Dies führt in mehreren Rechtsgebieten zu neuen Herausforderungen, unter anderem im Datenschutzrecht, Regulationsrecht, Arbeitsrecht, Migrationsrecht, Sozialversicherungsrecht und auch Steuerrecht. Der vorliegende Artikel behandelt die auf Stufe der Arbeitnehmenden mit dem Steuerrecht einhergehenden Fragestellungen im Zusammenhang mit grenzüberschreitender Home-Office-Tätigkeit. Nebst den allgemeinen Besteuerungsregeln von Erwerbseinkünften bei internationalen Arbeitnehmenden wird ein besonderer Fokus auf die Grenzgängervereinbarungen mit den Nachbarländern der Schweiz gelegt. Auf die sozialversicherungsrechtlichen Aspekte wird im Rahmen eines Exkurses eingegangen. Auf Stufe des Arbeitgebenden kann die grenzüberschreitende Home-Office-Tätigkeit unter Umständen die Begründung einer Betriebsstätte oder gar die Neubegründung des Orts der tatsächlichen Verwaltung zur Folge haben.<sup><a title="" href="#_ftn3" name="_ftnref3">03</a></sup> Darauf wird im vorliegenden Artikel aber nicht eingegangen. </p>
<h2>2. Besteuerung von internationalen Arbeitnehmenden</h2>
<p>Der Begriff des internationalen Arbeitnehmenden kennzeichnet sich im Wesentlichen dadurch, dass der Wohnsitz- und der Tätigkeitsstaat des Arbeitnehmenden nicht deckungsgleich sind. Grundsätzlich kann zwischen Grenzgängern, Wochenaufenthaltern und Kurzaufenthaltern unterschieden werden. Grenzgänger pendeln typischerweise jeden Tag von ihrem Wohnort zur Arbeitsstätte im benachbarten Ausland und kehren am selben Tag wieder zurück. Anzumerken ist, dass die <a href="https://www.sem.admin.ch/sem/de/home/themen/aufenthalt/nicht_eu_efta/ausweis_g__grenzgaengerbewilligung.html" target="_blank" rel="noopener">migrationsrechtliche Grenzgängerbewilligung (Ausweis G)</a> nicht mit dem steuerrechtlichen Grenzgänger gleichzustellen ist.<sup><a title="" href="#_ftn4" name="_ftnref4">04</a></sup> Kehrt der Arbeitnehmende bloss an den Wochenenden an seinen Wohnsitz zurück, gilt er als internationaler Wochenaufenthalter. Demgegenüber hält sich der Kurzaufenthalter nur befristet und i.d.R. für weniger als ein Jahr zu Erwerbszwecken in einem anderen Staat als seinem Wohnsitzstaat auf.</p>
<p>Des Weiteren können unter den Begriff des internationalen Arbeitnehmenden auch Sachverhaltskonstellationen subsumiert werden, bei welchen der Wohnsitz- und der Tätigkeitsstaat des Arbeitnehmenden zwar deckungsgleich sind, der Arbeitgebende aber über keine örtliche Anknüpfung in dem Staat verfügt, wo der Arbeitnehmende tätig ist. Dies ist regelmässig dann der Fall, wenn Arbeitnehmende ausschliesslich aus dem Home-Office an ihrem Wohnort für einen ausländischen Arbeitgebenden tätig sind.</p>
<p>Für Arbeitgebende, die internationale Arbeitnehmende beschäftigen, stellt sich immer die Frage, welche steuerrechtlichen Pflichten ihnen in diesem Zusammenhang zukommen. Dabei ist zuerst zwingend zwischen den nationalen Besteuerungsregeln und den internationalen Zuteilungsregeln der <a href="https://www.sif.admin.ch/sif/de/home/bilateral/steuerabkommen/doppelbesteuerungsabkommen.html">DBA</a> zu unterscheiden. Zu beachten ist, dass nur nationale Steuernormen eine Steuerpflicht begründen können. Die internationalen Zuteilungsnormen regeln, ob ein auf der Grundlage des nationalen Steuerrechts bestehendes Besteuerungsrecht ausgeübt werden darf oder – falls nicht – es eingeschränkt wird.<sup><a title="" href="#_ftn5" name="_ftnref5">05</a></sup></p>
<h3>2.1 Besteuerungsregeln in der Schweiz</h3>
<h4>2.1.1 Arbeitnehmende ohne Wohnsitz in der Schweiz – mit Schweizer Arbeitgeber</h4>
<p>Gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1991/1184_1184_1184/de#art_5" target="_blank" rel="noopener">Art. 5 Abs. 1 lit. a</a> i.V.m. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1991/1184_1184_1184/de#art_6" target="_blank" rel="noopener">Art. 6 Abs. 2 DBG</a> unterliegen Arbeitnehmende ohne steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt in der Schweiz einer beschränkten Steuerpflicht aufgrund wirtschaftlicher Zugehörigkeit, wenn sie in der Schweiz eine Erwerbstätigkeit ausüben. Wie vom Bundesgericht mehrfach bestätigt, setzt die Besteuerung der ausländischen Arbeitnehmenden voraus, dass die für die Entstehung des Leistungsanspruchs massgebende Tätigkeit physisch in der Schweiz ausgeübt wird.<sup><a title="" href="#_ftn6" name="_ftnref6">06</a></sup> Nach innerstaatlichem Recht beginnt die Steuerpflicht folglich mit dem ersten Arbeitstag in der Schweiz und umfasst das auf die Schweizer Arbeitstage entfallende Erwerbseinkommen.</p>
<p>Zur Besteuerung gelangt das Quellensteuerverfahren gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1991/1184_1184_1184/de#art_91" target="_blank" rel="noopener">Art. 91 ff. DBG</a> zur Anwendung, was bedeutet, dass der inländische Arbeitgebende bei Fälligkeit der Leistungen die geschuldete Steuer zurückbehalten und periodisch der zuständigen Steuerbehörde abliefern muss. Das Quellensteuerverfahren findet bei Arbeitnehmenden ohne steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit Anwendung. Es sind somit auch Arbeitnehmende mit Schweizer Staatsangehörigkeit quellensteuerpflichtig, sofern sie keinen steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt in der Schweiz haben.</p>
