<article class="rz"><p>Die Ausführungen in diesem Beitrag werden von der Autorin in ihrer persönlichen Eigenschaft geäussert und binden die Steuerverwaltung des Kantons Tessin in keiner Weise. </p>
<h2>Einleitung</h2>
<p>Heute arbeiten rund 85'000 in Italien ansässige Personen in den Grenzkantonen Tessin, Graubünden und Wallis. Das <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/457_457_457/de" target="_blank" rel="noopener">mit Italien abgeschlossene Grenzgängerabkommen</a> ist vor allem für den Kanton Tessin mit seinen rund 75'000 Grenzgängern von grosser Bedeutung, wovon ca. 66'000 als Grenzgänger im Sinne des Abkommens gelten.<a title="" href="#_ftn1" name="_ftnref1"><sup>01</sup></a> </p>
<p>Die Regelung der Home-Office-Tätigkeit der italienischen Grenzgänger drängte sich während der COVID-19-Pandemie auf, als die staatlichen Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie die Mobilität der Arbeitnehmer wesentlich einschränkten. In der Zwischenzeit ist das Home-Office zur normalen Arbeitsform geworden. Der vorliegende Artikel befasst sich mit der Frage, welche Auswirkung das Home-Office auf die Besteuerung der Grenzgänger haben kann und welche weiteren steuerlichen Risiken damit verbunden sind. Dabei wird ein direkter Vergleich aufgestellt zwischen den nach <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/457_457_457/de" target="_blank" rel="noopener">dem aktuellen Abkommen geltenden Bestimmungen</a> und jenen Bestimmungen, die nach Inkrafttreten des <a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/67789.pdf" target="_blank" rel="noopener">am 23. Dezember 2020 von der Schweiz und Italien unterzeichneten Abkommens</a> gelten sollen.</p>
<p>Auf Ausführungen im Zusammenhang mit sozialversicherungsrechtlichen Aspekten wird in diesem Beitrag verzichtet.<a title="" href="#_ftn2" name="_ftnref2"><sup>02</sup></a></p>
<h2>1. Das Grenzgängerabkommen zwischen der Schweiz und Italien – ein Überblick</h2>
<h3><strong>1.1 </strong><strong>Vom </strong><a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/457_457_457/de" target="_blank" rel="noopener"><strong>Grenzgängerabkommen 1974</strong></a><strong> zum </strong><a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/67789.pdf" target="_blank" rel="noopener"><strong>neuen Grenzgängerabkommen</strong></a></h3>
<p><a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/457_457_457/de" target="_blank" rel="noopener">Das heute (noch) gültige Grenzgängerabkommen mit Italien wurde am 3. Oktober 1974 unterschrieben</a> und ist am 27. März 1979 rückwirkend auf den 1. Januar 1974 in Kraft getreten (nachfolgend <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/457_457_457/de" target="_blank" rel="noopener">«Grenzgängerabkommen 1974»</a>).<a title="" href="#_ftn3" name="_ftnref3"><sup>03</sup></a> Es ist integraler Bestandteil des <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/461_461_461/de" target="_blank" rel="noopener">von der Schweiz mit Italien am 9. März 1976 abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens («DBA CH-I»)</a>.<a title="" href="#_ftn4" name="_ftnref4"><sup>04</sup></a></p>
<p>Seither wurden diverse Versuche unternommen, das Abkommen zu revidieren.<a title="" href="#_ftn5" name="_ftnref5"><sup>05</sup></a> Am 23. Februar 2015, gleichzeitig mit der Unterzeichnung des <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/oc/2016/451/de" target="_blank" rel="noopener">Änderungsprotokolls zum DBA CH-I</a> im Zusammenhang mit der Anpassung an die OECD-Standard zum Informationsaustausch, haben die Schweiz und Italien eine sog. <a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/38401.pdf" target="_blank" rel="noopener">«Roadmap»</a> unterschrieben. Dieser Eckwerteplan enthält eine klare politische Verpflichtung zu mehreren Punkten der bilateralen Beziehung zwischen der Schweiz und Italien im Steuer- und Finanzbereich und sieht unter anderem auch die Überarbeitung des Grenzgängerabkommens von 1974 vor.<a title="" href="#_ftn6" name="_ftnref6"><sup>06</sup></a> Am 22. Dezember 2015 wurde der Entwurf des neuen Abkommens zur Besteuerung der Grenzgänger inklusive Zusatzprotokoll paraphiert. Aus verschiedenen Gründen verzögerte sich jedoch die Unterzeichnung. Erst im Laufe des Jahres 2020 wurden die Gespräche wiederaufgenommen und <a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/67789.pdf" target="_blank" rel="noopener">am 23. Dezember 2020 unterzeichneten die Schweiz und Italien das neue Grenzgängerabkommen (nachfolgend «neues Grenzgängerabkommen»)</a> in Rom.<a title="" href="#_ftn7" name="_ftnref7"><sup>07</sup></a> <a href="https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2022/20220301115950478194158159038_bsd107.aspx" target="_blank" rel="noopener">Am 1. März 2022 stimmte das Schweizer Parlament dem neuen Grenzgängerabkommen mit Italien zu</a>.</p>
