<article class="rz"><h2>1. Einleitung</h2>
<p>Die Emissionsabgabe erfasst die Begründung oder Erhöhung von Beteiligungsrechten von inländischen Kapitalgesellschaften und Genossenschaften sowie Zuschüsse in die Reserven durch Gesellschafter ohne formelle Kapitalerhöhung. Auch Sanierungsleistungen der Gesellschafter, sofern sie denn auch das Eigenkapital erhöhen, unterliegen grundsätzlich der Emissionsabgabe von einem Prozent. Um die Sanierung von notleidenden Gesellschaften nicht unnötig zu erschweren, sieht das Bundesgesetz über die Stempelabgaben (StG) einerseits einen Sanierungsfreibetrag von zehn Millionen Franken und anderseits einen Erlass oder die Stundung vor.</p>
<p>Die geltende Verwaltungspraxis zur steuerlichen Behandlung von Sanierungen weist aus Sicht der Emissionsabgabe Ungereimtheiten auf, so etwa, dass Forderungsverzichte von Gesellschaftern generell der Emissionsabgabe unterliegen, aber nur ausnahmsweise gewinnsteuerneutral sind. Ausserdem sind Gesellschaften aufgrund des Erfordernisses der Verlustausbuchung zur Inanspruchnahme des Sanierungsfreibetrags oder Erlasses vor das Dilemma gestellt, entweder auf einer Sanierungsleistung Emissionsabgabe zu bezahlen oder auf die Bildung von Kapitaleinlagereserven zu verzichten.</p>
<p>Aufgrund eines vielbeachteten und allgemein begrüssten Urteils des Bundesverwaltungsgerichts (BVGer) vom 29. November 2021 bestand kurze Zeit Hoffnung, dass dieses Dilemma beseitigt worden sei. Allerdings erhob die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) Beschwerde ans Bundesgericht (BGer), das mit Entscheid vom 7. September 2023 das Urteil des BVGer, soweit dieses nicht letztinstanzlich entschied, zugunsten der Beschwerdeführerin korrigiert hat. Im Ergebnis werden das Erfordernis der Verlustbeseitigung, um in den Genuss des Sanierungsfreibetrags zu kommen, und die Anforderungen an den Erlass der Emissionsabgabe unterschiedlich ausgelegt. Dem Vernehmen nach wird die ESTV aber auch für den Erlass weiterhin die Verrechnung von Verlusten verlangen.</p>
<p>Der vorliegende Artikel bezweckt, die Emissionsabgabe im Zusammenhang mit Sanierungen umfassend darzustellen.</p>
<h2>2. Grundlagen</h2>
<h3>2.1 Natur und Gegenstand der Emissionsabgabe</h3>
<p>Bei der Stempelabgabe und mithin der Emissionsabgabe handelt es sich um eine Kapitalverkehrssteuer, die an bestimmte, im Gesetz normierte Vorgänge des Rechtsverkehrs anknüpft. In der Rechtsprechung und Literatur wird deshalb mit Bezug auf die Stempelabgabe von einer «Rechtsverkehrssteuer» gesprochen.<a title="" href="#_ftn1" name="_ftnref1"><sup>01</sup></a> Für ihre Festsetzung ist der wirkliche Inhalt der Urkunden oder Rechtsvorgänge massgebend.<a title="" href="#_ftn2" name="_ftnref2"><sup>02</sup></a> Dem formalen Charakter der Steuer entspricht, dass für die Abgabepflicht die rechtliche Gestaltung eines Geschäfts massgebend ist und nicht der von den Beteiligten verfolgte wirtschaftliche Zweck.</p>
<p>Die zum Abgabesatz von einem Prozent erhobene Emissionsabgabe wird auf der entgeltlichen oder unentgeltlichen Begründung oder Erhöhung des Nennwerts von Beteiligungsrechten von inländischen Kapitalgesellschaften und Genossenschaften sowie auf Zuschüssen von Anteilsinhabern ohne formelle Kapitalerhöhung erhoben. Soweit Sanierungsleistungen in subjektiver und objektiver Hinsicht unter diesen Steuertatbestand fallen, unterliegen sie grundsätzlich der Emissionsabgabe. D.h. mit anderen Worten, dass Sanierungsleistungen grundsätzlich der Emissionsabgabe unterliegen, soweit sie einerseits unter den Steuertatbestand fallen und andererseits keine Ausnahmebestimmung anwendbar ist. Für Sanierungsleistungen sieht das StG folgende zwei Ausnahmetatbestände vor:</p>
<blockquote>
<p>Art. 6 Abs. 1 lit. j StG: «Beteiligungsrechte, die zur Übernahme eines Betriebes oder Teilbetriebes einer Aktiengesellschaft, Kommanditaktiengesellschaft, Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder Genossenschaft begründet oder erhöht werden, sofern gemäss letzter Jahresbilanz die Hälfte des Kapitals und der gesetzlichen Reserven dieser Gesellschaft oder Genossenschaft nicht mehr gedeckt ist»;</p>
<p>Art. 6 Abs. 1 lit. k StG: «Die bei offenen Sanierungen vorgenommene Begründung von Beteiligungsrechten oder die Erhöhung von deren Nennwert bis zur Höhe vor der Sanierung sowie Zuschüsse von Gesellschaftern oder Genossenschaftern bei stillen Sanierungen, soweit:</p>
<ul>
<li>bestehende Verluste beseitigt werden, und</li>
<li>die Leistungen der Gesellschafter oder Genossenschafter gesamthaft 10 Millionen Franken nicht übersteigen».</li>
</ul>
</blockquote>
<p>Überdies sieht das StG für den Sanierungsfreibetrag von zehn Millionen Franken übersteigende Sanierungsleistungen die Möglichkeit des Erlasses oder der Stundung der Emissionsabgabe vor, wenn diese für die betroffene Gesellschaft eine offenbare Härte bedeuten würde.<a title="" href="#_ftn3" name="_ftnref3"><sup>03</sup></a></p>
<h3>2.2 Sanierungsbedürftigkeit im Sinne der Emissionsabgabe</h3>
<p>Weder das StG, die Verordnung zum StG noch ein anderes Steuergesetz enthalten eine allgemeine Definition der Sanierungsbedürftigkeit. Laut dem Kreisschreiben Nr. 32 der ESTV betreffend Sanierungen liegt eine steuerlich anerkannte Sanierungsbedürftigkeit vor, wenn eine Gesellschaft eine echte Unterbilanz aufweist, d.h. wenn Verluste bestehen und die Gesellschaft über keine offenen und/oder stillen Reserven verfügt, welche die ausgewiesenen Verluste abdecken.<a title="" href="#_ftn4" name="_ftnref4"><sup>04</sup></a> Das Steuerrecht nimmt also eine Sanierungsbedürftigkeit viel rascher an als das Handelsrecht, welches einen hälftigen Kapitalverlust voraussetzt.<a title="" href="#_ftn5" name="_ftnref5"><sup>05</sup></a> Eine Sanierungsbedürftigkeit im steuerrechtlichen Sinn liegt aber freilich erst dann vor, wenn auch keine stillen Willkürreserven zur Verlustdeckung mehr vorhanden sind.<a title="" href="#_ftn6" name="_ftnref6"><sup>06</sup></a> Demgegenüber stellt die handelsrechtliche Definition der Unterbilanz oder des Kapitalverlusts nur auf die offenen Reserven ab und lässt etwaige stille Reserven ausser Acht.<a title="" href="#_ftn7" name="_ftnref7"><sup>07</sup></a></p>