<p>Nach Massgabe von <a href="https://www.estv.admin.ch/dam/estv/de/dokumente/dbst/kreisschreiben/2004/1-045-D-2019.pdf.download.pdf/ESTV-Kreisschreiben-045-D-2019-d.pdf" target="_blank" rel="noopener">Ziff. 6.7 und 7.5.1 des Kreisschreibens Nr. 45 der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) vom 12. Juni 2019</a> ist bei der Bemessung der Quellensteuer im Regelfall von pauschal 240 Arbeitstagen pro Jahr auszugehen, welche grundsätzlich alle der Schweizer Besteuerung unterliegen. Nur tatsächlich im Ausland geleistete Arbeitstage sind davon auszunehmen. In der Folge werden auch Krankheits- oder Urlaubstage von der Schweiz besteuert.<sup><a title="" href="#_ftn7" name="_ftnref7">07</a></sup> Diese Praxis ist zu kritisieren, da es dazu klar an einer Besteuerungsgrundlage fehlt. Besonders stossend ist die Situation, wenn Arbeitnehmende zur Hauptsache im Ausland arbeiten und keinen oder bloss einen geringen Bezug zur Schweiz haben.</p>
<p>Folgendes Beispiel möge die Problematik illustrieren: Das jährliche Bruttogehalt der Arbeitnehmerin X ohne steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt in der Schweiz beträgt CHF 200'000. Im betreffenden Kalenderjahr hat sie effektiv an insgesamt 220 Tagen gearbeitet, davon während 200 Tagen im Ausland und während 20 Tagen in der Schweiz. Gemäss Kreisschreiben ist die Quellensteuer auf einem Bruttogehalt von CHF 33'333 (= CHF 200'000 / 240 Arbeitstage x (240-200 Arbeitstage)) abzuführen. Basierend auf den tatsächlich geleisteten Arbeitstagen ist aber lediglich ein Bruttogehalt von CHF 18'182 (= CHF 200'000 / 220 Arbeitstage x 20 Arbeitstage) steuerbar, d.h. rund die Hälfte des steuerbaren Bruttoeinkommens gemäss Kreisschreiben.</p>
<p>Entrichtungspflichtige Arbeitgebende haften ohne Rücksicht auf das Verschulden für die geschuldete Quellensteuer.<sup><a title="" href="#_ftn8" name="_ftnref8">08</a></sup> Die vorsätzliche oder fahrlässige Unterlassung des Quellensteuerabzugs kann zudem als Steuerhinterziehung bestraft werden.<sup><a title="" href="#_ftn9" name="_ftnref9">09</a></sup> Arbeitgebenden ist aus diesen Gründen zu raten, den quellensteuerpflichtigen Bruttolohn entweder gemäss Vorgabe des Kreisschreibens zu ermitteln oder im Zweifelsfall gar den gesamten Bruttolohn (ohne Ausscheidung von im Ausland geleisteten Arbeitstagen) der Quellensteuer zu unterwerfen.</p>
<p>Um eine korrekte Besteuerung des Erwerbseinkommens zu erlangen und eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, können Arbeitnehmende jeweils bis zum 31. März des Folgejahres bei der zuständigen Steuerbehörde eine Neuberechnung der Quellensteuer beantragen.<sup><a title="" href="#_ftn10" name="_ftnref10">10</a></sup> I.d.R. wird der ausländische Staat, welcher zur tatsächlichen Besteuerung des Einkommens berechtigt ist, die geschuldete Steuer vom Arbeitnehmenden bereits einfordern, währenddessen die Rückerstattung der zu viel entrichteten Quellensteuer in der Schweiz noch ausstehend ist. Insbesondere wenn der Arbeitgebende die Quellensteuer auf dem gesamten Bruttolohn abgeführt hat, kann es aufgrund des teils langwierigen Rückerstattungsverfahrens zu erheblichen Cashflow-Problemen beim Arbeitnehmenden kommen.</p>
<p>Zur Feststellung der steuerrelevanten Arbeitstage wird in der Praxis generell ein Kalendarium verlangt, woraus der Ort der Arbeits- und Aufenthaltstage ersichtlich ist. Dessen Richtigkeit ist sowohl vom Arbeitnehmenden wie auch vom Arbeitgebenden mittels Unterschrift zu bestätigen.<sup><a title="" href="#_ftn11" name="_ftnref11">11</a></sup> Internationale Arbeitnehmende sind zwingend zur fortlaufenden Führung eines Kalendariums zu verpflichten, da sich die nachträgliche Beschaffung dieser Informationen oftmals als schwierig erweist, was nachteilige Auswirkungen für beide Parteien haben kann. Darüber hinaus sollte unternehmensintern festgelegt werden, wer für eine Gegenzeichnung des Kalendariums im Namen des Arbeitgebenden zuständig ist.</p>
<p>Nebst den erwähnten steuerrechtlichen Stolperfallen stehen Arbeitgebende, die internationale Arbeitnehmende beschäftigen, auch vor strafrechtlichen Herausforderungen. So können Schweizer Arbeitgebende nach dem internen Recht von gewissen ausländischen Staaten etwa dazu verpflichtet sein, eine ausländische Quellensteuer einzubehalten und abzuführen, wenn ihre Arbeitnehmenden dort eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausüben (wie bspw. in Frankreich). Die Entrichtung einer ausländischen Quellensteuer durch Schweizer Arbeitgebende kann gemäss Auffassung des <a href="https://www.efd.admin.ch/efd/de/home.html" target="_blank" rel="noopener">Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD)</a> allerdings als verbotene Handlung für einen fremden Staat und somit einen Straftatbestand nach <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/54/757_781_799/de#art_271" target="_blank" rel="noopener">Art. 271 StGB</a> verstanden werden. Gemäss Bundesstrafgericht liegt ein Verstoss gegen <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/54/757_781_799/de#art_271" target="_blank" rel="noopener">Art. 271 StGB</a> insbesondere dann vor, wenn Dritte betreffende Informationen, die vom schweizerischen «ordre public» geschützt sind, an eine ausländische Behörde ausserhalb des Amts- oder Rechtshilfewegs bzw. ohne Bewilligung herausgegeben werden.<sup><a title="" href="#_ftn12" name="_ftnref12">12</a></sup> Wenn Schweizer Arbeitgebende gegenüber den ausländischen Behörden die Quellensteuer deklarieren und abrechnen, sind Informationen von Drittpersonen (namentlich den Arbeitnehmenden) betroffen. Diese Informationen unterliegen dem Datenschutz und dürfen somit nicht ohne Weiteres übermittelt werden. Inwiefern Bewilligungsgesuche im Einzelfall gutgeheissen werden, ist unklar. Die Konsequenz ist, dass Arbeitgebende in solchen Fällen entweder gegen das ausländische oder das Schweizer Recht verstossen.</p>