<p>Aufgrund der aktuellen politischen Situation in Italien ist es zurzeit nicht klar, ob das Abkommen noch vor Ende Jahr 2022 vom italienischen Parlament ratifiziert wird, sodass es – wie ursprünglich geplant – am 1. Januar 2023 in Kraft treten könnte.</p>
<p>Das <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/457_457_457/de" target="_blank" rel="noopener">Grenzgängerabkommen 1974</a> besteht nur aus wenigen Artikeln, und seine Anwendbarkeit beschränkt sich auf in Italien ansässige Grenzgänger, die in einem schweizerischen Grenzkanton tätig sind. Im Gegensatz dazu ist das neue Grenzgängerabkommen ähnlich strukturiert wie ein DBA und beruht auf dem Grundsatz der Gegenseitigkeit.</p>
<h3><strong>1.2 </strong><strong>Definition «Grenzgängerin» </strong></h3>
<h4>1.2.1 <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/457_457_457/de" target="_blank" rel="noopener">Grenzgängerabkommen 1974</a></h4>
<p>Das <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/457_457_457/de" target="_blank" rel="noopener">Grenzgängerabkommen 1974</a> enthält keine Definition des Begriffs der «Grenzgängerin». Gemäss langjähriger Praxis der Steuerbehörden gilt als Grenzgängerin eine Arbeitnehmerin, die in einer italienischen Grenzgemeinde ansässig ist, in unselbstständiger Stellung in einem schweizerischen Grenzkanton – Tessin, Graubünden oder Wallis – arbeitet und täglich an ihren Wohnort zurückkehrt. Das tägliche Pendeln zwischen Wohn- und Arbeitsort wird demnach vorausgesetzt. Als italienische Grenzgemeinde gilt eine italienische Gemeinde, deren Gebiet ganz oder teilweise innerhalb einer 20 km breiten Zone an der Grenze zur Schweiz liegt.</p>
<h4>1.2.2 <a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/67789.pdf" target="_blank" rel="noopener">Das neue Grenzgängerabkommen</a></h4>
<p>Gemäss <a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/67789.pdf" target="_blank" rel="noopener">Art. 2 lit. b. des neuen Grenzgängerabkommens</a> wird der Begriff «Grenzgängerin» oder «Grenzgänger» als eine in einem Vertragsstaat ansässige Person definiert, die:</p>
<ol style="list-style-type: lower-roman;">
<li>in einer Gemeinde steuerlich ansässig ist, deren Gebiet ganz oder teilweise innerhalb einer 20 km breiten Zone an der Grenze zum anderen Vertragsstaat liegt,</li>
<li>im Grenzgebiet des anderen Vertragsstaates für einen dort ansässigen Arbeitgeber, oder für eine Betriebsstätte oder eine feste Einrichtung in diesem Staat eine unselbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, und</li>
<li>grundsätzlich jeden Tag an ihr Hauptsteuerdomizil im Ansässigkeitsstaat nach Ziffer i) zurückkehrt.</li>
</ol>
<p>Im Weiteren sieht das Abkommen vor, dass die Einzelheiten der Anwendung von Ziffern i) und iii) durch die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten in gegenseitigem Einvernehmen festzulegen sind (<a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/67789.pdf" target="_blank" rel="noopener">Art. 2 lit. b</a> in fine).</p>
<p>In diesem Zusammenhang wird im <a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/67789.pdf" target="_blank" rel="noopener">Zusatzprotokoll in Absatz 2</a> festgehalten, dass Einvernehmen darüber besteht, dass es einer Grenzgängerin oder einem Grenzgänger grundsätzlich gestattet ist, an höchstens 45 Tagen pro Kalenderjahr aus beruflichen Gründen nicht an ihr oder sein Hauptsteuerdomizil im Ansässigkeitsstaat zurückzukehren, sofern die zuständigen Behörden nichts anderes beschliessen. Ferien- und Krankheitstage fallen nicht unter diese Begrenzung.</p>
<p>Als sogenannte Nichtrückkehrtage gelten somit grundsätzlich Arbeitstage, an welchen der Arbeiternehmer aus beruflichen Gründen nicht an seinen Wohnsitz zurückkehrt, was zum Beispiel dann der Fall sein kann, wenn die Rückkehr wegen der grossen Distanz zwischen dem Arbeits- und Wohnort aus zeitlichen oder anderen Gründen nicht zumutbar ist.</p>
<h3><strong>1.3 </strong><strong>Besteuerung der Grenzgänger</strong></h3>
<h4>1.3.1 <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/457_457_457/de" target="_blank" rel="noopener">Grenzgängerabkommen 1974</a></h4>