<p>Die Definition der steuerlich anerkannten Sanierungsbedürftigkeit im vorgenannten Sinn gilt aber explizit nicht für den Sanierungsfreibetrag und die Ausnahme für Kapitalerhöhungen von Auffanggesellschaften bei der Emissionsabgabe, für die, wie noch zu zeigen sein wird, je eine abweichend definierte Sanierungsbedürftigkeit vorausgesetzt wird. Für den Erlass der Emissionsabgabe wird hingegen eine Sanierungsbedürftigkeit im Sinne der besagten Definition im Kreisschreiben Nr. 32 vorausgesetzt. Dass folglich allein bei der Emissionsabgabe drei verschiedene Ausprägungen der Sanierungsbedürftigkeit beachtet werden müssen, die im Gesetz nicht klar normiert sind und ausserdem von der handelsrechtlichen Definition der Sanierungsbedürftigkeit abweichen, erschwert die Rechtsanwendung und führt zu Rechtsunsicherheit.<a title="" href="#_ftn8" name="_ftnref8"><sup>08</sup></a></p>
<h3>2.3 Sanierungsleistung im Sinne der Emissionsabgabe</h3>
<p>Für die Anwendung der zwei Ausnahmetatbestände für Sanierungen und den Erlass oder die Stundung der Emissionsabgabe wird vorausgesetzt, dass es sich bei den der Abgabe unterliegenden Leistungen um Sanierungsleistungen handelt. Eine Sanierungsleistung im Sinne der Emissionsabgabe muss zunächst dazu dienen, einen bestehenden Bilanzverlust gänzlich oder teilweise zu beseitigen.<a title="" href="#_ftn9" name="_ftnref9"><sup>09</sup></a> Folglich qualifiziert etwa eine ordentliche Kapitalerhöhung nicht als Sanierungsmassnahme im Sinne der Emissionsabgabe, es sei denn, sie erfolgt in Kombination mit einer Kapitalherabsetzung.<a title="" href="#_ftn10" name="_ftnref10"><sup>10</sup></a></p>
<p>Nicht vorausgesetzt für das Vorliegen einer Sanierungsleistung wird hingegen, dass eine bestehende Unterbilanz vollständig beseitigt wird. Es ist für das Vorliegen einer Sanierungsleistung im Sinne der Emissionsabgabe grundsätzlich ausreichend, wenn die Unterbilanz verringert wird, selbst wenn dies nur um einen Rappen geschieht.</p>
<p>Damit eine steuerlich relevante Sanierung vorliegt, müssen der Gesellschaft aber von aussen neue Mittel zugeführt werden. Daraus folgt, dass rein bilanzielle Sanierungsmassnahmen, wie etwa die Aufwertung von Aktiven gemäss Art. 725c OR oder eine Kapitalherabsetzung ohne anschliessende Wiedererhöhung des Kapitals, keine steuerlich relevanten Sanierungsleistungen darstellen.<a title="" href="#_ftn11" name="_ftnref11"><sup>11</sup></a> Nicht als Sanierungsleistungen im Sinne der Emissionsabgabe qualifizieren sodann Leistungen, welche die bestehenden Verluste übersteigen und somit eine Übersanierung bewirken. Im Fall einer Übersanierung wird die Qualifikation als Sanierungsleistung aber nur insoweit versagt, als die Sanierungsleistung die bestehenden Verluste übersteigt. Der Fokus der folgenden Ausführungen richtet sich daher in erster Linie auf die finanziellen Sanierungsmassnahmen, d.h. den Zuschuss und den Forderungsverzicht.<a title="" href="#_ftn12" name="_ftnref12"><sup>12</sup></a></p>
<h2>3. Emissionsabgabe bei Sanierungsmassnahmen</h2>
<h3>3.1 Behandlung der Sanierungsmassnahmen bei der Emissionsabgabe</h3>
<h4>3.1.1 Herabsetzung und allenfalls Wiedererhöhung des Aktienkapitals</h4>
<p>Bei einer Unterbilanz respektive einem Kapitalverlust ist das nominelle Kapital der Gesellschaft nicht mehr vollständig durch Aktiven gedeckt. Durch die Herabsetzung des Aktienkapitals kann die Gesellschaft das frei werdende Kapital mit dem Bilanzverlust verrechnen und dadurch die Unterbilanz beseitigen oder zumindest reduzieren.<a title="" href="#_ftn13" name="_ftnref13"><sup>13</sup></a> Wird das Aktienkapital gleichzeitig mit der Kapitalherabsetzung wieder erhöht, spricht man von einem Kapitalschnitt oder einer offenen Sanierung.<a title="" href="#_ftn14" name="_ftnref14"><sup>14</sup></a> Bei einer offenen Sanierung unterliegt die Wiedererhöhung des Kapitals, vorbehaltlich des Sanierungsfreibetrags, grundsätzlich der Emissionsabgabe.</p>
<h4>3.1.2 À fonds perdu-Zuschuss</h4>
<p>Eine Gesellschaft kann ferner durch à fonds perdu-Zuschüsse, d.h. durch Zuschüsse in die Reserven, ohne dass das nominelle Kapital erhöht wird, saniert werden. Man spricht in diesem Fall von einer stillen Sanierung, da keine formelle Kapitalveränderung stattfindet und die Sanierung daher aus dem Handelsregister nicht ersichtlich ist (keine Handelsregisterpublizität). Die der Gesellschaft durch à fonds perdu-Zuschüsse zugeführten Mittel ermöglichen einerseits die Beseitigung bestehender Verluste und folglich die vollständige oder teilweise Behebung der Unterbilanz und versorgen die Gesellschaft andererseits, und im Unterschied etwa zu einem Forderungsverzicht, mit Liquidität. Zuschüsse unterliegen grundsätzlich nur dann der Emissionsabgabe, wenn sie von den direkten Anteilsinhabern stammen.<a title="" href="#_ftn15" name="_ftnref15"><sup>15</sup></a> Demgegenüber unterliegen Zuschüsse von Dritten oder indirekten Anteilsinhabern, wie z.B. der Grossmuttergesellschaft, nicht der Emissionsabgabe. Während die Begründung oder Erhöhung von Beteiligungsrechten auch in Bezug auf ein etwaiges Agio zum allgemeinen Freibetrag von einer Million Franken berechtigt, kann dieser für reine Zuschüsse nicht beansprucht werden. Dagegen berechtigen Zuschüsse im Rahmen von Sanierungen zum Sanierungsfreibetrag von zehn Millionen Franken und, soweit sie diesen Betrag übersteigen, zum Erlass oder der Stundung der Emissionsabgabe, sofern die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind.</p>