<h4>2.1.2 Arbeitnehmende mit Wohnsitz in der Schweiz – mit Arbeitgeber im Ausland</h4>
<p>Arbeitnehmende mit steuerrechtlichem Wohnsitz oder Aufenthalt in der Schweiz unterliegen gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1991/1184_1184_1184/de#art_6" target="_blank" rel="noopener">Art. 6 Abs. 1</a> i.V.m. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1991/1184_1184_1184/de#art_3" target="_blank" rel="noopener">Art. 3 Abs. 1 DBG</a> grundsätzlich einer unbeschränkten Steuerpflicht aufgrund persönlicher Zugehörigkeit. Unter Vorbehalt anders lautender Bestimmungen in den <a href="https://www.sif.admin.ch/sif/de/home/bilateral/steuerabkommen/doppelbesteuerungsabkommen.html" target="_blank" rel="noopener">DBA</a> bzw. unilateraler Freistellungsregelungen sind die weltweiten Einkünfte aus unselbständiger Erwerbstätigkeit in der Schweiz zu versteuern. Arbeitnehmende mit persönlicher Zugehörigkeit in der Schweiz sind grundsätzlich nur dann der Quellensteuer unterworfen, wenn sie weder das Schweizer Bürgerrecht noch die <a href="https://www.sem.admin.ch/sem/de/home/themen/aufenthalt/eu_efta/ausweis_c_eu_efta.html#:~:text=Niedergelassene%20sind%20ausl%C3%A4ndische%20Personen%2C%20denen,nicht%20an%20Bedingungen%20gekn%C3%BCpft%20werden." target="_blank" rel="noopener">Niederlassungsbewilligung (Ausweis C)</a> besitzen. Davon ausgenommen sind Arbeitnehmende, die in ungetrennter Ehe bzw. eingetragener Partnerschaft mit einer Person leben, die persönlich zugehörig ist und entweder das Schweizer Bürgerrecht oder die Niederlassungsbewilligung besitzt.<sup><a title="" href="#_ftn13" name="_ftnref13">13</a></sup></p>
<p>Das Schweizer Steuerrecht sieht für ausländische Arbeitgebende ohne örtliche Anknüpfung keine Pflicht zur Einbehaltung und Ablieferung einer Schweizer Quellensteuer vor (anders als bspw. Frankreich). Konkret sind Arbeitgebende ohne Sitz, tatsächliche Verwaltung, Betriebsstätte oder feste Einrichtung in der Schweiz für die Zwecke der Schweizer Quellensteuer nicht entrichtungspflichtig.<sup><a title="" href="#_ftn14" name="_ftnref14">14</a></sup> Besteht in der Schweiz jedoch eine Betriebsstätte (z.B. wegen einer Zweigniederlassung oder sogar infolge Home-Office), für welche der Arbeitnehmende tätig ist, so liegt allerdings eine Entrichtungspflicht vor und der ausländische Arbeitgebende mit schweizerischer Betriebsstätte muss die entsprechende Quellensteuer vom Lohn abziehen und an die Schweizer Steuerbehörden abliefern. Hinsichtlich der Entrichtungspflicht ist nicht nur der zivilrechtliche/formelle, sondern auch der wirtschaftliche/faktische Arbeitgeber zu beachten. Eine faktische Arbeitgeberschaft liegt dann vor, wenn der Arbeitnehmende seine Arbeitsleistung (vorübergehend) nicht dem rechtlichen Arbeitgeber, mit welchem er den Arbeitsvertrag abgeschlossen hat, sondern einer anderen Unternehmung (i.d.R. einer Konzerngesellschaft), schuldet.<sup><a title="" href="#_ftn15" name="_ftnref15">15</a></sup></p>
<p>Wird ein Mitarbeitender von einem ausländischen Arbeitgebenden in die Schweiz entsandt, ist bei Vorliegen einer faktischen Arbeitgeberschaft eine Quellensteuerentrichtungspflicht in der Schweiz gegeben, selbst wenn die Lohnzahlung aus dem Ausland erfolgt. In der Praxis wird der Tatbestand einer faktischen Arbeitgeberschaft i.d.R. nur bei Entsendungen von mehr als drei Monaten geprüft. Steht von Anfang an fest, dass die Entsendung in die Schweiz mehr als drei Monate umfasst und dass die faktische Arbeitgeberschaft gegeben ist, so besteht die Quellensteuerentrichtungspflicht in der Schweiz ab dem ersten Arbeitstag. Wird eine Entsendung von weniger als drei Monaten vereinbart, ergibt sich aber nachträglich, dass eine Verlängerung auf mehr als drei Monate erforderlich ist, so beginnt auch unter dieser Fallkonstellation die Quellensteuerentrichtungspflicht ab dem ersten Arbeitstag in der Schweiz. Bei einer absoluten Entsendedauer von nicht mehr als drei Monaten spricht eine widerlegbare Vermutung dafür, dass das aufnehmende Unternehmen den Mitarbeitenden nicht in die Unternehmensstruktur einbinden möchte und deshalb nicht als faktischer Arbeitgebender anzusehen ist. Bei der Beurteilung der Frist von drei Monaten wird nicht auf die effektiv in der Schweiz erbrachten Arbeitstage abgestellt, sondern auf die vereinbarte Entsendedauer und zwar unabhängig davon, ob die Entsendung ein Vollzeitpensum oder ein reduziertes Pensum umfasst.<sup><a title="" href="#_ftn16" name="_ftnref16">16</a></sup> Erbringt der entsandte Mitarbeitende während der Entsendedauer sowohl für den formellen Arbeitgebenden wie auch für die aufnehmende Unternehmung Arbeitsleistungen, so liegen gemäss Praxis des Kantons Zürich bei Entsendungen von mehr als drei Monaten zwei Arbeitsverhältnisse vor. Ist der Arbeitnehmende zwar weniger als drei Monate für das aufnehmende Unternehmen tätig, wiederholt sich dies aber mehrfach, wird das aufnehmende Unternehmen i.d.R. ebenfalls zum faktischen Arbeitgebenden.<sup><a title="" href="#_ftn17" name="_ftnref17">17</a></sup></p>