<p>Gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/457_457_457/de" target="_blank" rel="noopener">dem geltenden Abkommen</a> werden die Grenzgänger ausschliesslich am Arbeitsort in der Schweiz besteuert. Die betroffenen Kantone liefern jährlich 40% bzw. 38.8% der von den Grenzgängern erhobenen Steuern an Italien ab als finanziellen Ausgleich zugunsten der italienischen Grenzgemeinden.<a title="" href="#_ftn8" name="_ftnref8"><sup>08</sup></a></p>
<p>Infolge der ausschliesslichen Besteuerung in der Schweiz besteht für Grenzgänger keine Pflicht, das entsprechende Erwerbseinkommen in Italien zu deklarieren. </p>
<h4>1.3.2 <a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/67789.pdf" target="_blank" rel="noopener">Das neue Grenzgängerabkommen</a></h4>
<p><a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/67789.pdf" target="_blank" rel="noopener">Das neue Grenzgängerabkommen</a> sieht eine konkurrierende Besteuerung vor. Analog zu <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/461_461_461/de#art_15" target="_blank" rel="noopener">Art. 15 DBA CH-I</a> werden die Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die von den Grenzgängern bezogen und von einer Arbeitgeberin für eine unselbstständige Erwerbstätigkeit gezahlt werden, primär im Vertragsstaat besteuert, in dem die unselbstständige Erwerbstätigkeit ausgeübt wird (sog. Arbeitsortprinzip). Die Steuer beschränkt sich jedoch auf 80% der Steuer, die in Anwendung des innerstaatlichen Steuerrechts erhoben werden könnte (<a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/67789.pdf" target="_blank" rel="noopener">Art. 3 neues Grenzgängerabkommen</a>). Dies bedeutet konkret, dass der Staat, in dem die Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, nur 80% der normalerweise erhobenen Quellensteuer erheben darf.</p>
<p>Der Ansässigkeitsstaat unterwirft dieses Einkommen seinerseits einer Besteuerung und beseitigt die Doppelbesteuerung in Anwendung von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/461_461_461/de#art_24" target="_blank" rel="noopener">Art. 24 DBA CH-I</a> (<a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/67789.pdf" target="_blank" rel="noopener">Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 5 Abs. 1 neues Grenzgängerabkommen</a>). Somit besteuert Italien das von in Italien ansässigen Grenzgängern erzielte Erwerbseinkommen unter Anrechnung der in der Schweiz erhobenen Steuer (Anrechnungsmethode).<a title="" href="#_ftn9" name="_ftnref9"><sup>09</sup></a> Dabei kommt ein Steuerfreibetrag von EUR 7'500 zu tragen, welcher das interne Recht für im Ausland in einem Grenzgebiet tätige Arbeitnehmende vorsieht.<a title="" href="#_ftn10" name="_ftnref10"><sup>10</sup></a></p>
<p>Gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/461_461_461/de#art_24" target="_blank" rel="noopener">Art. 24 Abs. 3 DBA CH-I</a> nimmt die Schweiz regelmässig das in Italien erzielte Erwerbseinkommen von der Besteuerung aus, welches lediglich für die Bestimmung des Steuersatzes berücksichtigt wird (Befreiungsmethode mit Progressionsvorbehalt). Angesichts der Tatsache, dass Italien seine Quellensteuer auf 80% des normalerweise erhobenen Betrags wird beschränken müssen, wurde <a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/67789.pdf" target="_blank" rel="noopener">im neuen Grenzgängerabkommen in Art. 5 Abs. 2</a> eine Sonderregel eingeführt. Danach kann die Schweiz einen Fünftel des in Italien erzielten Bruttolohns besteuern.</p>
<p><a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/67789.pdf" target="_blank" rel="noopener">Art. 9 des neuen Grenzgängerabkommens</a> sieht eine Übergangsregelung bis zum 31. Dezember 2033 für die Besteuerung von bestehenden Grenzgängern vor. Bestehende Grenzgänger werden definiert als unselbstständige Arbeitnehmende mit Wohnsitz in Italien, die zwischen dem 31. Dezember 2018 und dem Datum des Inkrafttretens des neuen Grenzgängerabkommens in den Kantonen Graubünden, Tessin oder Wallis arbeiten oder gearbeitet haben und als Grenzgänger im Sinne der im neuen Grenzgängerabkommen enthaltenen Definition gelten. Bestehende Grenzgänger werden analog <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/457_457_457/de" target="_blank" rel="noopener">zum Grenzgängerabkommen 1974</a> ausschliesslich in der Schweiz besteuert, während die Grenzkantone verpflichtet sind, einen finanziellen Ausgleich von 40% der schweizerischen Quellensteuer zugunsten der italienischen Grenzgemeinden abzuliefern.<a title="" href="#_ftn11" name="_ftnref11"><sup>11</sup></a></p>