<h4>3.1.3 Forderungsverzicht</h4>
<p>Eine weitere Ausprägung der stillen Sanierung sind Forderungsverzichte von Gläubigern. Aus steuerlicher Sicht ist zwischen Forderungsverzichten von Dritten und solche von Gesellschaftern zu unterscheiden. Diese Unterscheidung ist auch aus Sicht der Emissionsabgabe von Relevanz, da Forderungsverzichte als Zuschüsse im emissionsabgaberechtlichen Sinn qualifizieren. Bei einem Zuschuss handelt es sich streng wörtlich verstanden um eine Einlage in die Reserven der Gesellschaft. Im weiteren oder wirtschaftlichen Sinne verstanden stellt auch ein Forderungsverzicht ein Zuschuss dar.<a title="" href="#_ftn16" name="_ftnref16"><sup>16</sup></a> Ein solcher bewirkt dasselbe Ergebnis wie eine Einlage in die Reserven, auch wenn der Gesellschaft keine neuen Mittel zugeführt, sondern bestehende Verbindlichkeiten in Eigenkapital umgewandelt werden. Wie gezeigt, unterliegen lediglich Zuschüsse der direkten Anteilsinhaber der Emissionsabgabe. Bei Forderungsverzichten verhält es sich konsequenterweise gleich. </p>
<p>Die bei der Gewinnsteuer relevante Unterscheidung, ob der Forderungsverzicht des Anteilsinhabers einen echten Sanierungsgewinn (Regelfall) oder einen unechten Sanierungsgewinn (Ausnahme bei verdecktem Eigenkapital oder Sanierungskredit) bewirkt, ist für die emissionsabgaberechtliche Behandlung hingegen nicht von Belang. Forderungsverzichte der direkten Anteilsinhaber unterliegen vorbehaltlich des Sanierungsfreibetrags grundsätzlich immer der Emissionsabgabe. Dass auch gewinnsteuerwirksame Forderungsverzichte von Gesellschaftern der Emissionsabgabe unterliegen, ist eine steuersystematische Ungereimtheit. Korrigiert werden sollte aber nicht die Praxis bei der Emissionsabgabe, sondern vielmehr jene bei der Gewinnsteuer.<a title="" href="#_ftn17" name="_ftnref17"><sup>17</sup></a> Bereits korrigiert wurde die Praxis bei der Verrechnungssteuer, indem erfolgsneutral verbuchte und nicht mit Verlusten verrechnete Forderungsverzichte von Gesellschaftern unabhängig von deren gewinnsteuerlichen Behandlung nunmehr zur Bildung von Kapitaleinlagereserven berechtigen.<a title="" href="#_ftn18" name="_ftnref18"><sup>18</sup></a></p>
<p>Als Entschädigung für einen Forderungsverzicht kann eine Gesellschaft Gläubigern Besserungs- oder Genussscheine ausgeben. Besserungsscheine berechtigen den Inhaber unter bestimmten Voraussetzungen, auf den im Rahmen einer Sanierung geleisteten Forderungsverzicht zurückzukommen. Bei Besserungsscheinen handelt es sich aber nicht um Urkunden, die einen Anspruch auf Beteiligung am Reingewinn oder Liquidationsergebnis begründen, und mithin auch nicht um Urkunden, deren Ausgabe der Emissionsabgabe unterliegt. Demgegenüber unterliegt die Ausgabe von Sanierungsgenussscheinen grundsätzlich der Emissionsabgabe, die sich nach dem Entgelt bemisst. Bei der unentgeltlichen Ausgabe beträgt die Emissionsabgabe drei Franken je Genussschein.<a title="" href="#_ftn19" name="_ftnref19"><sup>19</sup></a> Erfolgt die Ausgabe von Sanierungsgenussscheinen in Verbindung mit einem Forderungsverzicht, bemisst sich die Emissionsabgabe nach dem Betrag des Forderungsverzichts. Dies ist freilich nur bei Forderungsverzichten von Dritten von Relevanz, da Forderungsverzichte von Gesellschaftern ohnehin der Emissionsabgabe unterliegen, die sich nach dem Betrag des Forderungsverzichts bemisst. Bei Forderungsverzichten von Gesellschaftern hat die Ausgabe von Sanierungsgenussscheinen mithin keine zusätzliche Emissionsabgabebelastung zur Folge.</p>
<h4>3.1.4 Anderweitige Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital</h4>
<p>Forderungsverzichte von Gesellschaftern unterliegen gemäss der vom Bundesgericht geschützten Verwaltungspraxis grundsätzlich der Gewinnsteuer, es sei denn, dass die Forderung auf einen Sanierungskredit zurückzuführen ist oder als verdecktes Eigenkapital qualifiziert.<a title="" href="#_ftn20" name="_ftnref20"><sup>20</sup></a> Dies gilt in Abweichung vom Massgeblichkeitsprinzip selbst dann, wenn der Forderungsverzicht nicht über die Erfolgsrechnung verbucht wird.<a title="" href="#_ftn21" name="_ftnref21"><sup>21</sup></a></p>
<p>Die nachteiligen Gewinnsteuerfolgen von Forderungsverzichten der Gesellschafter lassen sich aber einfach vermeiden, wenn Gesellschafter, anstatt auf ihre Forderung zu verzichten, diese in die Gesellschaft einlegen, wobei hierfür nicht zwingend neue Beteiligungsrechte ausgegeben werden müssen.<a title="" href="#_ftn22" name="_ftnref22"><sup>22</sup></a> Die Forderungseinlage des Gesellschafters hat bei der empfangenden Gesellschaft den Untergang der Forderung durch Konfusion zur Folge. Sie führt wirtschaftlich zum gleichen Ergebnis wie ein Forderungsverzicht. Der Unterschied liegt einzig darin, dass es sich um eine Einlage handelt, weshalb schon aufgrund von Art. 60 lit. a DBG klar ist, dass diese keine Gewinnsteuerfolgen zeitigt.</p>
<p>Die Forderungseinlage des Gesellschafters unterliegt wie der Forderungsverzicht des Gesellschafters der Emissionsabgabe.</p>
<h4>3.1.5 Sanierung durch eine nahestehende Person</h4>