<p>Fehlt es an einem inländischen Arbeitgebenden, wird keine Quellensteuer entrichtet, weshalb der Arbeitnehmende im ordentlichen Verfahren veranlagt wird und bei den zuständigen Behörden eine Steuererklärung einreichen muss.<sup><a title="" href="#_ftn18" name="_ftnref18">18</a></sup></p>
<h3>2.2. Besteuerungsregeln der <a href="https://www.sif.admin.ch/sif/de/home/bilateral/steuerabkommen/doppelbesteuerungsabkommen.html" target="_blank" rel="noopener">DBA</a></h3>
<h4>2.2.1 Allgemeines</h4>
<p>Ausgangspunkt bei Einkünften aus unselbständiger Erwerbstätigkeit im internationalen Verhältnis ist gemäss <a href="https://www.oecd.org/berlin/publikationen/oecd-musterabkommenzurvermeidungvondoppelbesteuerung.htm" target="_blank" rel="noopener">Art. 15 Abs. 1 OECD-MA 2017</a> das Ansässigkeitsprinzip, laut welchem der Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmenden die Einkünfte aus unselbständiger Arbeit besteuern darf. Eine Ausnahme davon bildet das ebenfalls in <a href="https://www.oecd.org/berlin/publikationen/oecd-musterabkommenzurvermeidungvondoppelbesteuerung.htm" target="_blank" rel="noopener">Art. 15 Abs. 1 OECD-MA 2017</a> vorgesehene Arbeitsortprinzip. Dieses besagt, dass der Staat, in dem die Arbeit ausgeübt wird, die Einkünfte aus dieser Erwerbstätigkeit besteuern darf. Der Staat, in dem der Arbeitnehmende ansässig ist, hat die Einkünfte entweder von der Steuer zu befreien oder die ausländische Steuer an die inländische Steuer anzurechnen. Als Gegenausnahme zum Arbeitsortsprinzip sieht <a href="https://www.oecd.org/berlin/publikationen/oecd-musterabkommenzurvermeidungvondoppelbesteuerung.htm" target="_blank" rel="noopener">Art. 15 Abs. 2 OECD-MA 2017</a> die sog. Monteurklausel (183-Tage-Regel) vor.<sup><a title="" href="#_ftn19" name="_ftnref19">19</a></sup> Diese regelt, dass die Erwerbseinkünfte unter gewissen Voraussetzungen vom Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmenden besteuert werden dürfen, auch wenn die Tätigkeit im anderen Staat ausgeübt wurde. Die Grenzgängerbestimmungen, welche zwischen den einzelnen Staaten als leges speciales ausgestaltet sind, gehen diesen allgemeinen Zuteilungsnormen vor. Die Schweiz kennt sog. Grenzgängerregelungen mit Deutschland, Liechtenstein, Italien und Frankreich, nicht aber mit Österreich.<sup><a title="" href="#_ftn20" name="_ftnref20">20</a></sup> Um die Besteuerung der Grenzgänger während der Covid-19-Pandemie zu regeln, hat die Schweiz mit jenen Staaten befristete Verständigungsvereinbarungen geschlossen, auf welche vorliegend aber nicht im Detail eingegangen wird.<sup><a title="" href="#_ftn21" name="_ftnref21">21</a></sup></p>
<h4>2.2.2 Deutschland</h4>
<p>Die Covid-19-Verständigungsvereinbarung zwischen der Schweiz und Deutschland wurde gekündigt und trat per 1. Juli 2022 ausser Kraft.<sup><a title="" href="#_ftn22" name="_ftnref22">22</a></sup> Spätestens seit diesem Zeitpunkt gelten für Grenzgänger wieder die üblichen Besteuerungsregeln, welche nachfolgend erläutert werden.</p>
<p>Die Besteuerung der Grenzgänger im Verhältnis zu Deutschland ist in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_15_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 15a DBA CH-DE</a> geregelt. Wie erwähnt, geht die Regelung den allgemeinen Zuteilungsnormen vor und hat somit auch Vorrang gegenüber dem leitenden Angestellten nach <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_15" target="_blank" rel="noopener">Art. 15 Abs. 4 DBA CH-DE</a>.<sup><a title="" href="#_ftn23" name="_ftnref23">23</a></sup> Gemäss Definition in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_15_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 15a Abs. 2 DBA CH-DE</a> ist Grenzgänger, wer seinen Arbeitsort im anderen Staat hat und von dort regelmässig an seinen Wohnsitz zurückkehrt. Eine regelmässige Rückkehr im Sinne des Abkommens liegt vor, wenn sich der Arbeitnehmende mindestens an einem Tag pro Woche oder mindestens an fünf Tagen pro Monat von seinem Wohnsitz an seinen Arbeitsort und wieder zurückbegibt.<sup><a title="" href="#_ftn24" name="_ftnref24">24</a></sup></p>
<p>Die Grenzgängereigenschaft entfällt, wenn die Anzahl von 60 Nicht-Rückkehrtagen pro Kalenderjahr überschritten wird, was zur Konsequenz hat, dass die Besteuerung nach den allgemeinen Zuteilungsnormen in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_15" target="_blank" rel="noopener">Art. 15 DBA CH-DE</a> erfolgt. Ein schädlicher Nicht-Rückkehrtag liegt vor, wenn die Rückkehr an den Wohnsitz aus beruflichen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Die Rückkehr ist dann nicht zumutbar, wenn die Entfernung zwischen Wohnsitz und Arbeitsort mehr als 100km pro Strecke beträgt oder bei Benützung öffentlicher Verkehrsmittel die Strecke mehr als 90 Minuten dauert.<sup><a title="" href="#_ftn25" name="_ftnref25">25</a></sup> Wie inzwischen von den zuständigen Behörden klargestellt wurde, zählen ganztägig am Wohnsitz des Arbeitnehmenden geleistete Arbeitstage nicht als schädliche Nicht-Rückkehrtage.<sup><a title="" href="#_ftn26" name="_ftnref26">26</a></sup> Bei der Tätigkeit im Home-Office bleibt der Grenzgängerstatus somit erhalten, sofern die tägliche Rückkehr zumutbar ist (max. 100km / 90 Minuten pro Strecke) und ein regelmässiger Grenzübertritt vom Wohnsitz an den Arbeitsort und wieder zurück erfolgt (an mind. einem Tag pro Woche / fünf Tagen pro Monat).</p>