<p>Damit erhöht sich in Italien die Steuerlast der neuen Grenzgänger im Vergleich zu den bisherigen Grenzgängern. Gemäss dem «Memorandum of Understanding» zwischen der Italienischen Regierung, Gewerkschaften, Grenzgemeinden und Grenzgänger vom 23. Dezember 2020 soll sich die Italienische Regierung darum bemühen, Mechanismen zur Erleichterung der Steuerlast einzuführen. Demnach sollte der Steuerfreibetrag von EUR 7'500 auf EUR 10'000 erhöht und die Familienzulagen von der Steuer befreit werden.<a title="" href="#_ftn12" name="_ftnref12"><sup>12</sup></a></p>
<h2>2. Steuerliche Auswirkungen von Home-Office</h2>
<h3><strong>2.1 </strong><strong>Die Besteuerung der Grenzgänger im Home-Office</strong></h3>
<h4>2.1.1 <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/457_457_457/de" target="_blank" rel="noopener">Grenzgängerabkommen 1974</a></h4>
<h5>2.1.1.1 Allgemeine Regelung</h5>
<p><a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/457_457_457/de" target="_blank" rel="noopener">Das geltende Grenzgängerabkommen aus dem Jahr 1974</a> sieht keine Möglichkeit von Home-Office vor. Wie oben dargelegt, gelten Arbeitnehmende, die in einer italienischen Grenzgemeinde wohnen und für eine schweizerische Arbeitgeberin in einem Grenzkanton arbeiten, nur dann als Grenzgänger im Sinne des Abkommens, wenn sie täglich zwischen dem Wohn- und Arbeitsort pendeln.</p>
<p>Arbeitet der Arbeitnehmer hingegen im Home-Office an seinem Wohnsitz, ist die Voraussetzung des täglichen Pendelns nicht gegeben. Deshalb gelangt nicht das Grenzgängerabkommen, sondern die allgemeinen Regeln von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/461_461_461/de#art_15" target="_blank" rel="noopener">Art. 15 Abs. 1 DBA CH-I</a> zur Anwendung. Danach wird der Arbeitnehmer primär in dem Staat besteuert, in welchem die Arbeit ausgeübt wird (Arbeitsortprinzip). Daraus folgt, dass der Arbeitnehmer nur für die Tage, an welchen er die Arbeit tatsächlich in der Schweiz verrichtet, dort besteuert werden darf, während er für sein ganzes Erwerbseinkommen in Italien besteuert wird, unter Anrechnung der in der Schweiz erhobenen Steuern (<a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/461_461_461/de#art_24" target="_blank" rel="noopener">Art. 24 Abs. 2 DBA CH-I</a>). Bei der Anwendung von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/461_461_461/de#art_15" target="_blank" rel="noopener">Art. 15 Abs. 1 DBA CH-I</a> entfällt die Pflicht der Schweizer Grenzkantone zum Finanzausgleich zugunsten der italienischen Grenzgemeinden.</p>
<h5>2.1.1.2 Regelung gemäss Verständigungsvereinbarung</h5>
<p>Das Thema Home-Office im Zusammenhang mit den italienischen Grenzgängern wurde mit der COVID-19-Pandemie aktuell. Am 18./19. Juni 2020 haben die zuständigen Behörden der beiden Vertragsstaaten im Anschluss an die mit der Bekämpfung der Ausbreitung von COVID-19 getroffenen Massnahmen eine <a href="https://www.estv.admin.ch/dam/estv/de/dokumente/intsteuerrecht/themen/laender/italien/it-dba_kv_covid-19.pdf.download.pdf/it-dba_kv_covid-19.pdf" target="_blank" rel="noopener">Verständigungsvereinbarung</a> im Sinne von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/461_461_461/de#art_26" target="_blank" rel="noopener">Art. 26 Abs. 3 DBA CH-I</a> verabschiedet.<a title="" href="#_ftn13" name="_ftnref13"><sup>13</sup></a></p>
<p>Danach wurde unter Hinweis auf die ausserordentliche Situation und im Zusammenhang mit der Anwendung von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/461_461_461/de#art_15" target="_blank" rel="noopener">Art. 15 Abs. 1 und 4 DBA CH-I</a> und <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/457_457_457/de" target="_blank" rel="noopener">Art. 1 des Grenzgängerabkommens 1974</a> vereinbart, dass die Tage, die infolge von Massnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung von COVID-19 im Wohnsitzstaat im Home-Office gearbeitet werden, als Tage gelten, die in dem Staat gearbeitet werden, in dem die Person ohne diese Massnahmen gearbeitet hätte. Es gilt somit eine sogenannte Tatsachenfiktion, wobei die Grenzgänger so besteuert werden, als würde ihre Arbeit nicht im Home-Office, sondern am üblichen Arbeitsort ausgeübt.<a title="" href="#_ftn14" name="_ftnref14"><sup>14</sup></a> Demzufolge werden die Grenzgänger im Home-Office auch bei fehlender physischer Präsenz weiterhin ausschliesslich in der Schweiz besteuert, während der Finanzausgleich an die italienischen Grenzgemeinden geschuldet bleibt.</p>