<p>Erbringt eine dem Anteilsinhaber nahestehende Person einen Forderungsverzicht oder einen Zuschuss in eine sanierungsbedürftige Gesellschaft, trat nach früherer Praxis der ESTV bei der Emissionsabgabe wie bei der Verrechnungssteuer automatisch ein Wechsel von der üblicherweise geltenden Direktbegünstigungstheorie zur Dreieckstheorie ein.<a title="" href="#_ftn23" name="_ftnref23"><sup>23</sup></a> Demzufolge erhält der Anteilsinhaber in einem ersten Schritt von der nahestehenden Person eine geldwerte Leistung, die er in einem zweiten Schritt in die zu sanierende Gesellschaft einbringt. Diese Praxis gründete auf der Überlegung, dass die Sanierung einer Gesellschaft Aufgabe des Anteilsinhabers sei. Nach einem Entscheid der Schweizerischen Steuerrekurskommission (heute BVGer) vom 28. Juni 2005<a title="" href="#_ftn24" name="_ftnref24"><sup>24</sup></a> liess sich die bisherige Praxis mit Bezug auf die Emissionsabgabe aber nicht mehr halten. Gemäss Kreisschreiben Nr. 32 der ESTV wird bei einer Sanierungsleistung durch eine dem Anteilsinhaber nahestehende Person (z.B. eine Schwestergesellschaft) die Dreieckstheorie, vorbehältlich der Abgabeumgehung<a title="" href="#_ftn25" name="_ftnref25"><sup>25</sup></a>, deshalb nicht mehr angewendet.<a title="" href="#_ftn26" name="_ftnref26"><sup>26</sup></a> Bei einer Sanierungsfusion zwischen nahestehenden Gesellschaften ergeben sich bereits aufgrund der Ausnahmebestimmung in Art. 6 Abs. 1 lit. a<sup>bis</sup> StG keine Emissionsabgabefolgen.<a title="" href="#_ftn27" name="_ftnref27"><sup>27</sup></a></p>
<h3>3.2 Ausnahmen von der Emissionsabgabe bei Sanierungen</h3>
<h4>3.2.1 Sanierungsfreibetrag</h4>
<p>Der in Art. 6 Abs. 1 lit. k StG geregelte Sanierungsfreibetrag wurde mit der Unternehmenssteuerreform II am 23. März 2007 eingeführt und per 1. Januar 2009 in Kraft gesetzt. Es handelt sich um einen besonderen Freibetrag von zehn Millionen Franken der auf Sanierungsleistungen, d.h. die Begründung oder Erhöhung von Beteiligungsrechten bei offenen Sanierungen und Zuschüsse bei stillen Sanierungen, anwendbar ist, soweit bestehende Verluste beseitigt werden.</p>
<p>Der Sanierungsfreibetrag ist wie der allgemeine Freibetrag von einer Million Franken als einmaliger Freibetrag ausgestaltet, der aber auf mehrere Sanierungen aufgeteilt werden kann. Eine Konkurrenz zwischen allgemeinem Freibetrag und Sanierungsfreibetrag besteht nicht. Liegt eine Sanierung vor, kommt ausschliesslich der Sanierungsfreibetrag zur Anwendung. Ist dieser ausgeschöpft, kann allenfalls der Erlass oder die Stundung der Emissionsabgabe beansprucht werden. Der allgemeine Freibetrag kann hingegen bei einer Sanierungsleistung – in Frage käme ohnehin nur eine offene Sanierung, da der allgemeine Freibetrag auf Zuschüsse nicht anwendbar ist<a title="" href="#_ftn28" name="_ftnref28"><sup>28</sup></a> – nicht beansprucht werden.</p>
<p>Wie eingangs dargelegt, äussern sich das StG und die Verordnung nicht näher dazu, wann eine Sanierungsbedürftigkeit vorliegt, die zur Inanspruchnahme des Sanierungsfreibetrags berechtigt. Es wird mit Bezug auf den Sanierungsfreibetrag einzig die Voraussetzung aufgestellt, dass «bestehende Verluste beseitigt werden».<a title="" href="#_ftn29" name="_ftnref29"><sup>29</sup></a> Ausserdem qualifizieren gemäss Gesetzeswortlaut Nennwerterhöhungen bei offenen Sanierungen nur bis zur Höhe vor der Sanierung zum Sanierungsfreibetrag. Aus dem Erfordernis bestehender Verluste kann nicht geschlossen werden, dass die Gesellschaft eine echte oder unechte Unterbilanz oder gar einen Kapitalverlust im Sinne von Art. 725a Abs. 1 OR aufweisen muss.<a title="" href="#_ftn30" name="_ftnref30"><sup>30</sup></a> Dies folgt daraus, dass das Handelsrecht nicht generell vorschreibt, Verluste mit Reserven zu verrechnen. Mit der neuen Bestimmung von Art. 674 OR wurden erstmals Regeln zur Verlustverrechnung eingeführt. Die Bestimmung legt fest, in welcher Reihenfolge Verluste zu verrechnen sind. Sie besagt aber auch, dass hinsichtlich der gesetzlichen Gewinn- und Kapitalreserven eine Verlustverrechnung unterlassen werden kann. Mindestens mit Bezug auf die gesetzlichen Gewinn- und Kapitalreserven hat eine Gesellschaft folglich die Wahl, bestehende Verluste in der Bilanz stehen zu lassen oder sie zu verrechnen.<a title="" href="#_ftn31" name="_ftnref31"><sup>31</sup></a> Auch aus den Materialien geht nicht hervor, dass die Anwendung des Sanierungsfreibetrags eine Unterbilanz oder einen Kapitalverlust im Sinne von Art. 725a Abs. 1 OR voraussetzen soll.<a title="" href="#_ftn32" name="_ftnref32"><sup>32</sup></a> Einzige Voraussetzungen für dessen Beanspruchung sind mithin in positiver Hinsicht, dass bestehende Verluste ganz oder teilweise beseitigt werden, und in negativer Hinsicht, dass keine Steuerumgehung vorliegt.<a title="" href="#_ftn33" name="_ftnref33"><sup>33</sup></a></p>
<p>Die Voraussetzung, dass «bestehende Verluste beseitigt werden», ist gemäss konstanter Verwaltungspraxis in dem Sinne zu verstehen, dass der Sanierungsfreibetrag nur beansprucht werden kann, wenn und soweit bestehende Verluste ausgebucht werden. Mit anderen Worten müssen die der Gesellschaft zugeführten Mittel unmittelbar mit dem Bilanzverlust und/oder Verlustvortrag verrechnet werden. Es genügt demzufolge nicht, wenn die Sanierungsleistung nach der Bruttomethode verbucht wird. Wie noch zu zeigen sein wird, wurde diese restriktive Praxis erst kürzlich vom BGer bestätigt.<a title="" href="#_ftn34" name="_ftnref34"><sup>34</sup></a> Was die negative Voraussetzung anbelangt, so wäre eine Steuerumgehung etwa dann anzunehmen, wenn eine Gesellschaft absichtlich unzureichend mit Eigenkapital ausgestattet wurde, um sie zu einem späteren Zeitpunkt unter Inanspruchnahme des Sanierungsfreibetrags mit zusätzlichen Mitteln zu versorgen. Anders als beim Erlass, dessen Beanspruchung bereits beim Vorliegen einer Unterkapitalisierung (objektives Element) ausgeschlossen ist, braucht es beim Sanierungsfreibetrag zusätzlich eine Umgehungsabsicht (subjektives Element), damit dieser aufgrund einer Unterkapitalisierung nicht beansprucht werden kann.</p>