<p>Bei Grenzgängern mit steuerrechtlichem Wohnsitz in Deutschland und Arbeitsort in der Schweiz werden die Einkünfte aus Erwerbstätigkeit dem Grundsatze nach in Deutschland besteuert, wobei die Schweiz gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_15_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 15a Abs. 1 DBA CH-DE</a> maximal 4.5% des Bruttobetrags der Vergütung besteuern darf. Die Schweizer Besteuerung erfolgt im Rahmen des Quellensteuerverfahrens.<sup><a title="" href="#_ftn27" name="_ftnref27">27</a></sup> Nach <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1972/3075_3128_2910/de#art_15_a" target="_blank" rel="noopener">Art. 15a Abs. 3 lit. a DBA CH-DE</a> rechnet Deutschland die in der Schweiz erhobene Quellensteuer an die deutsche Einkommenssteuer an.</p>
<h4>2.2.3 Liechtenstein</h4>
<p>Am 2. März 2022 hat das <a href="https://www.sif.admin.ch/sif/de/home.html" target="_blank" rel="noopener">Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF)</a> die <a href="https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen/rss-feeds/nach-themen/alle-mitteilungen.msg-id-87425.html" target="_blank" rel="noopener">Kündigung der Covid-19-Verständigungsvereinbarung zwischen der Schweiz und Liechtenstein</a> mit Wirkung auf den 31. März 2022 bekannt gegeben. Spätestens seit dem 1. April 2022 gelten für Grenzgänger somit wieder die nachfolgenden DBA-Regelungen.</p>
<p>Das DBA mit dem Fürstentum Liechtenstein sieht in <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2016/763/de#art_15" target="_blank" rel="noopener">Art. 15 Abs. 4 DBA CH-FL</a> vor, dass die von Grenzgängern erzielten Einkünfte nur im Ansässigkeitsstaat besteuert werden dürfen. Die Schweiz darf bei in Liechtenstein ansässigen Grenzgängern keine Quellensteuer erheben. Nach dem Wortlaut des DBA gilt als Grenzgänger, wer unselbständig erwerbend ist, seinen Wohnsitz im einen Staat und seinen Arbeitsort im anderen Staat hat und sich i.d.R. an jedem Arbeitstag von seinem Wohnsitz an den Arbeitsort begibt. Gemäss Urteil des Bundesgerichts ist von einem weiten Begriff des Grenzgängers auszugehen. Es wird nicht vorausgesetzt, dass die Grenze ausnahmslos an jedem Arbeitstag passiert werden muss – es genügt eine regelmässige Rückkehr. Bei dem im Jahr 2009 vom Bundesgericht beurteilten Fall, war der Arbeitnehmende während 40% seines Vollzeitpensums im Home-Office in Liechtenstein tätig. Das Bundesgericht entschied, dass die tageweise Tätigkeit am schweizerischen Arbeitsort während 60% ausreichend für die Qualifikation als Grenzgänger im Sinne des <a href="https://fedlex.data.admin.ch/eli/cc/2016/763" target="_blank" rel="noopener">DBA CH-FL</a> ist.<sup><a title="" href="#_ftn28" name="_ftnref28">28</a></sup> </p>
<p>Im <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2016/763/de#lvl_d4e37/lvl_4" target="_blank" rel="noopener">Protokoll zum DBA</a>, welches einen integralen Bestandteil des DBA bildet, ist geregelt, dass die Grenzgängereigenschaft entfällt, wenn die Person in einem Kalenderjahr an mehr als 45 Arbeitstagen nach Arbeitsende aus beruflichen Gründen nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt.<sup><a title="" href="#_ftn29" name="_ftnref29">29</a></sup> Bereits 2016 wurde in einer Verständigungsvereinbarung festgehalten, dass Home-Office-Arbeitstage nicht als Nicht-Rückkehrtage zählen. Zudem beträgt auch bei vertraglich vereinbarter Tätigkeit am Wohnsitz (d.h. Home-Office) die Höchstzahl der für die Anwendung der Grenzgängerregelung zulässigen Nicht-Rückkehrtage 45 (d.h. es erfolgt keine Anpassung der Grenze von 45 Nicht-Rückkehrtagen).<sup><a title="" href="#_ftn30" name="_ftnref30">30</a></sup></p>
<h4>2.2.4 Italien</h4>
<p>Im Gegensatz zur Rechtslage, wie sie im Verhältnis zu Deutschland und Liechtenstein besteht, folgt die derzeit noch bestehende <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/457_457_457/de" target="_blank" rel="noopener">Grenzgängervereinbarung mit Italien</a> dem Arbeitsortsprinzip. Das Besteuerungsrecht ist ausschliesslich dem Arbeitsort vorbehalten. Die Vereinbarung sieht aber, ähnlich wie im Fall von Frankreich, einen Ausgleich der Kantone Graubünden, Tessin und Wallis zugunsten der italienischen Grenzgemeinden in der Höhe von 40% resp. bei einigen Kantonen 38.8% des Bruttobetrags der von den italienischen Grenzgängern bezahlten Steuern vor.<sup><a title="" href="#_ftn31" name="_ftnref31">31</a></sup> Somit sind die in der Schweiz geleisteten Arbeitstage in der Schweiz steuerpflichtig und die in Italien im Home-Office geleisteten Arbeitstage in Italien.</p>