<p>Diese <a href="https://www.estv.admin.ch/dam/estv/de/dokumente/intsteuerrecht/themen/laender/italien/it-dba_kv_covid-19.pdf.download.pdf/it-dba_kv_covid-19.pdf" target="_blank" rel="noopener">Verständigungsvereinbarung</a> galt ursprünglich vom 24. Februar 2020 bis zum 30. Juni 2020, wobei sie stillschweigend Monat für Monat verlängert wird. Sie tritt am letzten Tag des Monats ausser Kraft, in welchem die beiden Staaten die Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie, welche die Mobilität der natürlichen Personen einschränken oder davon abraten, enden. Die zuständigen Behörden einigen sich im Voraus auf dieses Datum. Die <a href="https://www.estv.admin.ch/dam/estv/de/dokumente/intsteuerrecht/themen/laender/italien/it-dba_kv_covid-19.pdf.download.pdf/it-dba_kv_covid-19.pdf" target="_blank" rel="noopener">Verständigungsvereinbarung</a> kann auch im gegenseitigen Einvernehmen der zuständigen Behörden beendet werden.</p>
<p>Folgt man einer wörtlichen Auslegung der <a href="https://www.estv.admin.ch/dam/estv/de/dokumente/intsteuerrecht/themen/laender/italien/it-dba_kv_covid-19.pdf.download.pdf/it-dba_kv_covid-19.pdf" target="_blank" rel="noopener">Verständigungsvereinbarung</a>, so dürfte diese Regelung nur für Arbeitnehmende gelten, welche infolge von staatlichen Massnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie und – und somit nicht auch aus anderen Gründen – im Home-Office arbeiten.</p>
<p>Per 1. April 2022 hat der Bundesrat die besondere Lage und die COVID-19-Massnahmen für die allgemeine Bevölkerung bundesweit aufgehoben. Gleichzeitig hat Italien den COVID-19-Notstand aufgehoben, wobei gewisse Restriktionen noch in Kraft geblieben sind und nur schrittweise abgeschafft wurden. Mit gemeinsamer Erklärung der zuständigen Behörden vom 22. Juli 2022 wurde hingegen klargestellt, dass diese Regelung allgemein gilt. Das heisst, diese Regel greift unabhängig davon, ob die staatlichen Massnahmen im konkreten Fall auf die Arbeitnehmenden anwendbar sind und gilt zudem unabhängig davon, ob solche Massnahmen überhaupt noch in Kraft sind.</p>
<p>Hat die Arbeitgeberin in der Zwischenzeit – möglicherweise für den Zeitraum vom 1. April bis 22. Juli 2022 – bereits eine internationale Steuerausscheidung vorgenommen und nur für die Tage, an denen die Tätigkeit in der Schweiz verrichtet wurde, die schweizerische Quellensteuer abgerechnet, muss sie nachträglich eine Quellensteuerkorrektur vornehmen. Gemäss der gemeinsamen Erklärung wollen die zuständigen Behörden in engem Kontakt bleiben und sich vor Ende Oktober 2022 erneut konsultieren, um zu prüfen, ob die Bedingungen zu Anwendung der <a href="https://www.estv.admin.ch/dam/estv/de/dokumente/intsteuerrecht/themen/laender/italien/it-dba_kv_covid-19.pdf.download.pdf/it-dba_kv_covid-19.pdf" target="_blank" rel="noopener">Verständigungsvereinbarung</a> weiterhin gegeben sind, womit vermutlich der Entwicklung der COVID-19-Pandemie Rechnung getragen werden soll. Bis heute sind dazu keine weiteren Informationen veröffentlicht worden, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass die Verständigungsvereinbarung weiterhin anwendbar ist. Ein Update seitens der zuständigen Behörden wird – wahrscheinlich spätestens im Frühjahr 2023 – zu erwarten sein.</p>
<h4>2.1.2 <a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/67789.pdf" target="_blank" rel="noopener">Das neue Grenzgängerabkommen</a></h4>
<p><a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/67789.pdf" target="_blank" rel="noopener">Im Zusatzprotokoll zum neuen Grenzgängerabkommen wird in Absatz 3</a> ausdrücklich auf die Telearbeit hingewiesen. Demnach sollen sich die Vertragsstaaten im Zusammenhang mit der möglichen Weiterentwicklung der Telearbeit regelmässig konsultieren, um festzustellen, ob Änderungen oder Ergänzungen des <a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/67789.pdf" target="_blank" rel="noopener">Absatzes 2 des Zusatzprotokolls</a> erforderlich sind. Wie oben ausgeführt, durchbricht <a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/67789.pdf" target="_blank" rel="noopener">Absatz 2</a> den Grundsatz der täglichen Rückkehr. Er gestattet den Grenzgängern, an höchstens 45 Tagen pro Kalenderjahr aus beruflichen Gründen nicht an ihr Hauptsteuerdomizil im Ansässigkeitsstaat zurückzukehren (sog. Nichtrückkehrtage). Der ausdrückliche Verweis in <a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/67789.pdf" target="_blank" rel="noopener">Absatz 3 auf Absatz 2 des Zusatzprotokolls</a> – und nicht etwa auf die in <a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/67789.pdf" target="_blank" rel="noopener">Art. 2 lit. b des Abkommens</a> enthaltenen Definition für Grenzgänger – lässt darauf schliessen, dass den Steuerbehörden die Möglichkeit offensteht, das Home-Office sinngemäss im Kontext der in <a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/67789.pdf" target="_blank" rel="noopener">Absatz 2</a> enthaltenen Frist auszulegen.<a title="" href="#_ftn15" name="_ftnref15"><sup>15</sup></a></p>