<p>In formeller Hinsicht bringt es die Ausgestaltung der Emissionsabgabe als Selbstveranlagungssteuer mit sich, dass die abgabepflichtige Gesellschaft selbst eine Beurteilung vorzunehmen hat, ob sie die Voraussetzungen zur Inanspruchnahme des Sanierungsfreibetrags erfüllt. Gegebenenfalls hat sie den Sanierungsfreibetrag bei der Abrechnung der Emissionsabgabe mit Formular 3 bei einer offenen Sanierung oder mit Formular 4 bei einer stillen Sanierung von der Bemessungsgrundlage in Abzug zu bringen. Verbleibt nach Abzug des Sanierungsfreibetrags keine emissionsabgabepflichtige Sanierungsleistung, muss überhaupt keine Abrechnung eingereicht werden. Da der Sanierungsfreibetrag keine besondere Sanierungsbedürftigkeit, sondern bloss die Ausbuchung bestehender Verluste bedingt, dürfte es in den allermeisten Fällen klar sein, ob und inwieweit eine Sanierungsleistung zur Inanspruchnahme des Sanierungsfreibetrags berechtigt. Sollte es im Einzelfall trotzdem eine Unsicherheit geben, ob der Sanierungsfreibetrag in Anspruch genommen werden kann, steht es einer Gesellschaft offen, vorab eine verbindliche Auskunft einzuholen.</p>
<h4>3.2.2 Ausnahme für Auffanggesellschaften</h4>
<p>Die in Art. 6 Abs. 1 lit. j StG geregelte Ausnahme, wonach die Begründung oder Erhöhung von Beteiligungsrechten einer Auffanggesellschaft zur Übernahme eines Betriebs oder Teilbetriebs einer Kapitalgesellschaft von der Emissionsabgabe ausgenommen sind, sofern letztere einen hälftigen Kapitalverlust im Sinne von Art. 725a Abs. 1 OR aufweist, wurde ebenfalls mit der Unternehmenssteuerreform II eingeführt. Soweit ersichtlich, hat diese Ausnahmebestimmung im Gegensatz zum Sanierungsfreibetrag kaum praktische Relevanz.</p>
<p>Nach hier vertretener Auffassung setzt die Inanspruchnahme der Ausnahme nicht voraus, dass die Aufnahmegesellschaft anlässlich der Übernahme des Betriebs oder Teilbetriebs von der sanierungsbedürftigen Gesellschaft neu gegründet wird.<a title="" href="#_ftn35" name="_ftnref35"><sup>35</sup></a> Dies ergibt sich einerseits aus dem Sinn und Zweck der Norm, andererseits aus dem Wortlaut, der explizit auch die Erhöhung von Beteiligungsrechten einer Auffanggesellschaft erwähnt. Von der Ausnahme nicht erfasst und damit nicht abgabebefreit, ist derjenige Teil des neu geschaffenen Nominalkapitals der übernehmenden Auffanggesellschaft, der das minimal erforderliche Eigenkapital gemäss Kreisschreiben Nr. 6 der ESTV betreffend verdecktes Eigenkapital übersteigt, sofern die Voraussetzungen einer Abgabeumgehung erfüllt sind.<a title="" href="#_ftn36" name="_ftnref36"><sup>36</sup></a> Das heisst mit anderen Worten, dass im Umfang des das minimal erforderliche Eigenkapital übersteigenden Nominalkapitals ausserfiskalische Gründe nachzuweisen sind.</p>
<h3>3.3 Erlass oder Stundung der Abgabe</h3>
<p>Während der Sanierungsfreibetrag und die Ausnahmebestimmung für Auffanggesellschaften erst mit der Unternehmenssteuerreform II eingeführt wurden, geht das Institut des Erlasses und der Stundung der Emissionsabgabe bei einer Sanierung, wenn deren Erhebung eine offenbare Härte bedeuten würde, bis ins Jahr 1921 zurück.<a title="" href="#_ftn37" name="_ftnref37"><sup>37</sup></a> Erlass und Stundung der Emissionsabgabe sind heute in einem separaten sechsten Abschnitt «Stundung und Erlass der Abgabeforderung» in Art. 12 StG geregelt. Die Anordnung der Bestimmung im Gesetz verdeutlicht, dass es sich beim Erlass und der Stundung der Emissionsabgabe nicht um einen Ausnahmetatbestand handelt. Die geschuldete Emissionsabgabe wird aber auf Gesuch der abgabepflichtigen Gesellschaft hin gestundet oder erlassen, wenn die im Gesetz normierten objektiven und subjektiven Voraussetzungen erfüllt sind. Es besteht mithin ein öffentlich-rechtlicher Anspruch auf Gewährung des Erlasses oder der Stundung.<a title="" href="#_ftn38" name="_ftnref38"><sup>38</sup></a> Die ESTV hat nur ein Ermessen bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen erfüllt sind.<a title="" href="#_ftn39" name="_ftnref39"><sup>39</sup></a> Da Stundung und Erlass an die gleichen Voraussetzungen geknüpft sind, werden in der Praxis nur mehr Erlassgesuche gestellt.</p>
<p>Wie eingangs erwähnt, setzt der Erlass der Emissionsabgabe eine steuerlich anerkannte Sanierungsbedürftigkeit im Sinne der Definition im Kreisschreiben Nr. 32 der ESTV betreffend Sanierungen voraus. D.h., dass eine sanierungsbedürftige Gesellschaft eine echte Unterbilanz, verstanden als eine Unterbilanz, die nicht durch offene oder stille Reserven gedeckt ist, aufweisen muss.<a title="" href="#_ftn40" name="_ftnref40"><sup>40</sup></a> Folglich müssen beim Erlass in punkto Sanierungsbedürftigkeit deutlich strengere Voraussetzungen erfüllt sein als beim Sanierungsfreibetrag. Abgesehen von der offenbaren Härte ergeben sich aus dem Gesetz keine weiteren Voraussetzungen. Gemäss konstanter Verwaltungspraxis wird aber auch für die Gewährung des Erlasses oder der Stundung der Abgabeforderung verlangt, dass anlässlich der Sanierung Verluste beseitigt werden.<a title="" href="#_ftn41" name="_ftnref41"><sup>41</sup></a> Die Verlustbeseitigung ist gemäss konstanter Verwaltungspraxis auch beim Erlass dahingehend zu verstehen, dass bestehende Verluste handelsrechtlich ausgebucht werden müssen. Schliesslich wird verlangt, dass die Sanierung nachhaltig ist. Das heisst, dass ein allfällig verbleibender Verlust das Grundkapital nicht mehr übersteigen darf. Gemäss konstanter Rechtsprechung und Verwaltungspraxis wird ein Erlass oder eine Stundung versagt, wenn die Gesellschaft unterkapitalisiert ist oder die Unterbilanz auf eine verdeckte Gewinnausschüttung zurückzuführen ist.<a title="" href="#_ftn42" name="_ftnref42"><sup>42</sup></a></p>