<p>Am 23. Dezember 2020 haben die <a href="https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-81813.html" target="_blank" rel="noopener">Schweiz und Italien ein Änderungsprotokoll zum DBA</a> unterzeichnet, welches für die Zukunft eine Abkehr vom Arbeitsortsprinzip vorsieht.<sup><a title="" href="#_ftn32" name="_ftnref32">32</a></sup> Das neue Grenzgängerabkommen soll das <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/457_457_457/de" target="_blank" rel="noopener">derzeit gültige Abkommen von 1974</a> ersetzen. Die wichtigsten Neuerungen bestehen darin, dass sich die beiden Staaten auf eine Grenzgängerdefinition geeinigt haben, was aus Gründen der Rechtssicherheit erfreulich ist. Zudem wird eine Unterscheidung zwischen neuen und bestehenden Grenzgängerinnen gemacht. Bei den neuen Grenzgängerinnen darf der Arbeitsortsstaat auf dem Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit 80% der regulären Quellensteuer erheben. Im Ansässigkeitsstaat unterliegen die Grenzgänger der ordentlichen Besteuerung, wobei der Ansässigkeitsstaat eine allfällige Doppelbesteuerung durch Anrechnung beseitigen muss. Um die Besteuerung im Ansässigkeitsstaat zu gewährleisten, unterliegen die Einkünfte der neuen Grenzgänger einem automatischen elektronischen Informationsaustausch. Bei den bestehenden Grenzgängern gilt die bisherige Regel bis Ende des Steuerjahres 2033 weiter. Nachher muss die Schweiz keine Ausgleichzahlungen mehr leisten und kann das gesamte Steuersubstrat behalten. Das Protokoll des neuen Abkommens enthält in Ziff. 3 zudem eine Bestimmung, wonach regelmässige Konsultationen zwischen den Vertragsstaaten hinsichtlich der möglichen Weiterentwicklung von Home-Office stattfinden sollen.<sup><a title="" href="#_ftn33" name="_ftnref33">33</a></sup> Die neuen Grenzgängerbestimmungen sind ab dem 1. Januar des auf das Jahr des Inkrafttretens folgenden Kalenderjahres anwendbar. Das Inkrafttreten des Abkommens ist noch ausstehend, da die Zustimmung vom italienischen Parlament noch nicht vorliegt. Es ist deshalb äusserst unwahrscheinlich, dass die Bestimmungen – wie ursprünglich beabsichtigt – ab dem 1. Januar 2023 anwendbar sein werden.</p>
<p>Das <a href="https://www.estv.admin.ch/dam/estv/de/dokumente/international/laender/italien/it-dba-aa-20220722.pdf.download.pdf/it-dba-aa-20220722.pdf" target="_blank" rel="noopener">SIF hat am 22. Juli 2022 bekannt gegeben</a>, dass die Schweiz und Italien vereinbart haben, dass die Verständigungsvereinbarung über die Auswirkungen von Massnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 auf die Behandlung von Erwerbseinkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit unter dem DBA und dem Grenzgängerabkommen von 1974 vorläufig auf alle natürlichen Personen anwendbar bleibt, die in einem Vertragsstaat ansässig sind und im anderen Vertragsstaat regelmässig einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Die Vereinbarung wird stillschweigend von Monat zu Monat verlängert und ist zum Abgabezeitpunkt dieses Artikels weiterhin in Kraft.<sup><a title="" href="#_ftn34" name="_ftnref34">34</a></sup></p>
<h4>2.2.5 Frankreich</h4>
<p>Wiederum anders präsentiert sich die Rechtslage im Verhältnis zu Frankreich. Dabei ist zu beachten, dass eine Grenzgängervereinbarung mit dem Kanton Genf und eine solche mit den Kantonen Bern, Solothurn, Basel-Stadt, Basel-Land, Waadt, Wallis, Neuenburg und Jura besteht.<sup><a title="" href="#_ftn35" name="_ftnref35">35</a></sup></p>
<p>In der Grenzgängervereinbarung mit dem Kanton Genf ist geregelt, dass das Arbeitsortsprinzip gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1967/1079_1119_1113/de#art_17" target="_blank" rel="noopener">Art. 17 DBA CH-FR</a> zur Anwendung gelangt. Schweizer Arbeitgebende haben folglich einen ordentlichen Schweizer Quellensteuerabzug (Normaltarif, individuell abhängig von der Höhe des Einkommens, Zivilstand etc.) vorzunehmen. Im Gegenzug hat der Kanton Genf jährlich einen Betrag von 3.5% der Bruttolöhne, welche an in den Departementen Ain und Haute-Savoie ansässigen Grenzgängerinnen bezahlt werden, als Ausgleich zu leisten.<sup><a title="" href="#_ftn36" name="_ftnref36">36</a></sup></p>
<p>Bei Grenzgängerinnnen im Verhältnis zu den Kantonen Bern, Solothurn, Basel-Stadt, Basel-Land, Waadt, Wallis, Neuenburg und Jura hat der Wohnsitzstaat ein ausschliessliches Besteuerungsrecht, wobei dieser eine jährliche Ausgleichszahlung von 4.5% des Gesamtbetrages der jährlichen Bruttovergütungen an den anderen Staat (resp. an die Kantone) leistet.<sup><a title="" href="#_ftn37" name="_ftnref37">37</a></sup> Schweizer Arbeitgebende haben in dieser Konstellation somit keine Schweizer Quellensteuer für in Frankreich ansässige Arbeitnehmende abzuführen, sofern die Grenzgängereigenschaft erfüllt ist. Voraussetzung für den Grenzgängerstatus ist eine i.d.R. tägliche Rückkehr vom Arbeitsort im einen Staat an den Wohnort im anderen Staat. Eine tägliche Rückkehr liegt vor, wenn die Anzahl von 45 Nicht-Rückkehrtagen pro Kalenderjahr nicht überschritten wird. Dies entspricht bei einem Vollzeitpensum rund einem Tag pro Woche resp. 20% der geleisteten Arbeitstage.<sup><a title="" href="#_ftn38" name="_ftnref38">38</a></sup></p>
<p>Am <a href="https://www.estv.admin.ch/dam/estv/de/dokumente/international/laender/italien/it-dba-aa-20220722.pdf.download.pdf/it-dba-aa-20220722.pdf" target="_blank" rel="noopener">27. Oktober 2022 hat das SIF bekannt gegeben</a>, dass die Covid-19-Verständigungsvereinbarung betreffend die Besteuerung von Grenzgängern bis zum 31. Dezember 2022 in Kraft bleibt. Zudem wurde festgehalten, dass die Schweiz und Frankreich weiterhin Gespräche über die Einführung einer dauerhaften Vereinbarung über die grenzüberschreitende Telearbeit führen und eine Einigung vor dem 31. Dezember 2022 anstreben. Details sind zum Abgabezeitpunkt dieses Artikels noch nicht bekannt.<sup><a title="" href="#_ftn39" name="_ftnref39">39</a></sup></p>