<p>Demnach könnte das neue Grenzgängerabkommen so ausgelegt werden, dass die im Home-Office verbrachten Tage als Nichtrückkehrtage gelten. Dies erfordert eine weite Auslegung des Begriffs «Nichtrückkehrtage», der sowohl die Nichtrückkehr vom Tätigkeitsstaat in den Ansässigkeitsstaat wie auch das Verbleiben im Ansässigkeitsstaat umfasst. Konkret würde dies bedeuten, dass ein Arbeitnehmer an höchstens 45 Tagen im Jahr (d.h. ca. einen Tag pro Woche) im Home-Office arbeiten könnte, wobei weiterhin das Grenzgängerabkommen zur Anwendung kommen würde. Dabei ist zu beachten, dass für die Berechnung der Frist nicht nur die Home-Office-Tage, sondern auch andere Nichtrückkehrtage zu berücksichtigen sind.</p>
<p>Im Gegensatz dazu wurde im Zusammenhang mit den Grenzgängerabkommen mit <a href="https://www.estv.admin.ch/estv/de/home/internationales-steuerrecht/international-laender/sif/deutschland.html#-45117131" target="_blank" rel="noopener">Deutschland</a><a title="" href="#_ftn16" name="_ftnref16"><sup>16</sup></a>, <a href="https://www.estv.admin.ch/estv/de/home/internationales-steuerrecht/international-laender/sif/liechtenstein.html" target="_blank" rel="noopener">Liechtenstein</a><a title="" href="#_ftn17" name="_ftnref17"><sup>17</sup></a> und <a href="https://www.estv.admin.ch/estv/de/home/internationales-steuerrecht/international-laender/sif/frankreich.html#1768690622" target="_blank" rel="noopener">Frankreich</a><a title="" href="#_ftn18" name="_ftnref18"><sup>18</sup></a> mittels Verständigungsvereinbarung präzisiert, dass Arbeitstage, an denen der Arbeitnehmer an seinem Wohnsitz arbeitet, gerade nicht als Nichtrückkehrtage zählen. Dies bedeutet, dass die Home-Office-Tage für die Anwendung dieser Grenzgängerabkommen nicht relevant bzw. unschädlich sind. Diese unterschiedliche Betrachtungsweise ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass diese drei Grenzgängerabkommen hauptsächlich oder ausschliesslich eine Besteuerung im Ansässigkeitsstaat vorsehen.</p>
<p>Schliesslich werden in <a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/67789.pdf" target="_blank" rel="noopener">Absatz 3 des Zusatzprotokolls</a> die Befugnisse der zuständigen Behörden bestätigt, im Rahmen eines allgemeinen Verständigungsverfahrens nach <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/461_461_461/de#art_26" target="_blank" rel="noopener">Art. 26 Abs. 3 DBA CH-I</a> eine Vereinbarung über die Auslegung oder Anwendung des Grenzgängerabkommens in Bezug auf das Home-Office zu treffen, wie dies mit der <a href="https://www.estv.admin.ch/dam/estv/de/dokumente/intsteuerrecht/themen/laender/italien/it-dba_kv_covid-19.pdf.download.pdf/it-dba_kv_covid-19.pdf" target="_blank" rel="noopener">Verständigungsvereinbarung</a> vom 18./19. Juni 2020 im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie erfolgt ist.<a title="" href="#_ftn19" name="_ftnref19"><sup>19</sup></a> </p>
<h4>2.1.3 Unterschiedliche Anwendung der massgebenden Vorschriften</h4>
<p>Die Abgrenzung zwischen der Anwendung <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/457_457_457/de" target="_blank" rel="noopener">des Grenzgängerabkommens 1974</a> und von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/461_461_461/de#art_15" target="_blank" rel="noopener">Art. 15 Abs. 1 DBA CH-I</a> birgt ein gewisses Missbrauchspotenzial. Die Grenzgängerin ist in Italien für ihr Erwerbseinkommen von der Steuerpflicht befreit. Deklariert sie ihr Erwerbseinkommen nicht in Italien und macht somit die Anwendung des <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/457_457_457/de" target="_blank" rel="noopener">Grenzgängerabkommens 1974</a> geltend, während in der Schweiz <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/461_461_461/de#art_15" target="_blank" rel="noopener">Art. 15 Abs. 1 DBA CH-I</a> zur Anwendung gelangt, resultiert in Bezug auf die Tage, die sie im Home-Office arbeitet, eine doppelte Nichtbesteuerung. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Steuerbehörde der Schweizer Grenzkantone nicht nur erhöhte Anforderungen in Bezug auf den Nachweis der im Ausland geleisteten Arbeitstage stellen, sondern auch den Nachweis verlangen werden, dass das Erwerbseinkommen in Italien tatsächlich besteuert wurde. Dabei kann die Steuerbehörde zur Abklärung des Sachverhalts und bei fehlender Mitwirkung des Arbeitgebers bzw. der Grenzgängerin die nötigen Informationen mittels Amtshilfegesuch im Sinne von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/461_461_461/de#art_27" target="_blank" rel="noopener">Art. 27 DBA CH-I</a> direkt von der italienischen Steuerbehörde erlangen.</p>