<p>Eine Unterkapitalisierung ist gemäss Rechtsprechung und Verwaltungspraxis anzunehmen, wenn eine Gesellschaft in den letzten drei Jahren nach Massgabe der im Kreisschreiben Nr. 6 der ESTV betreffend verdecktes Eigenkapital statuierten Belehnungssätze, aber unter Ausklammerung der Verluste, eine Unterkapitalisierung aufgewiesen hat.<a title="" href="#_ftn43" name="_ftnref43"><sup>43</sup></a> Eine Unterkapitalisierung im besagten Sinn liegt mithin vor, wenn das «verstempelte» Eigenkapital weniger als das minimal erforderliche Eigenkapital gemäss Kreisschreiben Nr. 6 beträgt.<a title="" href="#_ftn44" name="_ftnref44"><sup>44</sup></a> Bei einer Unterkapitalisierung wird der Erlass im entsprechenden Umfang versagt. Wie erwähnt, kann der Erlass ausserdem im Umfang einer allfälligen Übersanierung nicht beansprucht werden. Als Ausnahme von diesem Grundsatz kann gemäss Rechtsprechung eine Sanierungsreserve, die im laufenden Geschäftsjahr durch Verrechnung mit laufenden Verlusten wieder aufgelöst wird, gebildet werden, die ebenfalls vom Erlass profitiert.<a title="" href="#_ftn45" name="_ftnref45"><sup>45</sup></a> Praxisgemäss kann darüber hinaus auch ein den sofortigen Verlustabbau übersteigender Zuschuss als eine zum Erlass berechtigende Sanierung qualifizieren, wenn die dadurch geschaffene Reserve die für das Folgejahr budgetierten Verluste abdecken soll und in diesem Zeitraum auch tatsächlich zum Ausgleich der Verluste verwendet wird.<a title="" href="#_ftn46" name="_ftnref46"><sup>46</sup></a></p>
<h3>3.4 Erfordernis der Verlustbeseitigung</h3>
<h4>3.4.1 Bisherige Praxis</h4>
<p>Die Inanspruchnahme des Sanierungsfreibetrags setzt gemäss Gesetzeswortlaut voraus, dass mit den Sanierungsleistungen «bestehende Verluste beseitigt werden».<a title="" href="#_ftn47" name="_ftnref47"><sup>47</sup></a> Obwohl das Gesetz für den Erlass und die Stundung der Emissionsabgabe keine analoge Voraussetzung vorsieht, wurde gemäss Verwaltungspraxis und Rechtsprechung schon vor der Einführung des Sanierungsfreibetrags auch für den Erlass und die Stundung die Beseitigung bestehender Verluste verlangt.<a title="" href="#_ftn48" name="_ftnref48"><sup>48</sup></a> Das Erfordernis der Verlustbeseitigung setzt gemäss bisheriger Verwaltungspraxis voraus:</p>
<ul>
<li>in bilanzieller Hinsicht, dass die der Gesellschaft zugeführten Mittel mit dem Bilanzverlust und/oder Verlustvortrag verrechnet werden;</li>
<li>in zeitlicher Hinsicht, dass die der Gesellschaft als Sanierungsleistung zugeführten Mittel unmittelbar zur Verlustausbuchung verwendet werden.</li>
</ul>
<h4>3.4.2 Kritik der Lehre</h4>
<p>Die restriktive Praxis, wonach eine Sanierungsleistung zur Verlustausbuchung verwendet werden muss, um den Sanierungsfreibetrag oder Erlass in Anspruch nehmen zu können, gab bis zur Einführung des Kapitaleinlageprinzips nicht Anlass zur Kritik. Seither qualifizieren Zuschüsse und Forderungsverzichte von Gesellschaftern grundsätzlich als Kapitaleinlagereserven, die, soweit sie entsprechend verbucht und von der ESTV gestützt auf die Meldung mit Formular 170 bestätigt werden, wie Grund- oder Stammkapital verrechnungssteuerfrei an die Anteilsinhaber zurückbezahlt werden können.<a title="" href="#_ftn49" name="_ftnref49"><sup>49</sup></a> Unter dem nunmehr geltenden Kapitaleinlageprinzip ist eine Gesellschaft mithin vor die Wahl gestellt:</p>
<ol style="list-style-type: lower-alpha;">
<li>Sanierungsleistungen entweder rein über die Bilanz ohne Beseitigung von Verlusten (brutto) zu verbuchen, womit sie grundsätzlich als Kapitaleinlagen qualifizieren, aber nicht zum Sanierungsfreibetrag oder Erlass berechtigen; oder</li>
<li>Sanierungsleistungen netto zu verbuchen, d.h. mit den Verlusten verrechnen, womit sie zum Sanierungsfreibetrag oder Erlass berechtigen, aber nicht als Kapitaleinlagereserven qualifizieren.</li>
</ol>
<p>Dass Sanierungsleistungen sowohl als Kapitaleinlagereserven qualifizieren als auch zum Sanierungsfreibetrag oder Erlass berechtigen, ist nach bisheriger Verwaltungspraxis hingegen nicht möglich.</p>
<p>In der Lehre wird kritisiert, dass das Erfordernis der Verlustausbuchung im Gesetz nicht angelegt sei. Dort sei lediglich von einer Verlustbeseitigung die Rede. Zumindest aus betriebswirtschaftlicher Sicht beseitige eine Sanierungsleistung Verluste, auch wenn sie nicht ausgebucht würden.<a title="" href="#_ftn50" name="_ftnref50"><sup>50</sup></a> Aus dem Gesetzeswortlaut ergebe sich folglich nicht, dass die Verluste tatsächlich und zeitnah ausgebucht werden müssten. Die Ausbuchung stelle letztlich nur einen formalen Akt der «Reservenbereinigung» dar.<a title="" href="#_ftn51" name="_ftnref51"><sup>51</sup></a> Ausserdem wird geltend gemacht, dass das Erfordernis der Verlustverrechnung unnötig sei.<a title="" href="#_ftn52" name="_ftnref52"><sup>52</sup></a></p>
<h4>3.4.3 Leitentscheid des BGer vom 7. September 2023</h4>
<p>Das BGer musste vor kurzem erstmals über die Rechtmässigkeit der umstrittenen Praxis befinden. Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:</p>
<p>Die B GmbH wies in ihrer Bilanz per 31. März 2015 erhebliche Verluste aus und war überschuldet. Am 21. September 2015 vollzog sie eine Kapitalerhöhung von einer halben Million Franken mit einem Agio von über einer Milliarde Franken. Im Anschluss nahm sie eine rechtsformändernde Umwandlung in eine AG vor und rechnete mit Formular 3 die Emissionsabgabe auf der Erhöhung des nominellen Kapitals ab und entrichtete den Betrag von 5'000 Franken. In einem Schreiben an die ESTV legte sie dar, dass sie beabsichtige, das Agio zur Ausbuchung des Bilanzverlustes zu verwenden. Der Vorgang sei ihrer Ansicht nach als Sanierungsmassnahme zu qualifizieren, weshalb sie den Freibetrag von zehn Millionen Franken beanspruchen könne. Was den überschiessenden Betrag betreffe, seien die Bedingungen für den Erlass der Emissionsabgabe erfüllt.</p>