<p>Ergänzend ist festzuhalten, dass Frankreich im Jahr 2019 eine allgemeine Quellensteuerpflicht eingeführt hat. Schweizer Arbeitgebende können nach dem internen Recht von Frankreich dazu verpflichtet sein, eine französische Quellensteuer abzuführen, wenn sie Vergütungen ausrichten, die in Frankreich steuerbar sind. Gemäss Entwurf zum französischen Haushaltsgesetz 2023 ist beabsichtigt, die derzeitige Regelung dahingehend zu ändern, dass in Frankreich ansässige Arbeitnehmende ohne dortigen Arbeitgebenden die Zahlung der Quellensteuer unter gewissen Voraussetzungen – insb. das Bestehen eines Abkommens über die gegenseitige Amts- und Betreibungshilfe – direkt selbst mit dem französischen Staat abwickeln. Im Verhältnis zur Schweiz dürfte die beabsichtige Neuregelung aufgrund fehlender Grundlage zur steuerlichen Vollstreckungsamtshilfe allerdings nicht Anwendung finden. Ausserdem würde die Neuregelung vorsehen, dass der ausländische Arbeitgebende einmal jährlich das steuerbare Einkommen an die Steuerbehörden in Frankreich melden muss, was Schweizer Arbeitgebende weiterhin vor strafrechtliche Herausforderungen in Zusammenhang mit <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/54/757_781_799/de#art_271" target="_blank" rel="noopener">Art. 271 StGB</a> stellen würde.<sup><a title="" href="#_ftn40" name="_ftnref40">40</a></sup></p>
<h2>3. Sachverhalt ohne Grenzgängerregelung</h2>
<p>Bei Arbeitnehmenden, die nicht unter eine der vorgenannten Grenzgängerregelungen fallen, finden zur Besteuerung des Erwerbseinkommens grundsätzlich die allgemeinen Zuteilungsnormen gemäss jeweiligem DBA Anwendung (Ansässigkeitsprinzip, Arbeitsortprinzip und Monteurklausel; siehe hierzu Abschnitt 2.2.1). Dies gilt für Sachverhalte im Verhältnis zu Staaten mit welchen keine spezielle Grenzgängerregelung besteht (bspw. Österreich) sowie auch für Sachverhalte im Verhältnis zu Deutschland, Liechtenstein, Italien und Frankreich, bei welchen der Arbeitnehmende die Grenzgängereigenschaft nicht erfüllt. Home-Office-Tage, welche im Wohnsitzstaat des Arbeitnehmenden geleistet werden, sind in solchen Fällen im Wohnsitzstaat steuerpflichtig. Arbeitstage, die am Arbeitsort im anderen Staat geleistet werden, sind im Tätigkeitsstaat steuerpflichtig, sofern die Monteurklausel nicht greift.<sup><a title="" href="#_ftn41" name="_ftnref41">41</a></sup> Zu beachten ist, dass die Schweizer Steuergesetze sowie ihre staatsvertraglichen Vereinbarungen Sonderreglungen u.a. für leitende Angestellte, Verwaltungsräte oder Personen mit öffentlichen Dienst vorsehen können, auf welche vorliegend nicht eingegangen wurde.</p>
<h2>4. Exkurs: Sozialversicherungsrecht</h2>
<p>Grundlage für die Koordination der Sozialversicherungssysteme im Verhältnis zur EU resp. EFTA sind die <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2012/323/de" target="_blank" rel="noopener">Verordnungen (EG) Nr. 883/2004</a> und <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2012/356/de" target="_blank" rel="noopener">987/2009</a>.<sup><a title="" href="#_ftn42" name="_ftnref42">42</a></sup> Zu beachten ist, dass diese im Verhältnis Schweiz-EU nur für Personen mit Staatsangehörigkeit der Schweiz oder der EU anwendbar sind und im Verhältnis Schweiz-EFTA nur für EFTA-Staatsangehörige.<sup><a title="" href="#_ftn43" name="_ftnref43">43</a></sup> Wohnt eine Arbeitnehmerin mit liechtensteinischer Staatsangehörigkeit in Österreich, arbeitet sie aber in der Schweiz, liegt zwar ein Verhältnis Schweiz-EU vor, die Koordinationsregeln gelten aber wegen der liechtensteinischen Staatsangehörigkeit dennoch nicht.<sup><a title="" href="#_ftn44" name="_ftnref44">44</a></sup> Bei solchen Sachverhalten ist auf ein allfällig bestehendes bilaterales Sozialversicherungsabkommen abzustellen, so wie dies infolge des Brexits seit dem 1. Januar 2021 grundsätzlich auch für britische Staatsangehörige der Fall ist. Vor dem Hintergrund des Brexits haben die <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2021/818/de" target="_blank" rel="noopener">Schweiz und das Vereinigte Königreich am 9. September 2021 ein neues bilaterales Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen</a>, welches seit dem 1. November 2021 vorläufig Anwendung findet. Das Abkommen wird definitiv in Kraft treten, sobald es von den Parlamenten beider Staaten genehmigt wurde.<sup><a title="" href="#_ftn45" name="_ftnref45">45</a></sup></p>
<p><a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2012/323/de#tit_I_I" target="_blank" rel="noopener">Art. 11 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004</a> sieht ein Ausschliesslichkeitsprinzip vor, gemäss welchem die sozialversicherungsrechtliche Unterstellung in einem einzigen Staat erfolgt, auch wenn eine Person in mehreren Staaten arbeitet. Wird die grenzüberschreitende Home-Office-Tätigkeit für gewöhnlich und regelmässig ausgeübt, liegt eine Tätigkeit in mehreren Staaten im Sinne von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2012/323/de#art_13" target="_blank" rel="noopener">Art. 13 VO (EG) Nr. 883/2004</a> vor.<sup><a title="" href="#_ftn46" name="_ftnref46">46</a></sup> Arbeitnehmende, die physisch 25% oder mehr ihrer unselbständigen Tätigkeit in ihrem Wohnsitzstaat ausüben, unterstehen dem Sozialversicherungsrecht ihres Wohnsitzstaates. Die 25% bemessen sich i.d.R. im Verhältnis zur Gesamtarbeitszeit eines Arbeitnehmenden.<sup><a title="" href="#_ftn47" name="_ftnref47">47</a></sup></p>