<p>Andererseits könnte die unterschiedliche Anwendung der massgebenden Bestimmungen auch zu einer Doppelbesteuerung führen, wenn die Schweiz in Anwendung des <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/457_457_457/de" target="_blank" rel="noopener">Grenzgängerabkommens 1974</a> das gesamte Erwerbseinkommen besteuert, während Italien in Anwendung von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/461_461_461/de#art_15" target="_blank" rel="noopener">Art. 15 Abs. 1 DBA CH-I</a> nur den Teil der schweizerischen Steuer der italienischen Steuer anrechnet, welcher auf die tatsächlich in der Schweiz gearbeiteten Tage entfällt. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer bis am 31. März des auf die Fälligkeit der Quellensteuer folgenden Kalenderjahres bei der zuständigen kantonalen Steuerbehörde eine Neuberechnung der Quellensteuer beantragen (vgl. <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1991/1184_1184_1184/de#art_137" target="_blank" rel="noopener">Art. 137 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer DBG</a>; <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1991/1256_1256_1256/de#art_49" target="_blank" rel="noopener">Art. 49 des Steuerharmonisierungsgesetzes StHG</a>). Kann diese Frist nicht eingehalten werden, weil der Arbeitnehmer bspw. erst zu einem späteren Zeitpunkt infolge einer Steuerprüfung in Italien veranlagt wurde, oder weil die Anwendung von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/461_461_461/de#art_15" target="_blank" rel="noopener">Art. 15 Abs. 1 DBA CH-I</a> von der kantonalen Steuerbehörde nicht anerkannt wird, steht nur noch der Weg des Verständigungsverfahrens in Anwendung von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/461_461_461/de#art_26" target="_blank" rel="noopener">Art. 26 DBA CH-I</a> offen.</p>
<p>Schliesslich enthält das <a href="https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/67789.pdf" target="_blank" rel="noopener">neue Grenzgängerabkommen in Art. 7</a> detaillierte Vorschriften über den Informationsaustausch in elektronischer Form, um eine wirksame Besteuerung im Ansässigkeitsstaat zu ermöglichen und Missbräuche zu bekämpfen.<a title="" href="#_ftn20" name="_ftnref20"><sup>20</sup></a></p>
<h3><strong>2.2 </strong><strong>Home-Office als Betriebsstätte</strong></h3>
<p>Beim Home-Office stellt sich stets auch die Frage, ob durch die Präsenz der Arbeitnehmer im Wohnsitzstaat eine Betriebsstätte der Arbeitgeberin begründet wird. Gemäss <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/461_461_461/de#art_5" target="_blank" rel="noopener">Art. 5 Abs. 1 DBA CH-I</a> gilt als Betriebsstätte eine feste Geschäftseinrichtung, in der die Tätigkeit des Unternehmens ganz oder teilweise ausgeübt wird. Dabei wird grundsätzlich eine gewisse Dauerhaftigkeit der Tätigkeit im Home-Office vorausgesetzt.<a title="" href="#_ftn21" name="_ftnref21"><sup>21</sup></a></p>
<p>Entscheidend ist, ob die Arbeitgeberin die erforderliche Verfügungsmacht über das Home-Office hat. Das kann bspw. der Fall sein, wenn die Home-Office-Tätigkeit von der Arbeitgeberin angeordnet wurde oder dieser dem Arbeitnehmer eine Aufwandentschädigung für die Nutzung des Home-Office leistet.<a title="" href="#_ftn22" name="_ftnref22"><sup>22</sup></a> Zur Beurteilung der Verfügungsmacht sind die gesamten Tatsachen und Umstände zu berücksichtigen, wobei dieser Begriff in verschiedenen Staaten unterschiedlich ausgelegt wird. In der Anwendungspraxis der italienischen Steuerverwaltung wird das Erfordernis der Verfügungsmacht regelmässig weit ausgelegt, so dass es nicht selten vorkommt, dass eine Betriebsstätte einer ausländischen Gesellschaft in Räumlichkeiten angenommen wird, über welche die Gesellschaft formell gar nicht verfügt. Im Weiteren könnte eine sog. Vertreterbetriebsstätte im Sinne von <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1979/461_461_461/de#art_5" target="_blank" rel="noopener">Art. 5 Abs. 4 DBA CH-I</a> begründet werden, sollte der italienische Grenzgänger über eine Vollmacht verfügen, im Namen der schweizerischen Arbeitgeberin Verträge abzuschliessen und sollte diese Vollmacht auch gewöhnlich im Home-Office ausgeübt werden.</p>