<p>Am 3. Oktober 2017 gab die Abgabepflichtige der ESTV sodann eine Veränderung ihrer Kapitaleinlagereserven bekannt. Aus den Beilagen zum Formular 170 ging hervor, dass die Kapitaleinlagereserven auch das Agio umfassten, das im Zuge der Kapitalerhöhung vom 21. September 2015 geleistet wurde.</p>
<p>Anlässlich einer externen Kontrolle stellte die ESTV fest, dass das Agio entgegen der seinerzeitigen Ankündigung der Kapitaleinlagereserve gutgeschrieben und nicht zur Verlustausbuchung herangezogen wurde und die Verlustausbuchung auch im darauffolgenden Geschäftsjahr nicht nachgeholt worden ist. Mit Verfügung stellte sie fest, die Emissionsabgabe sei nachzuerheben. Dagegen erhob die Abgabepflichtige Einsprache und machte unter anderem geltend, die ausserordentliche Generalversammlung habe die Verlustausbuchung nun beschlossen. Die ESTV wies die Einsprache ab, woraufhin die Abgabepflichtige Beschwerde ans BVGer erhob.</p>
<p>In seinem Urteil hat sich das BVGer zur Klärung der strittigen Frage, ob zur Anwendung des Sanierungsfreibetrags und Erlasses Verluste ausgebucht werden müssen, umfassend mit der Auslegung der einschlägigen Normen auseinandergesetzt. In grammatikalischer Hinsicht erachtet es den Wortlaut der Ausnahmebestimmung für den Sanierungsfreibetrag, soweit dieser von einer Beseitigung der bestehenden Verluste spricht, als «schlicht unklar».<a title="" href="#_ftn53" name="_ftnref53"><sup>53</sup></a> Auch aus den teleologischen und historischen Auslegungselementen kann nach Auffassung des BVGer keine Antwort auf die interessierende Frage abgeleitet werden. Am eingehendsten setzt es sich schliesslich mit der systematischen Auslegung auseinander. Dabei stellt es fest, dass der Umstand, dass die Sanierungsleistung ausnahmsweise von der Emissionsabgabe ausgenommen sei bzw. diese erlassen werde, nichts an der Möglichkeit der verrechnungssteuerfreien Rückzahlung ändern dürfe. Letztlich würde das nämlich dem Sinn der Ausnahmen zuwiderlaufen, als die Steuerfreiheit bzw. der Erlass insofern rückgängig gemacht würden, als später eine andere Steuer (die Verrechnungssteuer) erhoben werde, die ohne die Steuerfreiheit beziehungsweise den Erlass der einen Steuer nicht erhoben worden wäre.<a title="" href="#_ftn54" name="_ftnref54"><sup>54</sup></a> Die systematische Auslegung ergebe somit, dass Verluste nicht ausgebucht werden müssen, damit der Sanierungsfreibetrag und der Erlass zur Anwendung gelangen können.<a title="" href="#_ftn55" name="_ftnref55"><sup>55</sup></a></p>
<p>Die ESTV hat das Urteil mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans BGer angefochten. Das BGer hält in seinem Urteil vom 7. September 2023 einleitend in verfahrensrechtlicher Hinsicht fest, dass Entscheide über die Stundung oder den Erlass von Abgaben nur bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder wenn es sich sonst um einen besonders bedeutenden Fall handelt und ausserdem nur, falls der Erlass die direkte Bundessteuer oder Staats- und Gemeindesteuern zum Gegenstand hat, mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans BGer angefochten werden können.<a title="" href="#_ftn56" name="_ftnref56"><sup>56</sup></a> Da diese Voraussetzung vorliegend nicht erfüllt war, konnte der Entscheid des BVGer in Bezug auf den Erlass im bundesgerichtlichen Verfahren folglich nicht mehr angefochten werden, weshalb das BVGer in diesem Umfang letztinstanzlich entschieden hat. Der Streitgegenstand im Verfahren vor BGer beschränkte sich somit auf die Frage, ob die Abgabepflichtige den Sanierungsfreibetrag beanspruchen kann.</p>
<p>In materieller Hinsicht zieht das BGer in Erwägung, dass der ausgeprägt formale Charakter der Stempelabgaben nach einer formell-zivilrechtlichen Betrachtungsweise rufe, von der bei der Auslegung des Gesetzes nicht leichthin abzurücken sei. Der Gesetzgeber knüpfe den Sanierungsfreibetrag insbesondere daran, dass bestehende Verluste beseitigt werden. Dieses unerlässliche Konstitutiverfordernis sei nach den üblichen Regeln auszulegen. In grammatikalischer Hinsicht erachtet es den Begriff der «Beseitigung» als nicht klar. Das grammatikalische Element erlaube mithin für sich allein genommen keine abschliessende Beurteilung.<a title="" href="#_ftn57" name="_ftnref57"><sup>57</sup></a> Auch die Entstehungsgeschichte der Norm und die Materialien erachtet das BGer als nicht aufschlussreich. Einen hinreichend klaren gesetzgeberischen Willen (historisches Element) zur Frage, ob der Verlustvortrag zwingend auszubuchen sei, liessen weder Bundesrat noch Parlament erkennen.<a title="" href="#_ftn58" name="_ftnref58"><sup>58</sup></a> Weiter verneint das BGer, dass die Stellung der Norm innerhalb des Gesetzes (systematisches Element) einen Rückschluss zulässt.<a title="" href="#_ftn59" name="_ftnref59"><sup>59</sup></a> In teleologischer Hinsicht stellt es fest, dass der Gesetzgeber die Absicht verfolgte, die Kapitalzufuhr anlässlich von Sanierungen von der Emissionsabgabe auszunehmen. Die Rechtswohltat sei jedoch an Bedingungen geknüpft und erfordere die Beseitigung bestehender Verluste. Indem der Gesetzgeber die Bedingung der Verlustbeseitigung schuf, habe er eine Erwartung verbunden. Diese gehe dahin, dass der Verlustvortrag auch tatsächlich ausgebucht werde, ansonsten die Bedingung sinnlos bliebe.<a title="" href="#_ftn60" name="_ftnref60"><sup>60</sup></a> Diese Auslegung werde der gebotenen formell-zivilrechtlichen Betrachtungsweise gerecht und trage dem Umstand Rechnung, dass stempelabgaberechtliche Normen weder ausdehnend noch einschränkend auszulegen seien. Dass es betriebswirtschaftlich unerheblich bleibe, ob das Agio stehengelassen oder zur Ausbuchung des Verlustvortrags herangezogen werde, ändere nichts. Entscheidend sei einzig, dass der Gesetzgeber eine Bedingung geschaffen habe, die nur als Pflicht zur Ausbuchung des Verlustvortrags verstanden werden könne, ansonsten sie inhaltslos bliebe.<a title="" href="#_ftn61" name="_ftnref61"><sup>61</sup></a></p>