<p>Aufgrund der Covid-19-Pandemie gilt seit März 2020 eine flexible Anwendung der Unterstellungsregeln im Verhältnis zu EU/EFTA-Staaten, mit dem Ziel eine pandemiebedingte Änderung der Versicherungsunterstellung zu verhindern. Mitte November 2022 hat man sich auf eine Verlängerung dieser Regel bis zum 30. Juni 2023 verständigt.<sup><a title="" href="#_ftn48" name="_ftnref48">48</a></sup> Konkret bedeutet dies, dass Arbeitnehmende weiterhin den Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit in ihrem gewöhnlichen Arbeitsstaat unterliegen, auch wenn sie 25% oder mehr der Tätigkeit im Home-Office im ausländischen Wohnsitzstaat innerhalb der EU/EFTA ausüben. Gemäss Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) ist es möglich, dass per 1. Juli 2023 eine dauerhafte Lösung umgesetzt wird, welche ein bestimmtes Ausmass an grenzüberschreitender Home-Office-Tätigkeit erlaubt, ohne dass sich die sozialversicherungsrechtliche Unterstellung ändert.<sup><a title="" href="#_ftn49" name="_ftnref49">49</a></sup> Ob tatsächlich eine Einigung erzielt werden kann, ist offen. Details sind zum Abgabezeitpunkt dieses Artikels noch nicht bekannt.<sup><a title="" href="#_ftn50" name="_ftnref50">50</a></sup> </p>
<p>Im Weiteren hat die europäische Verwaltungskommission am 13. Mai 2022 eine «<a href="https://ec.europa.eu/social/BlobServlet?docId=25818&langId=en" target="_blank" rel="noopener">Guidance Note on telework</a>»<sup><a title="" href="#_ftn51" name="_ftnref51">51</a></sup> veröffentlicht. Diese hält fest, dass die temporäre Tätigkeit in einem anderen Staat als Entsendung im Sinne von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2012/323/de#art_12" target="_blank" rel="noopener">Art. 12 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004</a> zu verstehen ist, auch dann, wenn sie bloss auf persönlichen Wunsch des Arbeitnehmenden erfolgt. Bislang war umstritten, inwiefern die Regelung angewendet werden kann, wenn die Tätigkeit in einem anderen Staat nicht vom Arbeitgebenden aus einem bestimmten geschäftlichen Grund angeordnet wurde. Dies bedeutet, dass bspw. Workation-Aufenthalte keine Änderung der sozialversicherungsrechtlichen Unterstellung zur Folge haben. In Zukunft wird für Arbeitgebende und Arbeitnehmende wieder vermehrt von Wichtigkeit sein, dass sie bei grenzüberschreitender Tätigkeit mit einer gültigen A1-Bescheinigung dokumentiert sind. Das Formular A1 bestätigt, welches nationale Sozialversicherungsrecht auf den Arbeitnehmenden anwendbar ist. In der Schweiz kann die Bescheinigung bei der zuständigen Ausgleichskasse beantragt werden.</p>
<h2>5. Ausblick</h2>
<p>Home-Office ist nicht mehr nur unter dem Blickwinkel der Pandemie zu beachten, sondern als die neue Realität zu anerkennen. Viele Arbeitgebende möchten ihren Arbeitnehmenden ermöglichen, eine gewisse Anzahl von Tagen im Home-Office zu arbeiten. Arbeitgebende müssen bei internationalen Sachverhalten aufgrund der derzeitigen Rechtslage jedoch besondere Vorsicht walten lassen und einen grossen administrativen Aufwand betreiben, um nicht in Stolperfallen zu treten. Insbesondere bei der Verabschiedung von allgemeinen unternehmensinternen Richtlinien mit Gültigkeit für alle Arbeitnehmenden ist Zurückhaltung geboten.</p>
<p>Mit Blick auf Arbeitnehmende kann die grenzüberschreitende Home-Office-Tätigkeit zu einer Änderung bei der Besteuerung des Erwerbseinkommens (inkl. Quellensteuerpflicht) sowie zu einem Wechsel der sozialversicherungsrechtlichen Unterstellung führen. Die Europäische Kommission steht derzeit in Kontakt mit den EU-Mitgliedsstaaten sowie der OECD, um eine langfristige Lösung für die sozialversicherungsrechtlichen, aber auch die steuerrechtlichen Auswirkungen der grenzüberschreitenden Home-Office-Tätigkeit zu finden.<sup><a title="" href="#_ftn52" name="_ftnref52">52</a></sup> Dabei sollen insbesondere auch die administrativen Verpflichtungen minimiert werden. Vorgebracht wurde die Idee, einen Arbeitnehmenden nur dann zu besteuern, wenn die Anzahl von 96 Arbeitstagen pro Kalenderjahr im jeweiligen Staat überschritten wird. Ausgehend von 240 Arbeitstagen pro Jahr bei einem Vollzeitpensum entspricht dies einem Anteil von 40% der Arbeitszeit. Es wurde zudem angeregt, die Möglichkeit eines «One-Stop-Shops», analog zum bereits bestehenden Modell für die Mehrwertsteuer, zu prüfen. So sollen Arbeitgebende die Anzahl der Arbeitstage den betroffenen Staaten melden und die Steuerbehörden beurteilen dann anhand der übermittelten Informationen, welcher Teil des Erwerbseinkommens in welchem Staat zu versteuern ist.<sup><a title="" href="#_ftn53" name="_ftnref53">53</a></sup></p>
<p>Die Tatsache, dass auf internationaler Ebene Bestrebungen laufen, um die Home-Office-Tätigkeit aus steuerlicher wie auch sozialversicherungsrechtlicher Sicht zu erleichtern, ist begrüssenswert. Die ständigen Veränderungen des nationalen und internationalen Rechts sowie der angewandten Verwaltungspraxis stellen jedoch eine grosse Herausforderung für Unternehmen und ihre internationalen Arbeitnehmenden dar – schliesslich ist die Arbeit nicht mehr zwingend an einen festen Ort gebunden, die Steuern und Abgaben jedoch schon. Die Zukunft wird zeigen, welche Lösungen sich auf lange Sicht durchsetzen. Um unerwünschte Folgen zu vermeiden, ist es für Arbeitgebende und Arbeitnehmende resp. für ihre Beraterinnen und Berater allerdings wichtig, die Entwicklungen laufend zu verfolgen, um pro-aktiv auf Änderungen reagieren zu können.</p></article>
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