<p>Die Annahme einer Betriebsstätte in Italien durch die veranlagende Behörde hat für den Arbeitgeber oft einschneidende Konsequenzen zur Folge. Sie führt nicht nur zu einer höheren Steuerlast, sondern ist regelmässig auch mit administrativen – und möglicherweise auch strafrechtlichen – Sanktionen verbunden. Zudem besteht das Risiko einer internationalen Doppelbesteuerung, die – soweit das Unternehmen in der Schweiz bereits rechtskräftig veranlagt wurde – nur mittels Verständigungsverfahren beseitigt werden kann.<a title="" href="#_ftn23" name="_ftnref23"><sup>23</sup></a></p>
<h2>3. Schlussfolgerung</h2>
<p>Das Home-Office ist heute zwar zur normalen Arbeitsform geworden, doch bestehen im Zusammenhang mit dem Grenzgängerabkommen mit Italien viele Unsicherheiten, womit sowohl die Arbeitnehmerin wie auch der Arbeitgeber gewissen Risiken ausgesetzt ist.</p>
<p>Im Zeitpunkt des Verfassens des Artikels werden die italienischen Grenzgänger in Anwendung des <a href="https://www.estv.admin.ch/dam/estv/de/dokumente/intsteuerrecht/themen/laender/italien/it-dba_kv_covid-19.pdf.download.pdf/it-dba_kv_covid-19.pdf" target="_blank" rel="noopener">Verständigungsverfahrens vom 18./19. Juni 2020</a> weiterhin ausschliesslich in der Schweiz besteuert (unter Berücksichtigung eines Finanzausgleichs zugunsten der italienischen Grenzgemeinden), dies unabhängig davon, ob sie im Home-Office arbeiten oder nicht. Es ist im Momentan unklar, wie lange diese Regelung noch gelten wird. Die Dauer der Gültigkeit dieser Regelung hängt wohl von der Entwicklung der COVID-19-Pandemie ab. Spätestens im Frühjahr 2023 wird das Thema wieder aktuell, und es wird ein Update seitens der zuständigen Behörden zu erwarten sein.</p>
<p>Eine weitere Unsicherheit besteht im Zusammenhang mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Grenzgängerabkommens. Mit diesem würde eine Grundlage geschaffen, das Home-Office im Zusammenhang mit der 45-Tage-Regel auszulegen. Das neue Abkommen sieht zudem ausdrücklich vor, dass sich die zuständigen Behörden im Zusammenhang mit der möglichen Weiterentwicklung der Telearbeit regelmässig konsultieren.</p>
<p>Es wäre auf jeden Fall wünschenswert, dass das Home-Office durch die zuständigen Behörden geregelt wird, um Rechtssicherheit zu schaffen. Im Zweifelsfall ist der Arbeitgeber gut beraten, bei Grenzgängern die schweizerische Quellensteuer weiterhin auf 100% des Erwerbeinkommens abzurechnen. Die Arbeitnehmerin kann bis zum 31. März des Folgejahres eine Korrektur der Quellenbesteuerung bzw. eine internationale Ausscheidung beantragen, sollte sie für dasselbe Einkommen auch in Italien besteuert werden. Rechnet der Arbeitgeber hingegen die Quellensteuer nur auf dem Erwerbseinkommen in Bezug auf die in der Schweiz gearbeiteten Tage ab, riskiert er bei einer Steuerprüfung eine Aufrechnung, wenn die Besteuerung der Arbeitnehmerin in Italien nicht nachgewiesen werden kann. Dabei kann sich die Steuerbehörde zur Abklärung des Sachverhalts und bei fehlender Mitwirkung des Arbeitgebers bzw. der Grenzgängerin die nötigen Informationen mittels Amtshilfegesuch beschaffen.</p>
<p>Andererseits kann die Qualifikation einer Arbeitnehmerin als Grenzgängerin im Sinne des aktuellen Grenzgängerabkommens grosse Auswirkungen auf deren Steuerlast haben. Sollte die Arbeitnehmerin infolge von Home-Office nicht mehr als Grenzgängerin gelten, wird sie in Italien auch für ihr Erwerbseinkommen steuerpflichtig, unter Anrechnung der in der Schweiz erhobenen Steuern. Damit erhöht sich ihre Steuerlast erheblich und sie riskiert nicht nur eine internationale Doppelbesteuerung, sondern auch administrative und möglicherweise strafrechtliche Sanktionen, sollte sie die Deklaration des Erwerbseinkommens in Italien unterlassen haben.</p>
<p>Selbst bei einer klareren Regelung des Home-Office ist wohl davon auszugehen, dass die Arbeitgeber das Home-Office nur in einem sehr beschränkten Ausmass zulassen, um das Risiko der Begründung einer Betriebsstätte in Italien zu minimieren. Die Annahme einer Betriebsstätte in Italien kann für den schweizerischen Arbeitgeber einschneidende Konsequenzen haben.</p></article>
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