<p>Dem Vernehmen nach wird die ESTV auch für die Gewährung des Erlasses weiterhin die Ausbuchung der Verluste verlangen.<a title="" href="#_ftn62" name="_ftnref62"><sup>62</sup></a> Sie ist im Sinne einer Reverslösung jedoch bereit, die Emissionsabgabe zurückzuerstatten, falls das BVGer seinen mit Bezug auf den Erlass letztinstanzlichen Entscheid dereinst bestätigen sollte.</p>
<h4>3.4.4 Stellungnahme</h4>
<p>Im Ergebnis ist das Urteil des BGer zu bedauern, da es sanierungsbedürftigen Gesellschaften auch inskünftig verwehrt bleiben wird, vom Sanierungsfreibetrag zu profitieren und gleichzeitig Kapitaleinlagereserven zu bilden. Das Urteil ist aber schlüssig und nachvollziehbar. Wie in der Urteilsbegründung dargelegt, ist die bisherige und nun auch weiterhin geltende Verwaltungspraxis, wonach die Anwendung des Sanierungsfreibetrags eine Verlustausbuchung erfordert, durchaus im Gesetz angelegt. Zwar geht aus dem Wortlaut nicht hervor, was unter «Verlustbeseitigung» gemeint ist, der Gesetzgeber hat damit aber eine Erwartung verbunden, weshalb das Erfordernis nicht einfach negiert werden kann. Ausserdem ergibt es durchaus Sinn, dass der Sanierungsfreibetrag, der vom Abgabepflichtigen in der Selbstveranlagung anzuwenden ist, nicht an dieselben Voraussetzungen geknüpft wird wie der mit Gesuch an die ESTV zu beantragende Erlass.<a title="" href="#_ftn63" name="_ftnref63"><sup>63</sup></a></p>
<p>Das Selbstveranlagungsverfahren bedingt, dass der Sanierungsfreibetrag an einfach feststellbare Voraussetzungen geknüpft wird. Dies ist nach geltendem Recht der Fall, indem einzig das Bestehen von Verlusten und deren Beseitigung durch Sanierungsleistungen verlangt wird. Anders beim Erlass, der eine echte Unterbilanz voraussetzt, die sich nicht ohne weiteres feststellen lässt. Wenn aber der Sanierungsfreibetrag weiterhin nur an das Bestehen von Verlusten und deren Beseitigung geknüpft sein soll, ist diese Voraussetzung dahingehend auszulegen, dass die Verluste bilanziell ausgebucht werden müssen. Eine Aufweichung dieser Voraussetzung würde Tür und Tor für eine missbräuchliche Verwendung des Sanierungsfreibetrags öffnen, indem sich emissionsabgabefrei sowohl verrechnungs- als auch einkommenssteuerfrei ausschüttbare Kapitaleinlagereserven schaffen liessen.<a title="" href="#_ftn64" name="_ftnref64"><sup>64</sup></a></p>
<p>Was die Verlustausbuchung in zeitlicher Hinsicht anbelangt, ist zu bedenken, dass gemäss neuem Rechnungslegungsrecht Zuschüsse und Forderungsverzichte von Gesellschaftern zwingend der gesetzlichen Kapitalreserve zuzuweisen sind.<a title="" href="#_ftn65" name="_ftnref65"><sup>65</sup></a> Obwohl die Verrechnung von Verlusten mit dem Gewinnvortrag und den freien Gewinnreserven, nicht aber der gesetzlichen Gewinn- und Kapitalreserven, handelsrechtlich vorgeschrieben ist, hat die Generalversammlung aufgrund ihrer unübertragbaren Befugnis, über den Bilanzgewinn zu beschliessen, der Verlustverrechnung zuzustimmen.<a title="" href="#_ftn66" name="_ftnref66"><sup>66</sup></a> Dies gilt a fortiori für die Verrechnung von Verlusten mit den gesetzlichen Gewinn- und Kapitalreserven. Daraus erhellt, dass eine Verlustverrechnung der Sanierungsleistung erst im darauffolgenden Jahr durchgeführt werden kann, weshalb die Voraussetzung der umgehenden Verlustverrechnung in diesem Sinne zu relativieren ist.<a title="" href="#_ftn67" name="_ftnref67"><sup>67</sup></a> Im konkreten Fall musste sich das BGer mit dem zeitlichen Aspekt der Verlustverrechnung nicht auseinandersetzen, da noch das alte Rechnungslegungsrecht anwendbar war und eine Verlustverrechnung auch im Folgejahr unterblieben ist.</p>
<h2>4. Schlussbemerkungen</h2>
<p>Die Emissionsabgabe ist v.a. bei Sanierungen ein Dorn im Auge. Der Gesetzgeber hat deshalb mit dem Sanierungsfreibetrag eine niederschwellige Ausnahmebestimmung geschaffen, um die Sanierung von Gesellschaften nicht unnötig durch die Emissionsabgabe zu erschweren. Er verfolgte dabei das Ziel, einen einfachen Ausnahmetatbestand zu schaffen, der ohne Gesuch beansprucht werden kann. Einzige Voraussetzung in materieller Hinsicht ist die Beseitigung bestehender Verluste. Vor diesem Hintergrund scheint die nun vom BGer bestätigte restriktive Praxis, wonach Sanierungsleistungen dazu verwendet werden müssen, Verluste handelsrechtlich auszubuchen, richtig. Dass demnach sanierungsbedürftige Gesellschaften weiterhin zwischen der Anwendung des Sanierungsfreibetrags oder der Bildung von Kapitaleinlagereserven zu wählen haben, ist bei der bestehenden Gesetzeslage unvermeidbar. Da für den Erlass der Emissionsabgabe strengere Voraussetzungen als für den Sanierungsfreibetrag gelten, aber Art. 12 anders als Art. 6 Abs. 1 lit. k StG keine Verlustbeseitigung voraussetzt, ist die restriktive Praxis beim Erlass hingegen nicht angezeigt.</p>
<p>Daher ist dem letztinstanzlichen Entscheid des BVGer beizupflichten, dass Verluste für die Anwendung des Erlasses nicht ausgebucht werden müssen. Die ESTV ist gehalten, ihre Praxis mit Bezug auf den Erlass entsprechend anzupassen.</p></article>
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